Sylt-Skandal und Schnitzel für 8,88 Euro: Warum der Pranger Tommy Frenck nicht stört
Rassismus stirbt in der Konkurrenzgesellschaft nicht aus. Warum treffen die Sylt-Schnösel harte Konsequenzen? Wird so der Rechtsruck gestoppt? Ein Kommentar.
Neonazis mögen zwar sonst nicht besonders kreativ sein, aber im Umdichten von Oktoberfest-Songs sind sie auch das: Aus "Ich bin so schön, ich bin so toll, ich bin der Anton aus Tirol" wurde einst "Ich bin so schön, ich bin so schlau, ich bin der Adolf aus Braunau".
Die Hitler-Adaption des DJ-Ötzi-Songs
Das hätte mit viel gutem Willen noch als missglückte Blödel-Satire durchgehen können, wenn darauf nicht eindeutig menschenverachtende Reime gefolgt wären: "Meine gasverseuchten Buden sind der Wahnsinn für die Juden".
Wie oft dies tatsächlich auf dem Oktoberfest oder in umliegenden Kneipen gegrölt wurde, ist nicht überliefert – schließlich gab es Facebook, TikTok, Instagram und Co. noch nicht, als DJ Ötzi im Jahr 2000 mit dem "Anton aus Tirol" einen Hit gelandet hatte, den die braune Szene entsprechend aufgriff.
Entsprechend hilflos wirkt heute der Versuch, "Ausländer raus"-Parolen von dem Massenbesäufnis zu verbannen, indem das entsprechend umgedichtete Lied "L'Amour toujours" von Gigi D'Agostino dort nicht mehr gespielt werden darf. Das Online-Satiremagazin Der Postillon schreibt folgerichtig, das Oktoberfest wolle dieses Jahr kein Bier ausschenken, um rassistische Grölereien zu verhindern.
Ohne Rassismus im Kopf, keine Naziparolen im Suff
Alkoholbedingte Enthemmung erklärt nicht alles – sie befördert nur ans Tageslicht, was in den Köpfen der Enthemmten vorhanden ist.
Derweil tobt in ganz Deutschland die Debatte, ob man wegen so etwas gleich Nazi sei – und ob es überhaupt jemand verdient, dafür öffentlich angeprangert zu werden, wie aktuell die Partypeople im BWL-Chic, die an Pfingsten im Außenbereich eines Sylter Nobelclubs zu den Beats von "L'Amour toujours" ein bisschen "rumgehitlert" hatten.
In diesem Zusammenhang sind auch die Ergebnisse der Landratswahlen am Sonntag in Thüringen interessant. Sylt oder Hildburghausen – wo wollen wir überall hinschauen, wenn es darum geht, wie gut wir darin sind, rassistisches Gedankengut zu ächten? Und welche Einzelpersonen haben sich damit wirklich so exponiert, dass sie es für sie auf Jahre hinaus Konsequenzen haben sollte?
Hausverbot für Studentin, Wählerstimmen für Nazi-Gastwirt
Funktionieren Demokratie und Rechtsstaat, wenn einerseits eine Hamburger Studentin Hausverbot an ihrer Uni bekommt, weil sie auf Sylt betrunken "Deutschland den Deutschen, Ausländer raus" mitgegrölt hat, aber andererseits ein offen neonazistischer Gastronom in Hildburghausen in die Stichwahl kommt, nachdem er zum Beispiel an Hitlers Geburtstag Schnitzel für 8,88 Euro verkaufte?
Die 88 gilt als etablierter Szene-Code für "Heil Hitler", weil das H der achte Buchstabe im Alphabet ist. Tommy Frenck mag solche Spielchen; es sind kalkulierte Marketing-Gags; und er ist dabei wohl nicht lückenlos volltrunken.
Wegen Volksverhetzung ist er zwar nicht "vorbestraft" – das mussten Medien bereits richtigstellen – weil seine Verurteilungen bisher die Grenze von 90 Tagessätzen nicht überschritten haben.
Organisierter Neonazi seit rund zwei Jahrzehnten
Aber es darf ausgegangen werden, dass er sich die augenzwinkernde Preisgestaltung an Hitlers Geburtstag besser überlegt hat als die besagte Studentin ihr Gegröle auf Sylt. In einem Kochbuch, das auf der Homepage des Gasthofs beworben wird, präsentiert er auch "Die 88 besten Fleischgerichte aus dem Reich".
Frenck ist 37 Jahre alt und schon als Jugendlicher Mitglied der neofaschistischen NPD geworden, deren Kreisvorsitzender er zeitweise war, bevor er sich der 2009 gegründeten ultrarechten Wählergemeinschaft Bündnis Zukunft Hildburghausen (BZH) anschloss.
Im Örtchen Kloster Veßra, wo Frenck seine Gaststätte betreibt, kam er auf 31,5 Prozent, im gesamten Landkreis auf knapp 25 Prozent. Der Kandidat, gegen den er am 9. Juni in der Stichwahl antreten muss, steht nicht etwa für einen linken Gegenentwurf, sondern ist Mitglied der Freien Wähler, die 2023 in Umfragen einen Sprung nach vorne machten, nachdem antisemitische "Jugendsünden" ihres bayerischen Vorsitzenden Hubert Aiwanger bekannt geworden waren.
Der Mainstream ist in manchen Regionen Deutschlands eindeutig rechts von der Mitte – die Zielgruppe offener Neonazis wie Frenck hat eine kritische Masse erreicht. Soziale Ächtung funktioniert an diesem Punkt nicht mehr. Ganz abgesehen von der Frage, wer sie noch am ehesten verdient hätte.
Was, wenn Nazis selbst Arbeitgeber sind?
