Lübcke-Prozess: "Es ging in die Richtung Prepperszene und Uniter"

Symbolbild: Pixabay

Im Oberlandesgericht Frankfurt/M. stellt sich der geständige mutmaßliche Täter den Fragen der Familie des Ermordeten und belastet Markus H. erneut der Mittäterschaft

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Im Prozess vor dem Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt/M. hat Stephan Ernst, der geständige mutmaßliche Mörder des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, am jüngsten Verhandlungstag die Fragen der Familie des Ermordeten beantwortet. Dabei machte er deutlich, dass die Tat aus seinem rechtsradikalen Hintergrund heraus geschah. Zugleich beschuldigte er erneut den Mitangeklagten Markus H., er sei dabei gewesen.

H. bestreitet das. Seine Rolle ist nach wie vor unklar. Das bezieht auch den Verfassungsschutz mit ein. Das hessische Landesamt (LfV) soll in der Vergangenheit mindestens zwei Mal versucht haben, H. als Informanten anzuwerben. Der soll genauso oft abgelehnt haben.

Die Bundesanwaltschaft hat H. nicht der Mittäterschaft angeklagt, sondern nur der geringeren Beihilfe.

In der Nacht vom 1. auf den 2. Juni 2019 war der CDU-Politiker auf der Terrasse seines Hauses in dem Ort Wolfhagen-Istha ermordet worden. Den tödlichen Schuss soll Ernst abgegeben haben. Der hatte das in seiner ersten polizeilichen Vernehmung eingeräumt. Später zog er das Geständnis zurück und bezichtigte Markus H. - versehentlich - geschossen zu haben. Im Prozess vor dem OLG Frankfurt, der Mitte Juni 2020 begann, gab Ernst eine dritte Version ab. Danach will erneut er Lübcke mit einem Kopfschuss getötet haben, Markus H. sei dabei gewesen.

Die Nebenkläger und der Angeklagte

Nach den Fragen des Gerichtes und der Bundesanwaltschaft an Ernst, waren nun die Nebenkläger an der Reihe, die Familie Lübcke. Dazu war Lübckes Ehefrau zusammen mit den beiden Söhnen nach Frankfurt gekommen. Die Fragen stellte ihr Rechtsbeistand.

Rechtsanwalt Holger Matt, Beistand der Familie Lübcke/Nebenkläger: Herr Ernst, Sie haben in Ihrer Einlassung gesagt, Sie stehen bereit für unsere offene Fragen. Wir wollen die ganze Wahrheit wissen, über alle möglichen Täter, über die Beweggründe und so weiter. Sind Sie bereit, unsere Fragen vollständig und wahrheitsgemäß zu beantworten?

Mustafa Kaplan, Verteidiger von Stephan Ernst: Grundsätzlich ja. Konkret muss man sehen. Fangen Sie einfach an zu fragen.

Rechtsanwalt Matt/Nebenklage: Ich hatte die Frage an Herrn Ernst gerichtet, ob er bereit ist, unsere Fragen zu beantworten.

Angeklagter Stephan Ernst: Ja.

Matt/Nebenklage: In Ihrem Geständnis sagten Sie, die Entscheidung zur Tat sei im April 2019 gefallen und seit da geplant worden. Stimmt das?

Ernst/Angeklagter: Ja.

Matt/Nebenklage: Ihr gemeinsamer Plan war, Herrn Lübcke zu erschießen: Stimmt das?

Ernst/Angeklagter: Ja.

Matt/Nebenklage: Sie haben erklärt, die Tat sei falsch, feige und unentschuldbar gewesen?

Ernst/Angeklagter: Ja. - Er senkt den Kopf und schaut auf den Tisch.

Matt/Nebenklage: Diese Aussage nach der Tat verdient Respekt. Aber vor der Tat: Dass sie für die Familie einen großen Verlust darstellt, haben Sie sich da Gedanken gemacht?

Ernst/Angeklagter: Nein, habe ich nicht gemacht.

Matt/Nebenklage: Haben Sie sich Gedanken gemacht, dass Walter Lübcke als Mensch leben wollte, sein Leben genießen wollte, zusammen mit seiner Frau? Er stand kurz vor dem Ruhestand.

