London und seine indischen Betrüger
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Ein weiterer indischer Milliarden-Schwindler findet Unterschlupf in London. Das ist nur möglich, weil sich einige Staaten auf Kosten anderer die Kassen auffüllen
Ende Januar dieses Jahres ließ sich der Diamantenhändler Nirav Modi beim Weltwirtschaftsgipfel in Davos noch mit Premierminister Nirandra Modi fotografieren (mit dem er nicht verwandt ist). Eine Woche später war der weltbekannte Diamantenhändler plötzlich verschwunden.
Schon während Niravs Aufenthalt im Schweizer Kurort Davos hatte die Antikorruptionsbehörde CBI gegen Nirav und seinen Onkel Mehul wegen Kreditbetruges ermittelt. Nirav und sein Onkel hatten sich von mindestens 15 Mitarbeitern der mittleren Ebene der Punjab Bank Kreditbürgschaften aushändigen lassen.
Damit ließen sich die beiden Gauner im Ausland bei 25 Banken zwei Milliarden US-Dollar auszahlen, die sie nicht zurückzahlten (vg. Milliarden-Dollar-Bankenschwindel versetzt die indische Politik in Aufregung) - eine Krankenversicherung für 100.000 indische Familien würde dem indischen Staat 1,25 Milliarden US-Dollar pro Jahr kosten.
Im Juni tauchte Nirav Modi wieder auf: In London, wo der Kreditbetrüger politisches Asyl beantragt haben soll. Indessen verstärken indische Gerichte aktuell den Druck auf die Familie, damit er zurückkommt.
In bester Gesellschaft
In der britischen Finanzmetropole ist Modi in guter Gesellschaft anderer indischer Betrügern und einem Waffenhändler, die vor dem indischen Gesetz an die Themse geflüchtet sind. Vor zwei Jahren tauchte Vijay Mallya in London auf, nachdem er die indische Staatsbank und private Anleger auf 1,4 Milliarden Schulden sitzen gelassen hatte.
Mit einem Heer von Anwälten versucht er jetzt die Richter auf der Insel davon zu überzeugen, dass ihn die indischen Behörden aus politischen Gründen verfolgen. Die gleiche Begründung trägt der ehemalige Präsident der indischen Profi Kricket Liga (IPL), Lalit Modi, in London vor, wo er sich seit 2015 aufhält.
In Indien wird ihm in neun Fällen Betrug oder die Annahme von Bestechungsgeldern vorgeworfen. Auch bei seinen Betrügereien geht es zum Teil um Milliarden Dollar Beträge. Von politischer Verfolgung kann bei Lalit Modi kaum die Rede sein: obwohl er schon bei Interpol zur Fahndung ausgeschrieben war, half ihn Indiens Aussenminister Sushma Swaraj mit Reisedokumenten aus. Der Minister begründete später sein Handeln mit humanitären Gründen.
Im Jahr 2017 flüchtete auch der indische Waffenhändler Sanjay Bhandari nach London. Ihm wird in Indien unter anderen vorgeworfen, Bestechungsgelder von 750.000 US-Dollar vom Schweizer Flugzeugbauer Pilatus angenommen zu haben. Pilatus hatte im Jahr 2012 für 500 Millionen Franken 75 TrainingsFlugzeuge des Typs PC-7 an die indische Luftwaffe geliefert.
In Sachen Schweiz ist Bhandari das geringste Problem der indischen Behörden. Mittlerweile stammt mehr als die Hälfte allen Schwarzgeldes, das auf Schweizer Konten liegt, aus Indien.
Einige mögen sich noch daran erinnern, dass Narendra Modis "Demonetization" im Jahr 2016 damit begründet wurde, dem indischen Schwarzgeld habhaft zu werden. Erfolglos wie sich mittlerweile herausgestellt hat (vgl. Indien: Es wird nur die kleinen Fische erwischen).
Die Schweiz und die Nestbeschmutzer
Insgesamt lagern auf Schweizer Bankkonten 1,4 Billionen Franken aus dem Ausland. Der Schweizer Staatshaushalt für das Jahr 2017 betrug 225 Milliarden Franken.
Spätestens seit den Käufen von Steuer-CDs ist bekannt, dass die Schweizer Politik und ein gewichtiger Anteil der Bevölkerung, solche Käufe als kriminelle Handlungen ansieht. Am größten Bauskandal in der Geschichte des Landes lässt sich ablesen, dass dies bei Whistleblowern, die Skandale im eigenen Land aufdecken, ähnlich aussieht.
