Lockdown und Rückgang der Impfskepsis in Russland

Russland gilt als Land der Impfgegner - und die aktuelle Coronavirus-Welle trifft es äußerst hart. Erstmals will sich nur noch eine Minderheit weiterhin nicht impfen lassen

Die Anzahl der Neuinfektionen mit dem Coronavirus und der Todesopfer klettert in Russland von Rekord zu Rekord. Während in Deutschland Aussagen zu einer Übersterblichkeit heiß diskutiert werden, ist das Bild in Russland eindeutig: Die Sterblichkeitsrate ist im Vergleich zum Vorjahr um 18,3 Prozent gestiegen, meldet die offizielle Statistikbehörde Rosstat.

Covid-19 ist die häufigste offizielle Todesursache - obwohl niemand im Land von einer lückenlosen Erfassung aller Corona-Toten ausgeht. Jeden Tag wird aktuell eine Todeszahl über 1.000 gemeldet. Die tatsächliche Opferzahl dürfte deutlich darüber liegen, worauf die Übersterblichkeit hinweist. Präsident Wladimir Putin selbst nennt die Situation im Land sehr ernst: Es gebe so viele Fälle wie noch nie.

Erstmals keine Impfgegner-Mehrheit mehr unter den Russen

Die niedrige Impfrate der Bevölkerung und die immer noch fehlende Herdenimmunität werden in der russischen Presse als Ursachen der Situation genannt. Bei einer Umfrage des Lewada-Zentrums Ende Oktober bezeichneten sich nur 33 Prozent der Teilnehmer als geimpft. Es gibt jedoch angesichts der ernsten Situation einen Umschwung bei der Impfbereitschaft. Erstmals erklärte im Oktober nur noch eine Minderheit der Russen - die Umfrage wird regelmäßig durchgeführt - sich auch weiterhin nicht impfen lassen zu wollen. Genau sind es nun 45 Prozent.

Die Impfbereitschaft soll nun mit zusätzlichen arbeitsfreien Tagen bei Impfung gesteigert werden. Der Trend beim Impfgeschehen ist ein Spiegel eines langsamen Bewusstseinswandels, der in Russland gerade stattfindet und der von einer übergroßen Sorglosigkeit weg führt. In einer solchen haben bei Verkündung des aktuellen ein- bis zweiwöchigen Lockdowns viele Russen Reisen gebucht.

Nun meldet die Tageszeitung Kommersant, ein Drittel dieser Reisebuchungen sei wieder storniert worden. Selbst in Touristenzentren will man aktuell keine Reisenden haben. In Sewastopol auf der Krim wurde sogar eine Straßensperre an der Stadtgrenze errichtet, um die Einreise von Covid-Flüchtenden aus anderen Regionen zu verhindern.

Ein Viertel der Russen hatte Corona-Todesfälle im Bekanntenkreis

Woran der beginnende Stimmungswandel liegt, enthüllen weitere Daten, die Levada erhob. Mehr als die Hälfte der Russen glaubt, dass dem Land die schlimmsten Auswirkungen der Pandemie noch bevorstehen. Die früher geringe Angst vor einer Infektion nimmt zu, auch weil inzwischen 39 Prozent der Russen Personen kennen, die eine Infektion mit schwerem Verlauf durchlebt haben; und mehr als ein Viertel hat im Bekanntenkreis inzwischen auch Todesfälle durch die Pandemie erlebt.

Dennoch ist der aktuelle landesweite Lockdown, der offiziell "arbeitsfreie Zeit" genannt wird, nicht besonders streng. In Moskau als dem wichtigsten Hotspot gibt es keine "ausgestorbenen" Straßen; nur die Restaurants und Cafés arbeiten ausschließlich im Take-away-Modus, Fitnesscenter, Bekleidungsgeschäfte und Bibliotheken sind geschlossen.

Unpopulär ist der Lockdown trotzdem, denn weder kleinere Unternehmer noch Beschäftigte verfügen in Russland über ein bequemes Finanzpolster. Arbeitgeber müssen in der Zwangspause eigentlich den Lohn weiter zahlen, tun das teilweise jedoch nicht; Arbeitnehmer trauen sich nicht zu widersprechen oder sehen bei jetzt geschlossenen Kleinfirmen, wie wirtschaftlich schwer das ist.

3G-Regeln und kostenlose Schnelltests

In Russland noch nicht so lange verankert ist das in Deutschland so genannte 3G-Modell. Doch hier zieht das Land ebenfalls nach. Zutritt zu vielen Museen und Touristenattraktionen wird nur noch geimpft, getestet oder genesen gewährt. In Sankt Petersburg wurden dabei zeitweise auch ausländische Impfnachweise akzeptiert, was einen Streit mit der Seuchenschutzbehörde auslöste.

Veranstaltungen und Events werden nur mit entsprechenden QR-Codes für eine Maximalauslastung von 70 Prozent genehmigt. Die Politik geht auf Anweisung von ganz oben mit gutem Beispiel voran. Laut der Nachrichtenagentur Tass dürfen in den Ministerien persönliche Besprechungen nun faktisch ebenfalls nur noch nach der 3G-Regel durchgeführt werden. Im Gegensatz zur übrigen Bevölkerung sind in den Ministerien jedoch 80 Prozent der Mitarbeitenden geimpft.

Ein weiteres Phänomen, das in Deutschland schon wieder zur Pandemiegeschichte gehört, taucht in den Straßen von Moskau aktuell auf. Die Tageszeitung Nesawisimaja Gaseta berichtete am Montag von 50 kostenlosen Schnellteststationen, die sich in Einkaufszentren oder an zentralen Verkehrsknotenpunkten befinden. In Moskau ist die Sensibilität für die Seuche bereits längere Zeit höher als im Landesdurchschnitt, was aber vor allem an einer hohen Opferzahl liegt. Auch aktuell steigen laut der Nesawisimaja Gaseta die Infektionszahlen.

Der bekannte Virologe Pawel Woltschow geht in der Onlinezeitung Lenta davon aus, dass die Spitze der Infektionszahlen in Russland in etwa zwei Wochen erreicht wird. Auch er plädiert in der Zeit bis dahin für harte Maßnahmen - die Inzidenz werde nur zurück gehen, wenn restriktive Maßnahmen eingehalten werden. Sein Nowosibisker Kollege Alexander Schestopalow rechnet mit einem Rückgang der Infektionszahlen erst im Dezember und rät seinen Landsleuten bis dahin von Reisen ab.

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