"Linksunten.Indymedia" verboten
Drei Freiburger als mutmaßliche Hauptbetreiber identifiziert
Heute machte das Bundesinnenministerium bekannt, dass es das Portal "Linksunten.Indymedia" nach § 3 des Vereinsgesetzes (VereinsG) verboten hat. Vorher hatte das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) einem Bericht der Tageszeitung Die Welt zufolge drei Freiburger als mutmaßliche Hauptbetreiber der Plattform ausgemacht, denen das Verbot bei Hausdurchsuchungen zugestellt wurde. Bei einer gleichzeitig durchgeführten Durchsuchung des "autonomen Kulturzentrums KTS" in Freiburg wurden Schlagstöcke, Zwillen und andere laut Innenminister Thomas de Maizière für den gewaltbereiten Linksextremismus typische Gegenstände gefunden. Außerdem beschlagnahmten die Behörden Laptops. Die drei Personen wurden angeblich nicht festgenommen, sondern befinden sich Medienberichten nach weiterhin auf freiem Fuß.
Auch wenn Linksunten.Indymedia nicht in ein Vereinsregister eingetragen ist, handelt es sich dem Bundesinnenministerium nach faktisch um einen Verein, dessen Mitglieder keine schriftlichen, sondern lediglich mündliche oder durch konkludentes Handeln etablierte Verträge schließen mussten. In der Begründung für das Verbot heißt es, die Plattform der Autonomenszene richte sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung und laufe "nach Zweck und Tätigkeit den Strafgesetzen zuwider".
Linksunten.Indymedia ist nicht identisch mit der weiterhin erlaubten Website "de.indymedia.org", die zu einem weltweiten Verbund von Sites gehört, der nach den Protesten gegen das Treffen der Welthandelsorganisation WTO 1999 in Seattle aufgebaut wurde, weil die Organisatoren eine ihrer Ansicht nach verzerrte Darstellung durch Mainstreammedien beklagten. Auf dem jetzt verbotenen Portal feierten Linksextremisten immer wieder Autobrandstiftungen, andere Anschläge und Gewalt gegen Polizeibeamte und Menschen, die man anderer Meinung wähnte. Auch Aufrufe zur Gewalt, Bekennerschreiben für Anschläge und Anleitungen zum Bau von Molotow-Cocktails wurden dort regelmäßig veröffentlicht.
In einer "Die soziale Revolution ist und bleibt die einzige Perspektive" betitelten Selbstdarstellung der Betreiber heißt es: "Ob Besetzungen, Anschläge, Debatten oder Lohnkämpfe - es passiert wenig Rebellisches im Hier und Jetzt, zu dem nicht auf 'linksunten' aufgerufen oder berichtet wird." Zum Prinzip der Anonymität der Verfasser der Texte meinten sie an anderer Stelle: "Wir wollen gar nicht wissen, wer all die schönen Anschlagserklärungen veröffentlicht hat". Entfernt wurden Beiträge im Regelfall nur, wenn man sie für "Schwarze Propaganda" politischer Gegner hielt.
Seit 10 Uhr 30 offline
Die Plattform war bis etwa 10 Uhr 30 erreichbar. Seitdem findet sich auf der Plattform nur mehr der Satz: "Wir sind zur Zeit offline ...". Das legt nahe, dass nicht Polizeitechniker, sondern Komplizen der mutmaßlichen Hauptbetreiber die Server abgeschaltet haben - möglicherweise deshalb, um Anonymisierungsvorkehrungen zu überprüfen und/oder Beweismaterial zu löschen. De Maizière hatte vorher bekannt gegeben, über Rechtshilfeanfragen Zugriff auf Geräte im Ausland zu suchen und verkündet, dass der Weiterbetrieb der Site "ab sofort eine Straftat" sei. Twitter hat den Account von Linksunten.Indymedia bislang noch nicht entfernt. Der vorerst letzte Tweet wurde heute Nacht um Null Uhr abgesetzt.
Dass die bereits vor gut acht Jahren online gegangene Plattform erst jetzt verboten wird, hängt möglicherweise damit zusammen, dass sich die Bundesregierung nach der Verabschiedung des "NetzDG" gegen "Hate Speech" und "Fake News" in Sozialen Medien zunehmend der Frage ausgesetzt sah, warum dort offen zu Straftaten aufgerufen werden konnte, während man anderswo bloße Auszüge aus Polizeiberichten sperrte.
Zensurparadoxon
Hinzugekommen könnte sein, dass das Phänomen des gewaltbereiten Linksextremismus nach den G20-Krawallen in Hamburg (wo viele der Geschädigten immer noch auf die von der Politik versprochenen Entschädigungen warten), einer auf die Berliner Autonomenszene hinweisenden Explosion in der Dresdner Neustadt, Brandanschlägen auf Bahnanlagen (die den Verkehr zwischen Berlin, Hannover und Hamburg massiv störten) und einem körperlichen Angriff von Linksextremisten auf einen jungen Mann (der nach schweren Kopfverletzungen und Hirnblutungen bleibende Schäden davontragen wird), immer mehr Wählern nicht mehr als "aufgebauschtes Problem" erscheint. In Sozialen Medien war das deutlich zu merken - gerade von geplagten Fahrgästen.
Das Verbot kommt eine Woche, nachdem in den USA die Neonazi-Website The Daily Stormer faktisch vom Netz genommen wurde - nicht durch ein behördliches Eingreifen, sondern durch die IT-Unternehmen GoDaddy, Google und Cloudflare. Die Reaktionen auf diese Verbannung (vgl. US-Bürgerrechtler: Redefreiheit im Netz muss auch für Neonazis gelten) weisen auf ein Paradoxon hin, das auch bei der Zensur von Linksunten.Indymedia greift (wo sich unvoreingenommene Beobachter anhand von Beiträgen Linksextremer ein Bild machen konnten, das dem Narrativ, Gewalt gehe immer nur von der anderen Seite aus, durchaus widersprach): Wer Meinungsäußerungen potenziell gefährlicher Gruppen verbietet, der sorgt dafür, dass man sie potenziell unterschätzt (vgl. Information und Spektakel).