Der Angesprochene schweigt. Er ringt auch nicht nach Worten, sondern schaut ins Leere. Nach etwa einer halben Minute reagiert sein Verteidiger.

Rechtsanwalt Kaplan: Kann ich mit dem Mandanten sprechen? Sie tun es. Danach antwortet Stephan Ernst.

Ernst/Angeklagter: Ich habe mir darüber keine Gedanken gemacht.

Die Radikalisierung

Matt/Nebenklage: In Ihrer Einlassung vor Gericht haben Sie erklärt, Sie seien durch Herrn H[...] manipuliert, radikalisiert und aufgehetzt worden. Können Sie das präzisieren: Was meinen Sie damit?

Ernst/Angeklagter: Die Manipulation hat mit den Waffen angefangen, mit dem Schießen im Wald. Das ging in die Richtung: Vorbereitung auf den Bürgerkrieg. Die Sache mit den Waffen hat sich dann verselbständigt, es wurde normal, mit ihnen zu schießen. Dass es um Herrn Lübcke gehen sollte, hat nach der Gemeindeveranstaltung [im Oktober 2015 in Lohfelden, als sich Lübcke für die Aufnahme von Flüchtlingen aussprach und meinte, wer diese Werte nicht teile, könne ja Deutschland verlassen] angefangen durch die Gespräche, die wir danach führten.

Sie haben sich bezogen auf die Zustände im Land. Wir haben alles auf Herrn Lübcke fokussiert. Herr H. sagte, Lübcke sei jemand, an den man rankommen kann. Er meinte, wem haben wir das alles zu verdanken? Den Politikern! Lübcke war im Fokus, weil er nicht weit von uns gewohnt hat. Da müsste man etwas machen, aktiv werden. Es kam immer wieder: Dass er eine Kugel bekommen müsste.

Matt/Nebenklage: Kann man Ihre Radikalisierung so zusammenfassen, dass sie sich aus Ihrer rechtsextremen Gesinnung entwickelt hat?

Ernst/Angeklagter: Es war nicht so, nicht in dem Sinne wie früher in der Szene. Doch das aus der Szene früher, das hat sich eingeprägt, das ist wiedergekommen. Nicht in dem Sinne, das System zu verändern und die Regierung zu stürzen oder das Reich wieder zu gründen. Ich kann es nicht beschreiben. Die Sache von früher hat wieder reingespielt. Dazugekommen ist das mit den Waffen, mit dem Überlebenstraining und dem Vorbereiten.

Ich will nicht sagen, ich war in der Prepperszene oder bei Uniter, aber es ging in diese Richtung. Es war eine Mischung aus alten Ansichten und dem Szenario Bürgerkrieg. Es war nur eine Frage der Zeit, dass das kommt. So will ich es beschreiben. Also nicht so, wie damals in der Szene, das war nicht der Fall, sondern es ging darum, das Land vor vermeintlicher Überfremdung zu schützen. Aber nicht, das System abzuschaffen. Es war aber gefährlich, weil Waffen im Spiel waren.

Matt/Nebenklage: Stichwort Aufhetzen, Hass entwickeln: Frau Merkel war ein Hassobjekt für Sie beide, kann man das so sagen?

Ernst/Angeklagter: Ja, kann man so sagen.

Matt/Nebenklage: Hat es auch mit Hass auf die Flüchtlingspolitik von Frau Merkel zu tun? Mit Hass auf Flüchtlinge?

Ernst/Angeklagter: Hass auf Flüchtlinge nicht. Für das Denken, das wir hatten, waren Flüchtlinge für uns Teil der Politik, die Deutschland zerstört. Sie sollen benutzt werden, sie gegen die nationale Opposition aufzubringen. Ich will nicht sagen, es ging um die Flüchtlingspolitik an sich, nicht darum, dass das Asylrecht abgeschafft werden soll, sondern um den Teil, der sich gegen Deutschland richtet.

Matt/Nebenklage: Sie wollten diese Politik attackieren oder zerstören?

Ernst/Angeklagter: Ja, da wo wir unsere Schlüsse zogen.

Matt/Nebenklage: War Walter Lübcke ein Symbol für diese Politik, die Sie attackieren und zerstören wollten?

Ernst/Angeklagter: Ja, irgendwo hat das eine Rolle gespielt.

