Lohndumping für billiges Fleisch

Illegale Praktiken bei so genannten "Werkverträgen" - Ungarische und rumänische Werkvertragsarbeiter werden vom Landesarbeitsamt Hessen sehr unterschiedlich behandelt

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Seit einem halben Jahr arbeiten Polizei, Zoll und Arbeitsamt Oldenburg an der Aufklärung eines großangelegten Lohn-, Sozialbeitrags- und Steuerbetrugs in der Fleischindustrie in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. Es geht um illegale Praktiken bei sogenannten "Werkverträgen" mit rumänischen Arbeitern. Eine unklare Rolle spielt dabei das Landesarbeitsamt Hessen. Während es für Rumänien ständig neue Werkverträge genehmigt, wurden ungarische Arbeiter wieder nach Hause geschickt, weil genügend deutsche Schlachter zur Verfügung stehen.

Mehr als ein halbes Jahr ermittelte eine zahlenmäßig viel zu kleine, dafür aber bienenfleißige Einsatzgruppe der Oldenburger Kripo, unterstützt von wenigen Beamten des Zolls und der Arbeitsmarktinspektion des Oldenburger Arbeitsamtes gegen ein betrügerisches Netzwerk von Arbeitskräfteschleusern und Profiteuren systematischen Lohndumpings. Eigene Recherchen der Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG) brachten die Ermittlungen so richtig in Fahrt, nachdem im Januar dieses Jahres die Situation eskaliert war:

W. I., deutscher Repräsentant mehrerer rumänischer Arbeitskräfteverleihfirmen, verprügelte gemeinsam mit weiteren Schlägern eines Nachts etwa fünfzehn rumänische Arbeiter in ihrer Unterkunft in Badbergen. Sie hatten tags zuvor für die Auszahlung ihres noch ausstehenden Vormonatslohns gestreikt (vgl. Wie im Lager).

I. verbrachte nur kurze Zeit in Haft, dann ging es weiter wie bisher. Firmen wie D+S Fleisch, deren Geschäftsführer kurze Zeit nach der Schlägerei gegenüber dem Autor erklärten, sie möchten nicht mehr im Zusammenhang mit Herrn I. genannt werden, weil die Verträge mit ihm ausliefen und "der Name I. für uns Vergangenheit ist", schlossen schon bald neue Vereinbarungen mit den von I. vertretenen rumänischen Firmen.

D+S Fleisch in Essen/Oldenburg war denn auch einer jener Standorte, die von rund 300 Beamten in einer gemeinsam von der Staatsanwaltschaft Oldenburg, Polizei, Zoll und dem Arbeitsamt Oldenburg durchgeführten Aktion durchsucht wurden. Insgesamt wurden an 30 verschiedenen Orten in Niedersachsen und NRW aus Geschäftsräumen, Büros, Wohnungen und Arbeiterunterkünften Unterlagen sichergestellt. Rund 350 rumänische Arbeiter wurden vernommen.

Der Hauptverdächtige W. I. kam direkt in Haft, später folgten auch dessen Sohn und weitere Vorarbeiter der verschiedenen Firmen, denen Mittäterschaft vorgeworfen wird. Vermögensermittler der Zentralstelle für Wirtschaftsstrafsachen pfändeten "mehrere Millionen Euro des Kaufmanns Wilfried I. zum Zwecke der Gewinnabschöpfung". I. wird unter anderem vorgeworfen, er habe "mehrere tausend zumeist rumänische Arbeitskräfte unter Täuschung der deutschen Behörden nach Deutschland geschleust und lediglich etwa 50 % der gesetzlich vorgeschriebenen deutschen Tariflöhne ausgezahlt."

Die Anwälte von I. bestreiten die Vorwürfe, mögen sich aber im laufenden Verfahren zu Einzelheiten nicht äußern. W. I. selbst hatte gegenüber dem Autor in einem Telefongespräch einige Wochen vor seiner neuerlichen Festnahme erklärt, bei ihm würden im Verhältnis zu anderen Firmen noch gute Löhne gezahlt. Ich solle mich doch einmal in anderen Firmen umschauen. Tatsächlich gingen auch bei den Ermittlungsbehörden Hinweise auf vergleichbare Zustände in bisher nicht so gründlich untersuchten Schlachthöfen ein.