Die inzwischen peinlich berührte Studentin war vor dem Sylt-Video nicht als Mitglied extrem rechter Strukturen aufgefallen. Nun hat sie ihren Job als Assistentin einer Influencerin verloren und ihre Uni prüft – neben dem bereits verhängten achtwöchigen Hausverbot – eine Exmatrikulation.
Tommy Frenck kann dagegen weder von der Uni fliegen noch von seinem Arbeitgeber gefeuert werden, weil er als Gastwirt und Veranstalter von Rechtsrock-Konzerten selbständig ist und Gleichgesinnten "Arbeit gibt".
Rechtsextremismus in Ost und West
Nun tut er das natürlich in einem ostdeutschen Bundesland; und es gibt allerlei Theorien, warum Rechtsextremismus dort besonders verbreitet sei – Antikommunisten geben daran gern der DDR die Schuld, aber Antikommunist ist zum Beispiel auch der Ex-Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen, den seine frühere Behörde inzwischen selbst als Rechtsextremisten eingestuft hat.
Die CDU hat ein Ausschlussverfahren gegen ihn angestrengt, inzwischen hat er eine eigene Partei gegründet, mit der er sich – wenig erfolgversprechend – irgendwo zwischen CDU und AfD positionieren will. Der Feind steht für den gebürtigen Westdeutschen ganz klar links; und in Thüringen hätte er eine Zusammenarbeit zwischen CDU, FDP und AfD einem linken Ministerpräsidenten vorgezogen.
Stramme Antikommunisten aus dem Westen wurden nach 1990 auch bevorzugt in die ostdeutschen Bundesländer geschickt, um dort wichtige Funktionen zu übernehmen. Der "Nationalsozialistische Untergrund" (NSU) hätte ohne solche Charaktere im Verfassungsschutz vielleicht gar nicht entstehen können.
Der Mustergau der NSDAP als Blaupause für Deutschland?
Der Westen war so gesehen nicht ganz unschuldig an der Rechtsentwicklung im Osten – falls sie nicht auf viel ältere Prägungen zurückgeht, denn Thüringen galt schon vor und während des Naziregimes als "Mustergau" der NSDAP. Der "verordnete Antifaschismus" der DDR mag hier zwar gründlich versagt haben, war aber im Nachhinein vielleicht doch besser als gar kein Antifaschismus.
Davon abgesehen: Wie konnten sich junge Leute mit Abitur und Social-Media-Erfahrung auf Sylt so sehr verschätzen, was die Akzeptanz für rassistische Parolen auf der westdeutschen Reiche-Leute-Insel und im Rest des Landes betrifft?
Rassismus als negativer Standort-Faktor
Haben sie sich vielleicht gar nicht so sehr verschätzt, sondern nur das Pech gehabt, dass gerade sie jetzt stellvertretend für alle Rassisten, die in der spätkapitalistischen Konkurrenzgesellschaft nicht aus der Welt zu schaffen sind, Konsequenzen zu spüren bekommen – weil der "Standort Deutschland" nicht zu unattraktiv für ausländische Fachkräfte werden soll?
Verdächtig oft wurde in der allgemeinen Empörung ja der wirtschaftliche Nutzen von "Ausländern" betont, womit oft auch Menschen gemeint sind, deren Lebensschwerpunkt schon sehr lange in Deutschland liegt. Als wäre Rassismus kein echtes Problem, wenn er nur traumatisierte Asylsuchende träfe, die ohne fertige Ausbildung ankommen und ökonomisch nicht sofort verwertbar sind.
Rechte Burschenschaften: Der Antisemitismus-Klassiker an Unis
Fest steht: Verschiedene akademische Milieus existieren nebeneinander, sie sind keineswegs alle "links-woke" – und nicht nur für "importierten" Antisemitismus anfällig, wie es manche Berichte über die studentische Palästina-Solidarität nahelegen.
Es gibt immer noch das Milieu der deutschnationalen Burschenschaften, deren "Alte Herren" zum Teil in einflussreichen Positionen sitzen und über Jahrzehnte ihre Karriere-Netzwerke etabliert haben. In der Vergangenheit wurden immer wieder Verbindungen zwischen Burschenschaften und teils gewaltbereiten Neonazis bekannt, wie im Fall der Burschenschaft Danubia in München.
Nazi-Shit happens: Bild-Tipps für Sylt-Schnösel
Den selbst von der Bild so bezeichneten "Nazi-Schnöseln auf Sylt" gibt das Blatt unterdessen praktische Experten-Tipps zur Schadensbegrenzung:
Fakt ist: Das Nazi-Gegröle der Sylt-Snobs ist nicht hinnehmbar. Aber: Jedem kann im Privatleben oder im Job mal richtig Scheiße passieren. In Bild sagen zwei renommierte Kommunikations-Experten, Deutschlands bekannte Theologin und ein medienerfahrener Strafrechtler, was sie raten, um aus einer solchen Situation wieder herauszukommen.
Bild.de
So sei es ratsam, für die Jobsuche außerhalb des AfD-Umfelds um Entschuldigung zu bitten. "Das macht es zwar nicht wett. Aber es hilft vielleicht bei der Jobsuche", wird der Kommunikationsexperte Béla Anda von Bild zitiert. Allerdings rät er im ersten Schritt dazu, abzutauchen und gar nichts zu sagen: "Jede große Krise – außer Krieg – ist in der Regel nach zehn Wochen medial vorbei."
Wann hat sich die Bild je so rührend um die Zukunft von Menschen gesorgt, die unter anderem von ihr selbst medial an den Pranger gestellt worden waren? – Dazu muss einem schon gerade diese "Scheiße passieren" – und nicht irgendeine.