Linker Protest von rechts?

Seite 2: "Deutsche Arbeit und preußischer Staat"

In der Argument-Reihe hat Wolfgang Veiglhuber unter dem Titel "Volksgemeinschaft und ‚solidarischer Patriotismus‘" Höckes Weltbild analysiert. Dessen Programmpunkte werden ins Gesamtbild der AfD eingeordnet, wobei sich zeigt, dass hier kein extremistischer Außenseiter agiert. Von Höcke werden nur in provokativer Form die nationalen Konsequenzen aus der Verteidigung "unserer" Marktwirtschaft gezogen, wie sie überhaupt bei der AfD und auch bei anderen Parteigängern dieser Wirtschaftsordnung üblich ist. Speziell zeigen sich hier zwei Punkte:

Erstens kennt Höcke – im Einklang mit seiner Partei – keine soziale Frage, sondern nur eine nationale. Die Volksgemeinschaft ist das Sorgeobjekt; sie gilt es, gegen innere Verfallserscheinungen und auswärtige Bedrohungen zu verteidigen. "Solidarität" – das neue Schlagwort für Opfer- und Verzichtsbereitschaft – wird dafür, dem demokratischen Brauch folgend, adaptiert und als Attribut dem Patriotismus zugeordnet.

Die vorstaatliche, völkische oder blutsmäßige Identität eines in seiner Heimat verhafteten Menschenhaufens, der sich über den Fortpflanzungstrieb von Vati und Mutti beständig reproduziert, ist der Ausgangspunkt der Sorge. Wenn hier soziale Nöte zu entdecken sind, werden sie aufgegriffen und zum Anliegen eines nationalen Widerstandsakts gegen angebliche Nutznießer oder Anstifter aus dem Ausland gemacht.

Dann muss zum Beispiel "unsere" soziale Marktwirtschaft gegen einen (angelsächsischen) Kapitalismus verteidigt werden, der mit der Globalisierung zu uns herüberschwappt, sich dabei durch einen "raffenden" Charakter auszeichnet und unsere "Realwirtschaft" in eine Art "Zinsknechtschaft" nehmen will.

Dann muss der "Verantwortungsraum" unserer Solidargemeinschaft eingegrenzt, das heißt die migrantische Bevölkerung vom Leistungsbezug bei den Sozialkassen ausgegrenzt werden.

Zweitens stimmt es also auch nicht, dass die Partei "überhaupt keine Antwort" anzubieten hätte, wie mit den Missständen im Lande umzugehen wäre. Von der Notwendigkeit einer bundesweiten Inflationsbekämpfung bis zur Aufhebung des baden-württembergischen Nachtangelverbots kann sie mit tausend Vorschlägen aufwarten.

Nationale Sittlichkeit

Veiglhuber geht dem Sammelsurium von ordnungs-, wirtschafts- und sozialpolitischen Konzepten nach, das sich, wie bei demokratischen Parteien üblich, gar nicht groß um Konsistenz zu bemühen braucht. Hauptsache, man dokumentiert die eigene (potenzielle) Tatkraft!

Und wenn man die grundsätzliche Linie wissen will, der sich die vielen guten Ideen verdanken, ist die Partei überhaupt nicht um eine Antwort verlegen: Es geht ihr um die Erneuerung der nationalen Sittlichkeit im Lande. Höcke zum Beispiel will einen grundlegenden sittlich-moralischen Wandel – weg von einem "dekadenten westlichen Lebensstil".

Wem das als Parteiprofil zu wenig oder zu allgemein ist, der sollte sich daran erinnern, dass auch ein Kanzler Kohl einmal mit dem Programm antrat, dem Land eine "geistig-moralische Wende" zu verordnen. Bei Höcke wird die Erneuerung der nationalen Sittlichkeit richtig brutal ausbuchstabiert – mit ihren antimaterialistischen Konsequenzen und ihrer Propaganda einer "bodenständigen Bescheidenheit".

O-Ton Höcke: "Unsere ‚Klage um Deutschland‘ dreht sich nicht primär darum, dass der Wohlstand zurückgeht, sondern vor allem darum, dass unser Volk seine Seele und Heimat verliert." Der Mann "will keine neue Armut herbeisehnen, aber etwas mehr Bescheidenheit und Orientierung an immateriellen Werten wären heilsam für uns".

Veiglhuber fasst zusammen: "Moral, Sittlichkeit und Bescheidenheit statt eines guten Lebens für alle. Höcke legt ein völkisch-nationalistisches Wertetableau vor, in dem die Lohnabhängigen unter Hintanstellung der eigenen materiellen Interessen als Dienstkräfte von Volk und Vaterland fungieren sollen, eine nahezu klassische faschistische Perspektive."

In diesem Resümee darf man allerdings das Wörtchen "nahezu" nicht überlesen. Natürlich ist in Höckes Äußerungen allenthalben eine gewisse Nähe zur Nazivergangenheit zu erkennen – zur Deutschen Arbeitsfront, zur Idee einer organischen Marktwirtschaft, zum Winterhilfswerk, zur Verteufelung der "globalen Geldeliten" (Höcke) und zur Anklage vielfältiger Dekadenzerscheinungen.

Aber damit ist die Sache nicht erledigt. Eine Nähe besteht genauso zur Verteidigung unserer – über alle Kritik erhabenen – Idee einer sozialen Marktwirtschaft, wie sie in den demokratischen Parteien anzutreffen ist; und wo nur noch der Einwand zugelassen ist, dass sich die wirtschaftliche Praxis nicht ganz auf der Höhe dieser hehren Idee bewegt, was auch bei Demokraten durchaus mit der Schuldzuweisung an auswärtige Kräfte verbunden werden kann, die den Anstrengungen deutscher Politiker zuwiderlaufen.

Veiglhuber kommt immer wieder auf solche Übereinstimmungen zu sprechen und thematisiert auch den strukturellen Zusammenhang. So hält er bei Gelegenheit fest, dass die Äußerungen des Scharfmachers Höcke gar nicht apart rechts sind, sondern schlichtweg deutsche "Staatsideologie".

Bedient haben sich die rechten Alternativdeutschen also wohl eher bei den regierenden "Altparteien", die sie sonst verteufeln! Populismus eben, wie er im Buche steht.

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