Hinweise auf Verstöße wurden ignoriert

Mysteriös erscheint die Rolle des Landesarbeitsamtes Hessen und des Arbeitsamtes Frankfurt. Beide Frankfurter Ämter sind zuständig für die bundesweite Abwicklung der Werkverträge mit Partnern aus Ungarn, Rumänien, Tschechien und der Slowakei.

Seit Jahren hatte das Oldenburger Arbeitsamt bei seinen Inspektionen immer wieder Unregelmäßigkeiten in Zusammenhang mit den Rumänien-Verträgen festgestellt und diese auch nach oben - also an das Landesarbeitsamt (LAA Hessen) gemeldet. Es wurden zwar Geldbußen gegen einzelne Firmen verhängt, aber das große Geschäft mit den willigen und billigen Arbeitskräften aus Rumänien wurde weiterhin vom LAA Hessen genehmigt. Menschenmaterial für die Knochenmühle Schlachthof.

Daran änderte sich auch nichts, nachdem I. im Januar dieses Jahres einige seiner Arbeiter verprügelt hatte und einzelne dieser Arbeiter gegenüber dem Arbeitsamt Oldenburg und der Polizei ausführlich über ihre Anwerbung in Rumänien, die tatsächliche Entlohnung durch I. und die Arbeitsbedingungen bei den Firmen D+S Fleisch und Gausepohl belastende Aussagen machten.

Auch die Proteste örtlicher Lohnschlachter, die zuvor als Subunternehmer mit Fachkräften in den großen Schlachthöfen tätig waren und deren Mitarbeiter durch die "billigen" Rumänen aus ihren, meist nach Tarif bezahlten, Jobs verdrängt wurden, vermochten das LAA Hessen nicht umzustimmen. Dabei hätten die von den deutschen Subunternehmern nachgewiesen Entlassungen infolge der Werkverträge ausreichen können, die Verträge mit den Firmen von I. zu widerrufen. Denn dem Gesetz zufolge dürfen durch die Genehmigung von Werkverträgen etwa mit Rumänien, keine deutschen Arbeitsplätze verloren gehen.

Doch genau dies geschah wiederholt und wurde dem Landesarbeitsamt Hessen auch mitgeteilt - von den eigenen Kollegen im Arbeitsamt Oldenburg ebenso wie von den durch die Kündigung betroffenen deutschen Subunternehmen. Ohne Ergebnis wandte sich der Betreiber einer Lohnschlachtung, Manfred Ideus aus Sande, an die zuständigen Behörden. Die für Rumänien im LAA Hessen zuständige Sachbearbeiterin, Kristina Kuhn, wurde von Ideus in einem Brief vom 14.1. 2003 darauf hingewiesen,

dass Arbeitserlaubnisse von ausländischen Firmen genehmigt wurden, obwohl die Voraussetzungen hierfür nicht gegeben waren. Die Arbeiter sind im Vorfeld nicht bei den betreffenden Firmen in Rumänien beschäftigt gewesen, Die Arbeiter sind (nach ihrer Werkvertragstätigkeit in Deutschland) nicht weiter in Rumänien beschäftigt worden. Da die rumänische Firmen ihre Arbeiter unterbezahlen und somit unsere Schlachtpreis drastisch unterbieten, bangen wir um unsere Aufträge. Um wettbewerbsfähig zu bleiben sind unsere Auftraggeber gezwungen, zu diesen Firmen zu wechseln.

Frau Kuhn teilte dem verzweifelten Kleinunternehmer darauf hin lediglich mit, "dass es sich bei dem Werkvertragsverfahren um ein formales Verfahren handelt; d.h. wenn die Voraussetzungen formularmäßig vorliegen, ist die Zustimmung zu erteilen."

Im übrigen obliege "die grundsätzliche Entscheidung über die Vergabe eines Kontingents an ein Unternehmen der Vergabestelle des zuständigen Vertragsstaates"- also Behörden in Rumänien.

Verdacht auf Scheinfirmen in Rumänien

Die Werkverträge werden, dem Gesetz nach, zwischen deutschen und rumänischen Schlachtereien geschlossen. Die Rumänen kommen also aus einem bestehenden Arbeitsverhältnis nach Deutschland und kehren in dieses Arbeitsverhältnis in Rumänien zurück. Die Arbeiter sind folglich in einem rumänischen Arbeitsverhältnis für einen bestimmten, vertraglich vereinbarten und vom zuständigen Landesarbeitsamt genehmigten Zeitraum in Deutschland tätig.

