Lokführer und Geisterfahrer
Wohin steuert die CSU?
Horst Seehofers letzte psychopolitische Rotation setzte bei jener sommerlichen Pressekonferenz ein, anlässlich einer mortalen Schubserei im Frankfurter Bahnhof, die er zögerlich und zerknirscht als einen Schweizer Einzelfall definierte. Seither werden weder eingefleischte CSUler noch amüsierte Zaungäste schlau aus jenem Mann, der aus sich selbst nicht mehr schlau zu werden scheint.
Welche konfuse Chimäre, so fragen sich viele, reitet den erstarrten Minister des Inneren eigentlich? Was hat denn die "liebe Antschela" in petto? Wieso ist er nicht spätestens beim dem tragikomischen Chemnitzer Richtlinienstreit zurückgetreten? Er hätte bei den Linken Respekt gewonnen und wäre bei den Rechten zum Mythos geworden - sozusagen als der letzte aufrechte Rebell in einer an Heuchelei erstickenden Republik. Auch weil es das Rohrreiniger-Lachen nur noch auf YouTube gibt, fragen sich viele: Warum besteigt der müde Sisyphus allmorgendlich den Berliner Fleischwolf? Ehrgeiz, Pflicht, Erpressung, triviale Parteiraison oder triviale Machtgeilheit?
Bei jeder Gelegenheit lobt er die "faktisch" rückgängige Kriminalitätsrate und bedauert das imaginierte Angstgefühl vieler verunsicherter Untertanen. Denn man tue doch alles: Videoüberwachung, bessere Grenzkontrollen, gerade in Tirol, mehr Schutzpersonal und kluge Stahlpfosten. Viel wichtiger aber, so die neue Platte, sei der Kampf gegen Rechts, das kompromisslose Vorgehen gegen rechtsradikale Netzwerke und Nulltoleranz gegen rechten Extremismus. Da inzwischen jeder Mensch als rechts gilt, der angesichts der Migrationsproblematik ein Unbehagen in der Kultur empfindet, müsste sich Seehofer selbst in Untersuchungshaft einweisen - und das wäre letztlich sogar ganz vernünftig, mit einer Stunde gesundem Hofgang und die restlichen 23 Dauerbeschallung durch die öffentlich-rechtliche Staatsbeschallung a la Pjöng-Päng.
In seiner Zeit als Gesundheitsminister entfuhr ihm einmal eine neomarxistische Weisheit: "Strukturelle Veränderungen sind in der Politik nicht möglich wegen des Widerstandes der Lobby-Verbände." Obwohl er neuerdings 25 % all der armen Teufel, die zwischen den Häfen Libyens, der Ägäis und den unzähligen Balkanrouten herumirren, aufzunehmen bereit ist, spürt man hinter der Maske von Horst Seehofer, dass sich an seiner Hassbeziehung zur Kanzlerin nichts geändert hat und auch nichts daran, dass er sie verantwortlich macht für die europäische Katastrophe im nunmehr vierten Jahr. Leblose Bemerkungen der Art "Politik ist die Kunst des Kompromisses" garnieren mittlerweile den Kriechgang und auf Malta unlängst hatte man das Gefühl, als hätte ihm jemand das Sprachmodul von Claudia Roth auf die Festplatte geschmuggelt.
Parallel zum Dauerfight mit Frau Dr. Merkel ereignete sich sein regionaler Gockelkampf mit Dr. Markus Söder. Erschöpfend und voller Hinterlist zog sich diese Provinzposse über Jahre hin und am Ende wusste niemand mehr, um was es da überhaupt ging, außer Fingerhakeln auf höherer Ebene. Wie zwei ausgepumpte, zahnlose Boxer lagen sie sich nach dem Schlussgong 2018 in der Armen. Der einst so unbeherrschte Franke Söder (1.94 m) übt sich seither im Chargenspiel des sedierten Landesvaters und Seehofer (1.93 m ) ächzt unter den Rädern einer demütigenden Karmamühle. Deren Antrieb mag die Rache sein für jene bittersüßen 13 Minuten beim CSU-Parteitag im November 2015, an dessen Ende er die Kanzlerin zum Schulmädchen degradierte und Richtung Berlin schickte: "Wir wünschen dir eine gute Rückreise."
Im Helter-Skelter-Modus
Drei Jahre später, so ab dem Herbst 2018 war das Alpha-Duo nicht mehr wiederzuerkennen. Beide offenbarten einen radikalen Gesinnungswandel, eine Art politische Schubumkehr oder duale Saulus-Paulus-Bekehrung. Vor den Augen der fassungslosen Parteigenossen streiften sie ihre tiefsten christsozialen Überzeugungen ab. Markus Söder schien einen NLP-Greenwash-Crash-Kurs absolviert und Horst Seehofer einen Container roter Kreide gefressen zu haben. Seit jener blauweißen Häutung sieht man ein grünrot-geschminktes Jokerpaar im Karnevalsmodus Richtung Blocksberg twisten. In Folge dessen wirft der bayerische Ministerpräsident klimaradikale Maßnahmen in den deutschen Mehltausmog, die alles übertreffen, was die kühnsten Umweltaktivisten jemals auf die Straßen brachten. Der Klimaschutz muss ruckzuck als verpflichtende Staatsaufgabe im Grundgesetz stehen - eine Idee, über die man sich in der CSU jahrzehntelang kaputtgelacht hatte. Und weiter, im Helter-Skelter-Modus: Photovoltaik-Ausbau dank Großflächenanlagen für Solarstrom, die von Seehofer abgemurkste Windenergie mit Volldampf betrieben, Wälder und Moore zu CO2-Speichern ausbauen und die Mehrwertsteuer auf Bahnfahrten senken, den Kohleausstieg bereits 2030 vollenden und bis 2040 klimaneutral sein.
