Linker Protest von rechts?

AfD-Rechtsaußen Björn Höcke bei der Verbreitung alternativer Fakten. Foto: PantheraLeo1359531 / CC-BY-SA-4.0

"Unser Land zuerst!" Mit solchen Parolen gelang es der AfD angeblich, die soziale Frage zu "kapern" und sich als antimilitaristische Kraft zu profilieren. Dabei ist nicht der Krieg ihr Problem, sondern sein geringer Ertrag. Ein Kommentar.

Seit Anfang des Jahres kursiert wieder eine "Erkenntnis", mit der Extremismus- und Totalitarismustheoretiker seit ewigen Zeiten aufwarten – dass sich nämlich die Extreme links und rechts berührten. Ja, dass sie nicht nur übereinstimmten, sondern auch übereinkämen, ihr radikales Untergraben von "liberaler Demokratie" und "offener Gesellschaft" als Gemeinschaftswerk zu betreiben.

So konstruieren aufmerksame Zeitgenossen unter Anleitung von Innenministerium und Verfassungsschutz eine Linie vom letzten coronaren Querdenkertum hin zu einer neuen Querfront gegen Krieg und Kriegskosten. Und die Vision einer antikapitalistischen "Revolution von rechts" wird wieder ausgegraben – ein politische Schimäre, wie bereits der Sozialwissenschaftler Norbert Wohlfahrt im Telepolis-Interview darlegte.

Erstaunlich auch: Die soziale Frage, die jahrzehntelang im "rheinischen Kapitalismus" und in der bundesdeutschen Errungenschaft einer "sozialen Marktwirtschaft" verschwunden war, ist wieder da, wieder hier. Doch sie klingelt nicht an Deiner Tür, liebe Linkspartei, sondern bei den rechten Gegenspielern, wobei die ja sowieso mit Putin im Bunde sein sollen, auf dessen Konto auch nach weit verbreiteter Auffassung die soziale Spaltung und Verarmung im Lande gehen.

Ein Novum: Parteien nutzen Unzufriedenheit!

Die niedersächsische Landtagswahl vom 9. Oktober mit einem zweistelligen AfD-Ergebnis hat jetzt wieder einigen Stoff geliefert, um das rechte Lager als die Kraft zu identifizieren, die den sozialen Protest betreue. Hat der legendäre kleine Mann, der stets verlor und nie gewann (wie der Sänger singt), jetzt also jemanden gefunden, der sich wirklich um ihn kümmert? Fühlt er sich hier nun endlich mit seiner kleinen Frau ernst genommen – statt bei einer Linkspartei, die, mit internen Querelen und Lifestyle-Fragen befasst, ihm nichts zu bieten hat?

Die banalen Mitteilungen zur Wählerbewegung und -motivation geben das zwar nicht direkt her, wie Gerd Wiegel in der jungen Welt resümierte:

Es sind mehrheitlich nicht in erster Linie Menschen, die aktuell sozialen Abstieg erleben, die ihr Kreuz bei der AfD gemacht haben


junge Welt, 12. Oktober 2022

Aber dass sich der angesagte Abwärtstrend bei der AfD jetzt auch noch im Fall der notorisch zerstrittenen niedersächsischen Abteilung einfach umkehrt, gehört sich gar nicht. Vor allem, wo der Bürger in der letzten Zeit genügend Aufklärung von oben über die extremistische Einstufung dieser Mannschaft erhalten hatte.

"In der Krise mobilisiert die Rechte die Unzufriedenen im Land. Sie hat die soziale Frage gekapert. Dabei hat sie überhaupt keine Antwort", stellte taz-Journalist Erik Peters im Blick auf die letzten Proteste fest, zu denen die AfD etwa in Berlin oder in den neuen Bundesländern mobilisierte, und Peter Nowak kommentierte nach der Landtagswahl bei Telepolis zustimmend diese "Zustandsbeschreibung".

"Die Protestierenden in fünfstelliger Zahl" hätten Nowak zufolge eigentlich bei der Linken auflaufen müssen, seien aber dort nicht zu finden gewesen, sondern bei der AfD: "Es gibt objektive Gründe im Spätkapitalismus, die zu einer massiven Schwächung der gesellschaftlichen Linken weltweit führte[n]. Hier liegt auch der Grund, dass von einer Proteststimmung die Rechten profitieren."

Na ja, so viel Neues hat der Spätestkapitalismus auch nicht zu bieten, dass er beständig Krisen produziert, wusste auch schon Karl Marx. Wenn die Linke hier versagt, dann liegt der Grund wohl eher bei ihr als im System.

