Lockruf des Mondes

Immer mehr Wissenschaftler, Ingenieure, Politiker und Weltraumnationen wollen die lunare Renaissance

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Nach den wissenschaftlich eher dürftigen Apollo-Mondmissionen hat ein neuer Wettlauf zum Erdtrabanten begonnen. Hierbei kommt aber nicht der klassische amerikanisch-sowjetische Dualismus zum Tragen. Entscheiden wird sich dieses Kopf-an-Kopf-Rennen auf multinationaler Ebene: zwischen Europa, China, Japan, Russland und den USA. Welche Nationen in der nächsten Dekade im Buch der Raumfahrtgeschichte auch immer ein altes Kapitel aufschlagen und eine neue Seite hinzufügen werden, hängt von deren Bereitschaft ab, Geld zu investieren und Risiken einzugehen. Fakt ist: Der Erdtrabant hat mehr zu bieten als langweilige Mondsteine.

„A small step for a man, but a giant leap for mankind“ jubelte dereinst Neil Armstrong bei seinen ersten Schritten auf dem Mond mit schauspielerischer Leichtigkeit ins Helm-Mikrofon. Was aber seinerzeit auf etliche Millionen von irdischen Zuschauern und Zuhörern wie ein spontaner Gefühlsausbruch wirkte, war in Wirklichkeit eine im Vorfeld wohl überlegte und en detail abgesprochene Äußerung, ein präparierter Spruch für die Geschichtsbücher.

Lückenhaftes lunares Wissen

So zitierfähig diese Bemerkung auch immer gewesen ist – die letzten Worte des bis dato letzten Menschen auf dem Mond hingegen waren sie nicht. Als der amerikanische Apollo-Astronaut Eugene Cernan am 12. Dezember 1972 ein letztes Mal auf die bizarre, von Kratern durchzogene wüstenartige Landschaft und den feinen mehligen Sandstaub blickte, verabschiedete er sich mit den wenig prosaischen Worten „Let’s get this mother…… out of here!“ von dem Erdtrabanten.

Erdaufgang – Aufnahme der Apollo 16-Mission (Bild: NASA)

Gewiss, zu diesem Zeitpunkt ahnte noch keiner, dass er der letzte Mensch des 20. Jahrhunderts sein sollte, der seinen Fuß auf einen fremden Himmelskörper setzt. Damals befand sich das Apollo-Programm zwar schon in einer kleineren Krise; doch dass alle weiteren angedachten bemannten Mondmissionen so schnell auf Nimmerwiedersehen im Haushaltsloch der NASA verschwinden würden, kam dann doch überraschend. Dass seit nunmehr fast 34 Jahren kein irdisches Lebewesen, keine Landefähre mehr den weißen samtenen Mondstaub aufwirbelte, schmerzt heute umso mehr, weil selbst die sechs erfolgreichen bemannten Apollo-Mondlandungen und diversen unbemannten Raumsonden-Missionen es nicht vermochten, dem Mond seine Geheimnisse vollends zu entreißen. Der erdnächste fremde Himmelskörper ist nach wie vor ein Buch mit sieben Siegeln, wie der Projektwissenschaftler von SMART-1 Bernhard Foing bestätigt: "Unser Wissen über den Mond ist erstaunlich lückenhaft."

Mond im Visier

Aber nicht nur der lunaren Wissenslücken wegen melden sich derzeit immer mehr Wissenschaftler, Techniker und teilweise auch Politiker mit der Forderung „It’s time to go back!“ zu Wort. Seit dem Scheitern des Geisterraumschiffs ISS ist der Mond wieder in aller Munde und sein Ansehen stetig gestiegen.