Die klassischen Christsozialen, bei denen früher ja die NPDler und Republikaner eine Heimat fanden, fragen sich, ob Greta Söder bei der Insektenrettung ein paar Bienenstiche zu viel erwischt hat oder im Summer of 19 zu lange der Hitzewelle ausgesetzt war. Im Stile der Kanzlerin räumt er dem rot-grün-schwarzen Co2-Moloch den Themenpark weg und nahezu alles, wofür die Landwirte und Bierbrauer standen, löst sich in einer dialektischen Geisterfahrt auf.
Nicht viel anders agiert in Berlin-Mitte der passionierte Lokführer Horst Seehofer. Er machte sich doch einen Namen als vaterländischer Nationalbayer, oberster Grenzschützer und Kämpfer gegen den globalistischen Open-Border-Zeitgeist. Seine Haltung bei Multikulti, Migration und Sicherheitsbelangen unterschied sich nur minimal von den Positionen der Herren Gauland, Höcke und Curio. Hatte der Masterplanpoet nicht wie ein Löwe gekämpft gegen die millionenhafte Zuwanderung in deutsche Sozialsysteme, den staatlich geförderten Asylmissbrauch, die Bamf-Skandale, die ausufernde Schwerkriminalität und das Bauerntheater rund um Hetzjagd, Maaßen und Frank Werner Fischfilet?
Was ist geschehen nach den Tagen seines Rücktrittrücktritts? Ein weiteres uneheliches Kind? Flüge auf Epsteins Lolita-Inseln? Kokainexzesse? Die Rosenholz-Dateien? Genickbrechende Ibiza-Videos? Schwarzgeld auf den in Bayern so beliebten Vontobel-Konten? Oder hat die Chefin kurz damit gedroht, den Freistaat zum 16. Landesverband der CDU umzudekorieren?
Es ist kein Geheimnis, dass die Einmann-Denktankstelle des früheren Eislaufkünstlers Markus Blume die Vision geboren hat, die 4.0-CSU sozusagen, jung, cool, mega-digital zu generieren und quotenweiblich. Dafür bekam der Frankennapoleon beim Parteitag einen warnenden Gong. Egal, Augen zu und durch, mit Söder for Future an die Spitze der Klimawende und mit Unrechts-Seehofer mitten ins Hauptkommando im Kampf gegen Rechts.
Was will die CSU in der breiten und fetten Mitte?
Welche Wähler will sie mit dem abgedroschenen Gutsprech gewinnen? Worin begründet sich diese Hinwendung zum neuen Image? Was ist eigentlich los in diesem Land, in dem inzwischen alle erwähnenswerten Parteien außer der AfD dieselben Texte verlesen und für die selben Ziele in die Bütt steigen?
Möglicherweise hat die blauweiße Wunderheilung etwas mit dem nackten Überleben zu tun und dem Faktor Angst. Mit jedem weiteren Amok à la Amri&Co wird sich eben jene AfD ohne eigenes Zutun bundesweit den 25 % annähern. Da es sich dabei - noch - um faktisch ungültige Stimmen handelt, können sich die restlichen Gourmands um eine gewaltig beschnittene Torte prügeln. Fakt ist, dass derzeit weder im Osten noch im Bund irgendwelche tragbare Koalitionen kalkulierbar sind - am ehesten noch Schwarz-Grün, wobei die absehbaren Flügelkämpfe ein ähnlich trostloses Herumlungern garantieren würden wie das der dauergelähmten Groko.
In einer grünschwarzen Koalition gibt es für die Bayern nur noch Luft, wenn sie für das Habeck-AKK-Lager halbwegs akzeptabel erscheinen. Das mag einiges an der aktuellen Akrobatik erklären. Im Falle Jamaica verbliebe vermutlich als Gnadenbrot noch ein paar Jahre weiteres Herum-Debakeln im Verkehrswesen mit Maut, E-Scootern und Bahnblockade.
Falls aber die derzeit noch paralysierten Stammwähler abspringen und die umworbene Mitte aus CDU, SPD, Grünen, Linke und Sonstige das Herumschleimen der Christsozialen ignoriert, droht die Fünf-Prozent-Hürde - und das wäre es dann für die CSU für lange Zeit. Die Nachkriegsgeschichte Deutschlands zeigt, dass der Verrat von Grundwerten selten Gutes bereithält.
Mitleid mit der CSU? Mitnichten
Der Bodensatz dieser Laptop-Schuh-plattler enthält transatlantische Servilität, Militarismus, Opportunismus, Karrierismus, Dummarroganz, Scheinheiligkeit, Wachstumswahn, Doppelmoral und Machtgier.
Sich für sinnvolle Klimaschutzmaßnahmen einzusetzen und ebenso entschieden gegen faschistoide Machttendenzen vorzugehen - das ist so selbstverständlich, wie einem alten blinden Mann über die Straße zu helfen. Es gibt dazu doch keine weiteren Worte zu verlieren. Angst durchdringt das Denken in der CSU und eine berechtigte Ahnung, sehr bald sehr überflüssig sein zu können. Die älteren Bürger erinnern sich noch gut an den Satz von F.J. Strauss: "Rechts neben uns ist nur noch die Wand." Heute besteht diese Wand aus gut 25%+ potentiell konservativer Stimmen. Und an dieser steht ein weiteres Graffiti des großen Vorsitzenden: "Everybody's darling ist everybody's Depp."
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