Dass der Zulauf zum Rechtspopulismus mit sozialen Notlagen zu tun haben könnte, lassen auch die Leitmedien in gewissem Rahmen gelten. Dabei wird natürlich den Rechten schwerster Missbrauch ehrenwerter Anliegen vorgeworfen. Die FAZ kreidet zum Beispiel der AfD an, dass sie "Profiteur der Energiekrise" sei, "die Frustrierte an die Wahlurne treibt", und legt, tiefer bohrend, gleich damit nach, die populistische Partei wisse sich eben "um die, denen es nur um Protest geht, zu kümmern".

So ist auch mal wieder der Topos vom populistisch angereizten "Wutbürger", der eigentlich grundlos, aus einer affektiven Verstimmung heraus, gegen "die da oben" anstinkt, in Umlauf gebracht.

Was stimmt: Die AfD protestiert gegen den aktuellen Kurs der Bundesregierung. Sie ist die einzige parlamentarische Kraft, die scharf in Opposition zum Nato-Kurs der Ampel-Regierung geht. Sie macht natürlich die obligatorische Verurteilung Russlands mit (siehe "Positionspapier der AfD-Bundestagsfraktion zum Russland-Ukraine-Krieg".

Apropos "völkerrechtswidriger Angriffskrieg Russlands, den wir scharf verurteilen": Dass Deutschland als europäische Führungsmacht, als Aufsichtsmacht über globale Konflikte, befugt ist, in Gewaltaffären Recht zu- und abzusprechen, leuchtet der AfD selbstverständlich ein. Sie entwickelt das sogar weiter – mit einem Moment von nationalem Größenwahn – zur Rolle des Vermittlers, der zwischen, ja über den streitenden Parteien im Ukraine-Krieg zur Regelung weltpolitischer Affären schreiten soll.

Bismarcks Kalauer vom "ehrlichen Makler" lässt grüßen! Und Bismarck mit seinem geradlinigen preußischen Militarismus ist ja auch ein expliziter Bezugspunkt der AfD, wenn sie sich etwa im Deutschen Bundestag zu außen- und sicherheitspolitischen Fragen äußert.

Aber trotzdem hat die Partei was gegen diesen Krieg und gegen die Kosten, die er der Nation aufbürdet: Hier ist "nicht der Krieg, sondern sein unzureichender Ertrag für die deutsche Sache, welche auch immer, das Problem", wie der Gegenstandpunkt formulierte. So kann die AfD sich auch mit lautem Protest für wirkliche Inflationsbekämpfung und solide Haushaltsführung zu Wort melden und auf vielfältige Nöte der Bürgerschaft hinweisen.

Das muss man konstatieren, wobei aber in einem grundsätzlichen Punkt Klarheit herrschen sollte: Die AfD hat weder die soziale Frage "gekapert", sie also anderen entwendet und für sich vereinnahmt, noch ist ihr Manko, dass sie überhaupt keine Antworten auf die drängenden Zeitfragen anzubieten hätte.

Was sich hier zu Wort meldet, ist ein rechtsradikales Programm, das mit seinen eigenen Inhalten in der demokratischen Parteienkonkurrenz antritt, Gemeinsamkeiten mit dem konservativen Lager aufweist und sich von der Linken entschieden abgrenzt. Dabei ist ebenfalls einzuräumen, dass es in der deutschen Linkspartei – siehe Sahra Wagenknecht – Positionen gibt, die nationale Erfolgsmaßstäbe und -wege attraktiv finden und hier auf ihre Art Anschluss suchen.

Nähere Auskunft zum rechten Aufschwung gibt auch die Reihe "Gestalten der Faschisierung" des Argument-Verlags, in der jetzt ein neuer Band erschienen ist, der sich mit Björn Höcke befasst, dem AfD-Fraktionsvorsitzenden im Thüringer Landtag und Gründer des einflussreichen "Flügels" der Partei, der 2020 nominell aufgelöst wurde.

Höcke gilt auch als besonderer Treiber einer Antikriegsstimmung und Putin-Freundschaft im Lande, als graue Eminenz der AfD, so dass jetzt im Blick auf seine Partei die Thüringer SPD-Abgeordnete Dorothea Marx härteste Konsequenzen fordert: "Für mich ist die Zeit reif, dass das Bundesverfassungsgericht über ein AfD-Verbot, zumindest in Thüringen, entscheidet."

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