Soweit die Theorie. Tatsächlich wurden viele der Rumänen über Zeitungsanzeigen oder Mundpropaganda aus bestehender Arbeitslosigkeit extra für Deutschland angeworben und mussten zunächst einmal mehrere hundert Euro als "Kommission", also Schmiergeld, bezahlen, um überhaupt in das gelobte Land reisen zu dürfen. Hier wurden ihnen erst einmal ihre Pässe abgenommen, sie wurden in Massenquartieren untergebracht und arbeiteten Doppelschichten - bekamen aber dafür, Zeugenaussagen zufolge, nur den einfachen Lohn. Den Großteil des Gewinns soll sich W. I. eingesteckt haben. Offiziell fungierte er lediglich als "Repräsentant" verschiedener rumänischer Entsendefirmen, Ermittler haben aber den Verdacht, I. sei in Wirklichkeit der Boss des deutsch-rumänischen Firmenkonstrukts. Man habe es in Rumänien möglicherweise mit Schein- oder Briefkastenfirmen zu tun.

Auch die Schlachthöfe profitierten, Schätzungen zufolge, mit rund einem Euro gesparter Lohnkosten pro geschlachtetem Schwein. Allein bei D+S Fleisch werden täglich rund 7.000 Schweine geschlachtet. Also ein satter Erlös der Ausbeutung armer und arbeitswilliger Rumänen. Auch dem Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit sind diese Vorwürfe bekannt. Dort hätte man die Werkverträge mit Rumänien beenden können, statt dessen kam aus dem Clement-Ministerium nur heiße Luft. Zitat aus einem Schreiben an Manfred Ideus vom 23. Januar 03:

Unter ausländischen (wie auch inländischen) Unternehmen gibt es leider auch 'schwarze Schafe', die sich nicht an die Bedingungen der Regierungsvereinbarungen oder Regelungen im Recht halten und im Rahmen illegaler Beschäftigung zu Wettbewerbsverzerrungen beitragen. Hier ist neben der Arbeits- auch die Zollverwaltung gefragt, die gemeinsam mit verstärktem Personaleinsatz auf Einhaltung der genannten Arbeits- und Entlohnungsbedingungen prüfen und Verstöße verfolgen. Leider haben die Beschwerden über Verstöße insbesondere in der fleischverarbeitenden Industrie erheblich zugenommen. Die Bundesanstalt für Arbeit hat deshalb in diesem Wirtschaftsbereich ihre Überprüfungen und die Verfolgung illegaler Tatbestände bereits seit geraumer Zeit intensiviert. Ihr Schreiben habe ich der Bundesanstalt mit der Bitte weitergeleitet, Ihren Hinweisen nachzugehen.

Beim nachgeordneten Landesarbeitsamt Hessen tat sich unterdessen Erstaunliches - während für Rumänien munter weiter genehmigt wurde, ließ sich dieses LAA in einem Streit mit der Firma Südfleisch in Passau um Werkverträge mit Ungarn sogar auf ein Gerichtsverfahren ein. Seit Beginn des Jahres 2003 verweigert es einem von der Südfleisch beantragten Werkvertrag, der die Beschäftigung von mindestens 80 Ungarn erlauben sollte, seine Zustimmung. Mehr noch, es ließ sich sogar verklagen und legte gegen ein Urteil des Sozialberichts Nürnberg, welches den Werkvertrag mit Ungarn befürwortet hatte, Beschwerde ein. Im Bundestag bekam das LAA dafür Unterstützung durch die Bundesregierung. Auf Fragen des CSU-Abgeordneten Dr. Klaus Rose widersprach der Parlamentarische Staatssekretär Rezzo Schlauch (B90/Grüne) der Auffassung des Sozialgerichts und bekräftigte die in der deutsch-ungarischen Vereinbarung vorhandenen Arbeitsmarkt-Schutzregelungen, die verhindern, dass deutsche Beschäftigte durch ungarische Arbeitskräfte ersetzt werden.

Die Oldenburger Lohnschlachter, deren Mitarbeiter seit Jahren immer wieder durch die "I.-Rumänen" arbeitslos werden, verstehen die Welt nicht mehr. Spielt in diesem Geschäft Bestechung und Korruption nicht nur in Rumänien eine Rolle?