Foto von der ISS, aufgenommen am 6. August 2005 von einem Mitglied der Discovery-Besatzung (Bild: NASA)

Seitdem gewinnen rund um den Globus immer mehr Ideen auf Reißbrettern an Konturen. Ob Europa, China, Japan, Russland oder die Vereinigten Staaten – die etablierten Weltraumnationen haben den Mond fest im Visier. Längst hat der Wettlauf zum Mond den Wettlauf zum Mars überholt. „Wir gehen davon aus, dass man keine Zeit verlieren darf“, sagte noch vor wenigen Tagen der Leiter der bemannten Flüge bei der russischen Raumfahrtagentur Roskosmos, Alexej Krasnow, der bereits in zehn Jahren die ersten Kosmonauten zum Mond senden will. Der erste bemannte Mondflug soll ins nächste staatliche Programm zur Entwicklung der Raumfahrt aufgenommen werden. Dabei beabsichtigt Russland, sich nicht irgendwelchen ähnlich gearteten Plänen der USA und Chinas gegenüberzustellen.

Der Mondkrater De Gasparis: Aufnahme des ESA-Mondorbiters SMART vom 14. Januar 2006 (Bild: ESA)

Vor knapp zwei Jahren erklärte der Chef der chinesischen Raumfahrtbehörde Sun Laiyan, dass China bis zum Jahr 2007 seine erste unbemannte Raumsonde zum Mond starten werde, die den Trabanten zu Forschungszwecken umkreisen soll. Noch vor dem Beginn der olympischen Spiele 2008 in Peking soll das Projekt dann bereits auf Hochtouren laufen. "Das ist der erste Schritt. Der zweite ist, die Landung einer unbemannten Raumsonde auf dem Mond durchzuführen", so Laiyan. Das mit Kameras, Teleskopen und Seismografen ausgestattete Gefährt soll dabei die lunare Umgebung erforschen, Daten sammeln und diese umgehend zur Erde senden. Zu guter Letzt sollen im Rahmen einer weiteren Mission Bodenproben gesammelt und zurück zur Erde gebracht werden. "All diese Missionen werden unbemannt sein", sagt Laiyan. In der Dekade danach wolle Peking dann den ersten bemannten nationalen Mondflug riskieren.

SETI und La Luna

Selbst auf der kürzlich zu Ende gegangenen großen Astrobiologie-Konferenz AbSciCon 2006 in Washington D.C. verstrickten sich Forscher aus verschiedenen Disziplinen hinsichtlich der Bedeutung des Mondes für die Astronomie und die Ausbildung und Entwicklung des irdischen Lebens in tiefe Diskussionen. Dass sich hierbei vor allem die SETI-Forscher lautstark zu Wort melden, liegt auf der Hand. Schließlich befindet sich die Radioastronomie und damit auch die klassische SETI-Suchmethode derzeit in einer großen Krise.

Das noch im Aufbau befindliche Allen Telescope Array (ATA) wird aus 350 zirka sechs Meter großen Radioteleskopen bestehen, die dem Prinzip der Interferometrie folgend im Verbund zusammengeschaltet werden. Auf dem Mond wäre eine solche Anlage noch leistungsfähiger – auch ein Interferometer mit optischen Teleskopen. (Bild: SETI)

Denn ganz gleich, von wo aus sie ihre Hochleistungsantennen gen Himmel richten: Ein ungestörtes Belauschen des "Äthers" ist selbst fernab aller städtischen Luft- und Lichtverschmutzung nahezu unmöglich. Überall und ständig funken Satelliten, Flugzeuge, Radio- und TV-Sender sowie Mobiltelefone dazwischen. Sogar das mit einer 305 Meter großen Schüssel weltgrößte Radioteleskop in Arecibo (Puerto Rico) kämpft inzwischen mit der unliebsamen Flut der einströmenden Radiostrahlen. Immer mehr entschwinden die erhofften Informationen aus dem All in irdischem Radiorauschen. "Der grenzenlose Appetit der Menschheit auf Technologien, die störende Radiofrequenzen nutzen, verdunkelt das Fenster zu anderen Welten immer mehr", sagt die SETI-Forscherin Jill Tarter, die seit Jahren nach Funksignalen einer intelligenten außerirdischen Zivilisation sucht. "Diese Entwicklung könnte uns zwingen, unsere Suche eines Tages auf der abgewandten Seite des Mondes fortzusetzen – dem einzigen Ort in unserem Sonnensystem, an dem die Erde nie am Himmel zu sehen ist."