Im Jahr 2009 wollte der Bauunternehmer Adam Quadroni nicht mehr Teil eines Baukartells sein, dem schon sein Vater angehörte. Quadroni teilte den Behörden mit, dass die Baufirmen des Hochtals Engadin durch Preisabsprachen die Kunden und staatlichen Ämter seit Jahren um Hunderte von Millionen Franken betrogen haben. Doch nicht den kriminellen Unternehmern geht es an den Kragen, sondern dem "Nestbeschmutzer".
Von einer Spezialeinheit der Polizei wird er unter dem Einsatz von Nebelgranaten wie ein Terrorist verhaftet und soll in die Psychiatrie eingewiesen werden. Er verliert seine Firma, seine Ehe geht kaputt und sein komplettes soziales Umfeld wendet sich von ihm ab. Am Ende wäre Quadroni wohl doch in der Psychiatrie gelandet, wären seine Dokumente nicht drei Jahre später per Zufall bei der Wettbewerbsbehörde in Bern gelandet.
Die fängt an zu ermitteln und stellt fest, dass das Baukartell seine Betrügereien sogar auf das ganze Kanton Graubünden ausgebreitet hat - die Ermittlungen dauern bis heute an. Medial nahmen sich einzig zwei junge Schweizer Journalistin des Falles an. Auch dies war kein Selbstläufer, denn sogar ihre damalige Zeitung wollte sie nicht unterstützen.
Obwohl mittlerweile erwiesen ist, dass es sich um den größten Bauskandal in der Geschichte der Schweiz handelt, in dem auch Richter, Polizisten und die Politik von Graubünden verwickelt sind, gibt es noch heute Zeitungsverleger in Graubünden die Quadroni mit Dreck bewerfen.
Es steht außer Frage, dass die Menschen in der Schweiz hart arbeiten und viel Zeit und Geld in die Kulturförderung und die Bewahrung von kulturellen Orten des Landes stecken - für viele Urlauber ist sie nicht nur wegen der Berge ein beliebtes Reiseziel.
Aber einen über zwei Millionen Franken teuren Theaterturm auf dem 2300 Meter hohen Julierpass aufzustellen und nach vier Jahren wieder abzubauen, würde sich das Land wohl nicht leisten, wenn es nicht seit Jahrzehnten das Geld von Klienten annehmen würde, welche die Gesetze in ihren Ländern brechen.
Wie der Fall Quadroni zeigt, bleibt es nicht dabei, sich einzureden, man habe nichts damit zu tun, wie der ehemalige König von Nepal oder der ehemalige Präsident von Pakistan ihr Geld "erwirtschaftet" haben, das sie nun in der Schweiz lagern. Irgendwann greift dieses Denken auch auf das Verhalten im eigenen Land über.
Dass die Onlinezeitung Republik, die den Bauskandal medial aufdeckte, trotz Bezahlschranke täglich neue Leser gewinnt, zeigt, dass es auch in der Schweiz ein anderes Denken gibt.
Zudem hat das Land den Beweis angetreten, dass es trotz unterschiedlicher Sprachen möglich ist, rechtlich und politisches ein Ganzes zu bilden - nicht nur ein Vorbild für Europa. Auch hinter dem 30 Meter hohen Theater auf dem Julierpass steckt eigentlich ein beeindruckendes Beispiel: Der positive "Kultur-Fanatiker" Giovanni Netzer, dessen Idee der Theaterturm gewesen war, hat nicht nur dies ohne eigenes finanzielles Interesse betrieben.
Im Gegenteil: Seine ganze Energie setzt er dafür ein, dass sich Menschen für Kultur interessieren, anstatt vor dem Fernseher zu hocken - jahrelang konnte Netzer sich nicht einmal eine eigene Wohnung zur Miete leisten.
Ohne Schwarzgeld aus dem Ausland würde es die Schweiz trotzdem geben. Vieles wäre nur ein paar Nummern bescheidener. Netzer würde dann vielleicht auch Mal in der Art vom Filmemacher Herzog seinen nächsten Turm in Einzelteilen in monatelanger Arbeit auf den Pass tragen. Kriminelle regionale Klüngel, bei denen viele mitmachen, noch mehr schweigend zuschauen und nur wenig aufbegehren, gefährden auf Dauer dagegen das Ganze.