Matt/Nebenklage: War diese Gesinnung die gemeinsame Triebfeder zur Tat?

Ernst/Angeklagter: Ja, diese Gesinnung und die Vorkommnisse.

Matt/Nebenklage: Auch bei Herrn H[...]?

Ernst/Angeklagter: Ja.

"Der Gedanke war da seit der Bürgerversammlung"

Matt/Nebenklage: Wann haben Sie zum ersten Mal daran gedacht, Walter Lübcke zu ermorden?

Ernst/Angeklagter: Der Gedanke war da seit der Bürgerversammlung. Man hat es gesagt, das hieß aber nicht, dass man es umsetzt, dass es heißt: 'Ok, das wird jetzt gemacht.' Im Laufe der Zeit hat sich das immer mehr verdichtet, dass sich die Zustände immer mehr zugespitzen, dass sich bewahrheitet, was wir dachten.

Matt/Nebenklage: Sie haben erklärt, auf der Rückfahrt von Chemnitz sei der Entschluss gereift: 'Jetzt müssen wir etwas tun.' Was hat das bei Ihnen ausgelöst?

Ernst/Angeklagter: Ja.

Matt/Nebenklage: Ich meine, Chemnitz war im September 2018. Ihr Tatentschluss war im April 2019. Was ist in dem Zeitraum passiert? Spielten Posts im Internet eine Rolle, die Sie und H. bestärkt haben?

Ernst/Angeklagter: Diese ganzen Chats und Gruppen, wo ich und H. gechattet haben, das war immer präsent. Das hat dafür gesorgt, dass diese ganze Sache nicht abgekühlt ist. Ich habe jeden Tag gechattet und auch Kommentare abgegeben.

Matt/Nebenklage: Auch Herr H.?

Ernst/Angeklagter: Was ich mitgekriegt habe, ja.

Matt/Nebenklage: Sie haben gesagt, Sie haben gemeinsam AfD-Stammtische besucht. Waren Sie auch in AfD-Chatgruppen?

Ernst/Angeklagter: Nein. Wir waren im Verteiler. Wenn uns Veranstaltungen mitgeteilt wurden, sind wir hingegangen.

Matt/Nebenklage: Im Januar und Februar 2019 ist die ehemalige Bundestagsabgeordnete Erika Steinbach im Netz aktiv geworden. Haben Sie das mitbekommen? Kennen Sie Frau Steinbach überhaupt?

Ernst/Angeklagter: Ich habe das mitbekommen und mit H. darüber gesprochen. Aber für uns war das nichts Neues. Ich kenne Steinbach nicht persönlich, nur aus Politik und Medien.

Matt/Nebenklage: Hat Sie das bestärkt?

Ernst/Angeklagter: Nein, eher nicht.

Matt/Nebenklage: Hat für den Tatentschluss keine Rolle gespielt?

Ernst/Angeklagter: Nein.

Vorsitzender Richter Thomas Sagebiel: Haben Sie zur Kenntnis genommen, wie Frau Steinbach das Video [von besagter Bürgerversammlung im Oktober 2015] kommentierte?

Ernst/Angeklagter: Ich habe es, glaube ich, mitgekriegt. Aber wie sie es kommentierte, weiß ich nicht mehr.

Matt/Nebenklage: Haben Sie Wochen oder Monate vor der Tat mit anderen Menschen darüber gesprochen, dass Walter Lübcke eine Abreibung bekommen oder sogar getötet werden müsste?

Ernst/Angeklagter: Nicht so direkt. Das Video war immer mal wieder Thema auf der Arbeit, aber nicht so: Wir fahren da hin und verpassen ihm eine Abreibung.

Matt/Nebenklage: Gibt es Menschen, die wussten, dass Sie und H. am 1. Juni 2019 nach Istha fahren?

Ernst/Angeklagter: Nein.

Matt/Nebenklage: Hat H. mit anderen Menschen darüber gesprochen?

Ernst/Angeklagter: Das kann ich nicht sagen.

Matt/Nebenklage: Haben Sie nach der Tat mit anderen Menschen darüber gesprochen, haben Sie Bewertungen abgegeben?