Radioastronomie auf dem Mond: vorerst Zukunftsmusik, mit Sicherheit aber noch in diesem Jahrhundert Realität… (Bild: NASA)

Genau dies will jetzt der italienische Astronom und SETI-Forscher Claudio Maccone vom Centre for Astrodynamics in Turin mit einem Planungskonzept für die International Academy of Astronautics (IAA) in die Wege leiten. Das Projekt ist bereits so weit gediehen, dass schon das Grundstück auf dem Mond ausgesucht worden ist, wo das Teleskop in 15 bis 20 Jahren gebaut werden soll. Das Terrain ist der Mondkrater Daedalus, der einen Durchmesser von zirka 80 Kilometern aufweist und gleich einer ganzen Armada von Radioteleskopen Platz böte.

Mondkrater Daedalus – vorgesehen als Terrain für Radioteleskop und Basisstation (Bild: NASA)

Diese Region eignet sich gerade deswegen so gut, weil sie von einem drei Kilometer hohen Kraterrand umgeben ist, der sogar jene Strahlen abblocken würde, die sich um den Mond herum zur erdabgewandten Mondhälfte verirren könnten. Andere Forscher halten den Shackleton-Krater für geeigneter. Auf jeden Fall sei der Mond für SETI die perfekte Lösung, betont der Fachjournalist David L. Chandler in dem englischen Wissenschaftsblatt New Scientist: „If ET does phone, the moon would be an ideal answering machine.“

Optische lunare Astronomie

Aber auch die Vertreter der klassischen, sprich optischen, Astronomie kommen auf dem Erdsatelliten auf ihre Kosten, herrschen doch auf dem Mond ähnliche Bedingungen wie im Erdorbit. Einerseits fehlt hier eine störende Atmosphäre, andererseits beeinträchtigen keine Lichtquellen irgendwelche Observationen. „Im Vergleich zum All ist es sogar noch einfacher, vom Mond aus Beobachtungen durchzuführen“, erklärt Yervant Terzian von der Cornell University in Ithaca (New York). Vor allem sei es leichter, auf dem Mond eine Armada von Fernrohren zu installieren und zu einem optischen Interferometer zusammenzuschließen. Ideal sei es, so Terzians Vorschlag, auf dem Mond – verteilt auf ein Areal von einem Kilometer Größe – Hunderte kleine Teleskopen zu befestigen, deren Durchmesser zirka ein Meter betrage. Zusammengeschaltet zu einem Interferometer würde eine solche Fernrohrflotte die Leistungsfähigkeit eines Riesenfernrohrs mit einem Durchmesser von einem Kilometer erreichen.

Die erste Mondbasis wird wohl nur wenig Komfort bieten können (Bild: ESA)

„Der Mond stellt im Sonnensystem die besten Grundstücke für eine wissenschaftliche Forschung“, schreibt Chandler im New Scientist wohl nicht zu Unrecht. Dass sich die NASA dieses Umstandes bewusst ist, beweist allein deren jüngste Ankündigung, den Etat für das bemannte Raumfahrtprogramm in den nächsten Jahren um mehrere Milliarden Dollar aufzustocken, sofern die US-Regierung respektive der Kongress die Gelder zur Verfügung stellt. „Es gibt einen fundamentalen Umbruch in den Planungen der NASA. Die Agentur hat in den letzten Jahren intern viele dramatische Wandlungen erfahren – und das finde ich voll und ganz erfrischend“, freut sich Butler Hine, der stellvertretende Projektleiter des "Lunar Robotic Exploration"-Programms der NASA.

Apollo 17 in Action, sofern sie wirklich die Reise zum Mond angetreten hat … (Bild: NASA)

Sprungbrett zum Mars

Fakt ist: Noch gibt es keine konkreten Eckdaten für eine bemannte Mission zum Mond. Aber sicher ist, dass die NASA ab dem Jahr 2018 eine vierköpfige Crew zum Erdtrabanten schicken will, die eine Woche auf dem Mond weilen soll. Deren Aufgabe wäre es dann, den Weg für weitere Mond-Missionen zu ebnen, insbesondere das Terrain für eine erste Mondbasis zu erkunden und nicht zuletzt den bemannten Sprung zum Mars vorzubereiten. Denn es kristallisiert sich immer mehr heraus, dass nicht die Internationale Raumstation, sondern der Mond als Kolonie – zumindest langfristig gesehen – das Sprungbrett für bemannte Mars-Missionen und darüber hinaus sein wird.

