Literarisches Ping-Pong in Mexiko
Gesuchter Guerillaführer und Krimiautor schreiben vierhändigen Roman
"Unbequeme Tote" - so soll der Krimi heißen, an dem der legendäre Sprecher der zapatistischen Befreiungsarmee EZLN, Subcomandante Marcos, und der bekannteste mexikanische Kriminalautor Paco Ignacio Taibo II derzeit vierhändig arbeiten - ohne sich dabei über Plot und Inhalte direkt verständigen zu können.
"Ich habe mich gefühlt, als hätte Marylin Monroe soeben um meine Hand angehalten", sagt Paco Ignacio Taibo II zu dem Vorschlag von Subcomandante Marcos, zu zweit und vor aller Öffentlichkeit einen Kriminalroman zu entwickeln.
Alles fing mit einem Boten an, der an die Haustür von Paco Ignacio Taibo II in Mexiko-Stadt klingelte. Er trug einen Umschlag aus dem lacandonischen Regenwald im Süden des Landes bei sich, unterzeichnet von Subcomandante Marcos. Taibo, der Marcos nach eigenen Worten noch nie persönlich begegnet ist, sagt, die Umstände der Übergabe hätten ihm die Authentizität des Schreibens garantiert. "Noch nie hatte mir jemand einen derartig verrücktes Abenteuer vorgeschlagen." Gerade deshalb hat Taibo, der das Chaos leidenschaftlich liebt, sich auf die Sache eingelassen. Und weil er tiefe, unverhohlene Sympathien für die indigene Zapatisten-Guerilla und deren wortgewandten Sprecher hegt.
Subcomandante Marcos' literarisches Talent ist unbestritten - schon in den ersten Tagen des EZLN-Aufstands vom 1. Januar 1994 gelang es ihm, durch eine einzigartige Sprache und eine treffende Beschreibung der gesellschaftlichen Verhältnisse im Zeitalter des Neoliberalismus, die Augen der Weltöffentlichkeit auf den lange vergessenen mexikanischen Bundesstaat Chiapas zu lenken und der EZLN zu einer internationalen Popularität zu verhelfen, wie sie seit dem Sieg der Sandinisten in Nicaragua 1979 wohl keine Guerillabewegung der Welt mehr hatte. Mit den Figuren aus seinen Erzählungen, dem Käfer Durito und dem Alten Antonio, hat Marcos Symbole geschaffen, auf die sich heute Globalisierungskritiker in aller Welt beziehen. Seit neuestem erzählt Marcos auch live Geschichten im EZLN-eigenen Radiosender Radio Insurgente (Zapatistenradio im Internet).
Seit Mitte Dezember erscheinen die Kapitel von Muertos Incómodos -zu deutsch "unbequeme Tote" - wöchentlich in der mexikanischen Tageszeitung La Jornada. Sie werden im Wechsel geschrieben, das erste von Subcomandante Marcos, das zweite von Paco Ignacio Taibo II, das Dritte wieder von Marcos.
"Wir schreiben gegen die Zeit, es ist eine seltsame Tour de Force", sagt Taibo, da jeder der Gegenspieler exakt zwei Wochen hat, um aufgrund der vom Gegenüber gelieferten Vorlage die Handlung weiterzuspinnen. Direkt austauschen können sie sich über ihre Arbeit nicht, denn Taibo II ist eingefleischter Städter und sitzt in der Hauptstadt, während Marcos seit zwanzig Jahren durch den südmexikanischen Dschungel streift und seit dem zapatistischen Aufstand von 1994 auf den Fahndungslisten der mexikanischen Behörden steht.
Jeder der beiden Autoren hat bisher seinen eigenen Helden eingeführt: Subcomandante Marcos hat Elías Contreras erschaffen, indigener Ermittler im zapatistischen Autonomiegebiet, der dort auf Anweisung der Comandancia General Mord- und andere Problemfälle aufklärt. Contreras spricht spanisch im Stil der Maya-Indianer und hat auch ihre ganz spezielle Sicht auf die Welt, aus der sich Mexiko-Stadt als fernes Monster darstellt, wo seltsame Sitten herrschen.