Ernst/Angeklagter: Als ich zur Arbeit kam, haben einige Arbeitskollegen das gleich thematisiert. Ich habe aber nichts dazu gesagt.

Matt/Nebenklage: Sie haben erklärt, Sie wollten in ein Aussteigerprogramm. Woraus wollen Sie aussteigen?

Ernst/Angeklagter: Darf ich mit meinem Anwalt...? - Er bespricht sich mit seinem Beistand.

Rechtsanwalt Kaplan: Das ist keine Frage, die hier beantwortet werden sollte, sondern mit den Leuten vom Aussteigerprogramm.

Vorsitzender Sagebiel: Herr Ernst wurde gefragt, ob die Tat mit seiner rechtsradikalen Haltung zu tun habe. Er hat geantwortet, früher, bevor er sich aus der Szene gelöst habe, habe er eine rechtsradikale Einstellung gehabt. Nach dem Kontakt mit Herrn H. sei das wieder hochgekommen und habe sich gepaart mit der Prepperszene. Es sei eine Mischung gewesen. Wenn Herr Ernst angibt, nicht mehr rechtsradikal zu sein, stellt sich schon die Frage: Woraus will er aussteigen? Die Frage gehört hierher. Wir hätten sie auch gestellt, aber das muss nicht heute sein.

Rechtsanwalt Kaplan: Die Frage macht Sinn, sie soll aber später beantwortet werden.

Oberstaatsanwalt Dieter Killmer/Bundesanwaltschaft: Es ist Sache von Herrn Matt, welche Frage er stellt. Bei der Frage geht es darum, welche Tatmotivation vorlag. Da ist ein Widerspruch. Die Frage ist inhaltlich relevant. Sie zurückzustellen, ist problematisch.

Rechtsanwalt Kaplan: Wir haben klargestellt, dass wir sie beantworten. Aber weil sie so komplex ist, zu passender Zeit.

Rechtsanwalt Alexander Hoffmann, Beistand des Nebenklägers Ahmad E.: Wenn der Angeklagte sagt, es tue ihm alles leid, dann muss das daran gemessen werden, ob alles beantwortet wird. Und dass Fragen nicht erst nach Rücksprache beantwortet werden, sondern wenn sie gestellt werden.

Rechtsanwalt Kaplan: Sie waren das letzte Mal nicht da. Ich weiß gar nicht, wie informiert Sie überhaupt sind. Es ist das zweite oder dritte Mal, dass er sich zum Experten von Aussteigerprogrammen aufschwingt. Sie brauchen andere Anwälte nicht belehren. Herr Ernst hat bisher alle Fragen beantwortet.

Rechtsanwalt Hoffmann: Das stimmt doch nicht.

Vorsitzender Sagebiel: Diese Diskussion ist nicht zielführend. Fahren Sie fort, Herr Matt.

Matt/Nebenklage: Ich bin selbstbewusst genug, mein Fragerecht wahrzunehmen. Ich kann damit leben, Herr Kaplan, dass Sie die Frage später beantworten. Heute ist also keine Antwort zu erwarten. Herr Ernst, wissen Sie Dinge, die bei wahrheitsgemäßer Offenlegung Sie oder Ihre Familie einer Gefahr aussetzen würden? Haben Sie Erkenntnisse oder eine Einschätzung, dass weitere Anschläge drohen könnten aus Ihrem Umfeld? Die Beantwortung dieser Frage stelle ich zurück. Ich bitte Sie aber, sie zu notieren. - Nun zur Tatplanung, zu der Infrarotkamera, die Sie zur Kontrolle der Umgebung eingesetzt haben. Ist das richtig?

Ernst/Angeklagter: Ja.

Die Tat

Matt/Nebenklage: Als Sie sich dem Grundstück genähert haben, haben Sie das Gerät um den Hals getragen oder Herr H.?

Ernst/Angeklagter: Nein, ich.

Matt/Nebenklage: Wie lang war der Gurt, eng oder ist er rumgebaumelt?

Ernst/Angeklagter: Ich hatte ihn um den Hals und unter dem Pullover.