Auch private und kommerzielle Anbieter schlafen nicht. Der Bremer Raumfahrtkonzern EADS Space Transportation etwa zieht zusammen mit der niederländischen Stiftung für Astronomieforschung (Astron ernsthaft in Erwägung, ein Dutzend Sonden zur Rückseite des Mondes zu befördern. Diese sollen dann jeweils 100 Mini-Antennen bis zu 300 Meter weit hinausschleudern und die später aufgefangenen Signale zur Bodenstation auf der Erde übermitteln. Die Aufgabe des Riesenteleskops bestünde darin, den Wellenbereich über 30 Meter ins Visier zu nehmen. Dieser Frequenzbereich war bislang kaum beobachtbar, da er auf der Erde und im Erdorbit von Tausenden Kurz-, Mittel- und Langwellensendern überstrahlt wird.

Lunacorp – Computerspiel der Zukunft (Bild: Lunacorp)

Den Mond auf andere Weise erobern will die US-Firma Lunacorp in Kooperation mit der Carnegie Mellon University in Pennsylvania (USA). In der nächsten Dekade wollen beide auf dem Mond ferngesteuerte Roboter platzieren, die User vom Schreibtisch aus gegen adäquate Bezahlung in Aktion setzen können. Parallel würden die Maschinen auch zu wissenschaftlichen Zwecken genutzt. Andere Konzerne machen keinen Hehl daraus, dass sie mehr an den Rohstoffen, sprich den Bodenschätzen auf dem natürlichen Satelliten der Erde interessiert sind. Schließlich ist der Erdsatellit nicht nur mit zahlreichen Kratern, sondern auch mit riesigen Rohstoffvorkommen gesegnet, die später einmal zum lunaren Exportschlager avancieren könnten.

Lunar-Hilton-Hotel

Bei alledem ist der Mond natürlich auch eine touristische Attraktion, die es rechtzeitig zu vermarkten gilt. So befasste sich der britische Star-Architekt Peter Inston schon im Jahr 1998 im Auftrag des Hotelkonzerns Hilton International mit dem ehrgeizigen Lunar-Hilton-Projekt. Bis zum Jahr 2050 sollte nach Vorstellung der Hotelkette inmitten der kraterübersäten sandigen Mondlandschaft ein Luxushotel entstehen. Das Gebäude, das Inston seinerzeit zeichnete, war laut Skizze 325 Meter hoch und mit 5000 Betten ausgestattet. Für die Nobelherberge mit Kleinstadtcharakter waren eine eigene Schule, ein Krankenhaus und eine multikonfessionelle Kirche vorgesehen. Sandstrände an künstlich angelegten Mondseen sollten garantieren, dass auch das Badevergnügen nicht zu kurz kommt. Selbst ein hotelinternes Wasser-Recyling-System sollte eingerichtet werden. Doch inzwischen hat auch der letzte Weltraumtourismus-Optimist begriffen, dass das Lunar-Hilton-Projekt nicht mehr als ein cleverer Marketing-Gag ist.

… kein Hotel für Touristen, eher eine Mondstation für Profis… (Bild: Alltra)

Selbstverständlich werden auf dem Mond langfristig gesehen irgendwann einmal „Gästehäuser“ etc. Wurzeln schlagen. Nur werden diese keineswegs auf dem Niveau von Hilton sein, wie der deutsche Weltraumtourismusexperte Dr. Michael Reichert vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR in Köln zu bedenken gibt: "Die ersten Touristen auf dem Mond werden nicht so komfortabel wie im Lunar Hilton, sondern eher auf Raumstationsniveau untergebracht sein." Bis also die ersten Pauschaltouristen den Mondstaub aufwirbeln und irdische Globetrotter zu lunaren Moontrottern avancieren, werden noch viele Vollmonde den irdischen Himmel erhellen.

Ein kurzes Video zur Einstimmung auf La Luna