Taibo II dagegen greift auf den Helden seiner frühen Kriminalromane zurück, den einäugigen Detektiv Héctor Belascoarán, der sich in Mexiko-Stadt ein Büro mit einem befreundeten Polsterer teilt. Der Dschungel, in dem er zu Hause ist, besteht aus einer Unmenge von Autos, Menschen und Fernsehantennen.
Der Roman, so Taibo, soll eine eindeutig politische Handlung haben. Er ist denn auch in der Gegenwart angesiedelt und spielt bereits jetzt nicht nur auf den Kampf der Zapatisten, sondern auch auf andere Missstände an, die derzeit für die mexikanische Öffentlichkeit relevant sind - so zum Beispiel auf die erwiesene Korruption aller großen politischen Parteien und die Weigerung der heutigen Herrschenden, die politische Verantwortung für den schmutzigen Krieg Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre zu übernehmen (Tödlicher Sicherheitswahn in Mexiko). So führte Taibo einen 1971 ermordeten Aktivisten der 1968er Studentenbewegung ein, der plötzlich Nachrichten auf Anrufbeantwortern hinterlässt.
Die beiden Autoren haben sich vorgenommen, insgesamt etwa zwölf Kapitel zu schreiben, ohne dass dies eine rigide Vorgabe wäre. Ungefähr im siebten sollen die beiden Erzählstränge in der mexikanischen Hauptstadt zusammenlaufen, wo - so die Vorgabe von Marcos - die Helden sich am Revolutionsdenkmal begegnen sollen.
Ursprünglich war geplant, den Roman sogar sechshändig zu schreiben, gemeinsam mit dem Spanier Manuel Vázquez Montalbán, der sich mit Subcomandante Marcos lange Zeit geschrieben und ihn auch in Chiapas besucht hat, um daraufhin das Buch "Marcos, Herr der Spiegel" herauszugeben (Wagenbach 2000). Dieses Vorhaben konnte jedoch aufgrund des Todes von Vázquez Montalbán im vergangenen Jahr so nicht durchgeführt werden. Die beiden verbliebenen Verfasser haben "Unbequeme Tote" nun als Hommage an den verstorbenen Spanier konzipiert - indem sie zahlreiche Hinweise auf Montalbán und dessen kulinarisch interessierten Kommissar Pepe Carvalho eingebaut haben.
Taibo, der für die Arbeit an diesem Gemeinschaftswerk die Biografie des mexikanischen Revolutionshelden Pancho Villa beiseite legen musste, an der er gerade saß, hat keine Angst, von den Zapatisten instrumentalisiert zu werden: "Im Gegenteil: Der Gedanke, dass sie mich benutzen könnten, um ihrem Anliegen mehr öffentliches Gewicht zu verleihen, ist mir ganz und gar angenehm", so der mehrfache Preisträger und Organisator des alljährlichen Krimi-Festivals Semana Negra im spanischen Gijón vor dem Publikum der Buchmesse in Guadalajara, wo er das gemeinsame Vorhaben öffentlich machte.
Zahlreiche Verlage aus aller Welt haben bereits die Rechte des gerade erst entstehenden literarischen Werks erworben - in Deutschland der Berliner Verlag Assoziation A, bei dem nach "Vier Hände", "Erzengel" und "Gerufene Helden" soeben mit "Die Rückkehr der Schatten" ein weiterer Roman von Paco Ignacio Taibo II erschienen ist, in dem es um die deutsch-mexikanischen Beziehungen während der Nazizeit geht. Den Erlös aus den Autorenrechten wollen Subcomandante Marcos und Paco Ignacio Taibo II einer Nichtregierungsorganisation aus Chiapas zukommen lassen, die den Kampf der Zapatisten unterstützt. Welche das sein soll, sei noch nicht entschieden, so Taibo.