Killmer/Bundesanwaltschaft: Als Ihnen die Analyse der Wärmebildkamera vorgehalten wurde, sagten Sie, Aufnahmen in der Nacht vom 31. Mai auf den 1. Juni 2019 seien aus Versehen passiert. Ihr damaliger Verteidiger, Herr Hannig, erklärte: Sie hätten ihm gesagt, es gebe Aufnahmen mit einer Wärmebildkamera, die bei Herrn H. sei. Die Aufnahmen könnten von H. gefertigt worden sein. Was ist nun zutreffend? Die Kamera wurde in Ihrem Skoda sichergestellt.

Rechtsanwalt Kaplan: Das war mit Herrn Ernst nicht besprochen.

Vorsitzender Sagebiel: Herr Ernst, haben Sie das zu Herrn Hannig gesagt?

Ernst/Angeklagter: Ich habe das zu Hannig nicht gesagt.

Vorsitzender Sagebiel: Hat Hannig das selber gesagt, ohne Sie?

Ernst/Angeklagter: Ja.

Vorsitzender Sagebiel: Wussten Sie das?

Ernst/Angeklagter: Ja.

Vorsitzender Sagebiel: Haben Sie nicht zu ihm gesagt, das stimmt doch gar nicht?

Ernst/Angeklagter: Ich hab es beiseite gelegt und nicht mehr daran gedacht.

Matt/Nebenklage: Am 1. Juni 2019 um 15:17 Uhr wurde von einer Rufnummer, die Herrn H. gehört, eine Nummer angerufen, die Alexander Sch. gehört. Das Telefonat dauerte 272 Sekunden. Haben Sie Erkenntnisse, dass H. mit Sch[...] kurz vor der Tat gesprochen hat und wenn ja, worüber.

Ernst/Angeklagter: Nein, davon weiß ich nichts.

Matt/Nebenklage: Nähern wir uns nun der Tat. Sie haben erklärt, Sie hätten die Umgebung, die Pferdekoppel, überprüft. Dann geben Sie den Schutz auf und gehen gemeinsam auf die Terrasse. Haben Sie nicht gedacht, dass da jemand aus dem Haus kommen könnte? In der Küche brannte Licht.

Ernst/Angeklagter: Diese Befürchtung hatten wir schon. Es war das Risiko, das wir eingingen. Es sollte schnell gehen.

Matt/Nebenklage: Was hätten Sie gemacht, wenn jemand gekommen wäre? Hätten Sie denjenigen auch erschossen? Haben Sie darüber gesprochen?

Ernst/Angeklagter: Nein, ich kann nicht sagen, was wir gemacht hätten.

Matt/Nebenklage: Walter Lübcke saß auf der Terrasse. Warum sind Sie davon ausgegangen, dass es so sein könnte?

Ernst/Angeklagter: Das war nicht 100%-ig klar. Es war eine Möglichkeit. Aber es war nicht vorhersehbar, dass er tatsächlich dort ist. Es war Zufall.

Matt/Nebenklage: Gab es Informanten aus dem Ort, die so etwas berichtet haben?

Ernst/Angeklagter: Nein.

Matt/Nebenklage: Hatten Sie Kenntnisse, dass Lübckes einen Hund haben?

Ernst/Angeklagter: Nein.

Matt/Nebenklage: Wussten Sie, wer noch alles in dem Haus war, wie viele Personen?

Ernst/Angeklagter: Nein. Es waren Autos vor dem Haus, so dass noch mehr Personen da sein mussten. Aber wer, wussten wir nicht.

Matt/Nebenklage: Sie haben gesagt: Sie haben an der Pferdekoppel gewartet, H. ist vorgegangen, Sie haben das Smartphonelicht auf der Terrasse gesehen.

Ernst/Angeklagter: Ja.

Matt/Nebenklage: Haben Sie die Terrasse einsehen können?

Ernst/Angeklagter: Umrisse und die Smartphonebeleuchtung.

Matt/Nebenklage: Sie haben gesagt: H. kam zurück und Sie sind dann zusammen hin.

Ernst/Angeklagter: Wir sind zusammen runter gelaufen vor das Haus.

Matt/Nebenklage: Wie lange hat es gedauert, bis das Startzeichen von H. kam?

Ernst/Angeklagter: Vielleicht zehn Sekunden.

Matt/Nebenklage: Ganz kurz?

Ernst/Angeklagter: Ja.

Matt/Nebenklage: Gab es richtig ein Zeichen, jetzt geht's los?

Ernst/Angeklagter: Ja.

Rechtsanwalt Björn Clemens, Verteidiger des Angeklagten Markus H.: Ich muss beanstanden, das sind Wiederholungsfragen.

Vorsitzender Sagebiel: Wir sind großzügig. Ich entdecke immer neue Details. Wir lassen es so weiterlaufen.

Matt/Nebenklage: Die Frage hat ihre Logik, weil wir verstehen wollen, wie es abgelaufen ist. Dass wir nichts missverstehen, das hat oberste Priorität. Also: 'Jetzt geht's los!' Zum Tatablauf: Ich will Ihnen einige Tatort-Pläne vorhalten.

Tatortfotos aus Vogelperspektive werden an die Wand projiziert.

Matt/Nebenklage: Bei Ihrer richterlichen Vernehmung am 8. Januar 2020 haben Sie die Laufwege von H. und sich eingezeichnet. Sie kamen von hinten, von der Seite, Herr H. von vorne.

Ernst/Angeklagter: Ja.

Matt/Nebenklage: Die Familie beschäftigt, wo Sie langgelaufen sind. Hier ist es geplättelt und lautlos, hier Kiesbett. Sind Sie über das Kiesbett gelaufen oder den geplättelten Weg?

Ernst/Angeklagter: Ich kann's nicht mehr mit 100%-iger Sicherheit sagen. Ich meine, in diesem Bereich, wo die Platten liegen.

Matt/Nebenklage: Hier der Plan von der Terrasse mit Blutspuren und Tisch. Der Tisch hätte für Sie im Weg gestanden. Zeugen sagten, der Tisch stand nahe bei Walter Lübcke.

Ernst/Angeklagter: Ich kann mich nicht an den Tisch erinnern. Da war kein Tisch.

Vorsitzender Sagebiel: Herr Ernst, kann es so gewesen sein, dass Sie am Tisch vorbeigelaufen sind?

Ernst/Angeklagter: Meiner Ansicht nach war der Tisch nicht da.

Rechtsanwalt Kaplan: Wir kommen da in der Beweisaufnahme nicht weiter. Herr Ernst wird keine Angaben mehr machen können.

Matt/Nebenklage: Für uns spielt das eine Rolle. - Herr Ernst, Sie haben gesagt, Sie hatten Walter Lübcke im Blick und die Waffe im Anschlag. Wie nahe standen Sie an der Wand?

Ernst/Angeklagter: Das ist dieser Weg, ich stand mittig.

Matt/Nebenklage: Seitlich von Walter Lübcke?

Ernst/Angeklagter: Ja, von ihm aus gesehen auf der rechten Seite.

Matt/Nebenklage: Sie haben mit rechts geschossen?

Ernst/Angeklagter: Ja, mit rechts geschossen.

Matt/Nebenklage: Sie haben auf die rechte Seite des Kopfes gezielt?

Ernst/Angeklagter: Nicht gezielt, in die Richtung gehalten.

Vorsitzender Sagebiel: Er hatte die rechte Seite Ihnen zugewandt. Wohin blickte Walter Lübcke?

Ernst/Angeklagter: Zur Straße hin würde ich sagen.

Matt/Nebenklage: Wo stand H.? Schaute Walter Lübcke zu H.?

Ernst/Angeklagter: Ja.

Matt/Nebenklage: Hat H. Walter Lübcke abgelenkt?

Ernst/Angeklagter: Könnte man so sagen, ja.

Matt/Nebenklage: Warum sind Sie zurückgewichen und haben nicht von ganz nah geschossen?

Ernst/Angeklagter: Kann ich nicht sagen, hat sich so ergeben.

Matt/Nebenklage: Können wir uns darauf verlassen, dass Sie uns die ganze Wahrheit gesagt haben, auch über die Täter?

Ernst/Angeklagter: Ja.

Vorsitzender Sagebiel: Es sollte ja schnell gehen, schießen und weg. Stattdessen haben Sie sich zu zweit vor Walter Lübcke aufgebaut. Sie haben zu ihm gesagt: 'Bleib sitzen! Für so jemanden wie Dich gehe ich jeden Tag arbeiten.' Und Herr H. soll gesagt haben: 'Zeit zum Auswandern', damit Walter Lübcke in diese Richtung schaut. Haben Sie vorher vereinbart, dass Sie Walter Lübcke ansprechen?

Ernst/Angeklagter: Das war vereinbart, das wollten wir machen, ja.

Vorsitzender Sagebiel: Sie wollten dieses Gespräch ermöglichen?

Ernst/Angeklagter: Ich habe nicht damit gerechnet, dass er sich gleich aufrichtet. Deshalb habe ich ihn in den Stuhl gedrückt.

Vorsitzender Sagebiel: Waren diese Äußerungen wichtig für Sie?

Ernst/Angeklagter: Ja, das war Teil des Planes.

Der Anwalt und der Sprecher der Familie Lübcke erklärten hinterher gegenüber der Presse, warum den Angehörigen die Details der Tat so wichtig seien. Sie wollten wissen, wie es war, wie Walter Lübcke starb, ob er noch etwas gesagt habe. Rechtsanwalt Matt erklärte, ihre Fragen dienten auch der Wahrheitsfindung. Sie hätten belegt, dass Ernst den Mord aus niederen Beweggründen aufgrund seiner rechtsextremen Ideologie begangen habe.

"Psychische Beihilfe"

Während Ernst den Mitangeklagten H. belastet, hält die Bundesanwaltschaft dessen Beitrag klein. Für sie war Markus H. weder an der Tat beteiligt noch am Tatort noch in den Anschlagsplan eingeweiht. Er habe Ernst lediglich in seinem Beschluss bestärkt.

Das wird gerne "psychische Beihilfe" genannt. Außer der Bezichtigung H.s durch Ernst gibt es bisher keine festen Sachbeweise für dessen Mittäterschaft. Zugleich grenzt die Anklagebehörde den gesamten Anschlagskomplex auf die beiden Männer ein. Helfer oder Mitwisser werden bisher keine genannt.

Die Besetzung der Hauptverhandlung hat kuriose Elemente. Einer der zwei Verteidiger von Ernst ist Mustafa Kaplan aus Köln, der im NSU-Prozess von München ein Opfer des Bombenanschlags in der Kölner Keupstraße vertrat. Sein damaliger Kollege Alexander Hoffmann, ebenfalls Opferanwalt einer Geschädigten aus der Keupstraße, vertritt in Frankfurt den irakischen Asylsuchenden Ahmad E., der von Ernst am 6. Januar 2016 mit einem Messer verletzt worden sein soll. Er ist damit nun Kontrahent von Kaplan. Eine der zwei Rechtsbeistände des Angeklagten Markus H. wiederum ist Nicole Schneiders, die im Münchner NSU-Prozess den Angeklagten Ralf Wohlleben vertrat.

Markus H. schweigt bisher. Es kann aber auch vorkommen, dass er sich plötzlich ungefragt und ohne Absprache mit seinen beiden Anwälten selber zu Wort meldet. Beispielsweise als eine Kriminalbeamtin des Landeskriminalamtes (LKA) Hessen, die mit der Auswertung von H.s Asservaten (Telefon, Tablets, Computer) befasst war, als Zeugin erwähnt, dass sich unter den gelöschten Dateien eine Pdf-Datei von Hitlers Buch "Mein Kampf" befand.

"Wo waren die Dateien?", will H. wissen: "Auf der Festplatte oder im Betriebssystem? Es wird so dargestellt, als wären diese Dateien auf meinem PC gelöscht worden." Der Vorsitzende Richter Sagebiel entgegnet: "Die Zeugin hat nicht gesagt, Sie hätten die Dateien gelöscht, sonder nur, dass sie gelöscht wurden." Wieder H.: "Wenn schon, dann waren sie auf der Festplatte. Und 'Mein Kampf': Wann wurde die Datei erstellt?" Sagebiel: "Das klären wir noch."

Die LKA-Beamtin hatte in ihrem Auswertebericht unter anderem auch festgehalten, H. habe sich mit dem Verfassungsschutz in Hessen beschäftigt. Wie und warum, konnte sie nicht sagen. Auf Nachfragen des Gerichtes bestätigte sie dann, es habe sich dabei um den hessischen Verfassungsschutzbericht von 2011 gehandelt.