Lückenhaft und unzulänglich - das neue Lieferkettengesetz
Seite 2: Elektrisch geladenes Tor, Akkordlohn statt Mindestlohn
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- Elektrisch geladenes Tor, Akkordlohn statt Mindestlohn
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Auf drei von fünf Farmen liegt den Beschäftigten kein Arbeitsvertrag vor - beziehungsweise sie haben keine eigene Kopie davon, und während der Erntezeit wird nur Akkordlohn gezahlt, statt des gesetzlichen Mindestlohn. Darüber hinaus wird ihre Privatsphäre verletzt, ihre Bewegungsfreiheit eingeschränkt. So verhinderte in einem Fall ein elektrisch geladenes Tor, dass die Beschäftigten die Farm jederzeit verlassen können. Häufig sind die Unterkünfte in schlechtem Zustand.
Auf drei von fünf Farmen berichteten Arbeiter von Einschüchterungen beziehungsweise von der aktiven Bekämpfung gewerkschaftlicher Organisierung. In einem Fall wurde der Gewerkschaftsvertreter im Dezember 2020 entlassen.
Auf allen untersuchten Farmen fehlt es an sauberem Trinkwasser. Wegen der aktuellen Dürre im Ostkap ist dies eine zusätzliche Belastung für die Arbeiter. Die aufgezeigten Missstände seien keine Einzelfälle, weiß Jan Urhahn. Die Zustände auf den Zitrusfarmen in Südafrika seien beispielhaft für die Zustände in vielen Lieferketten, deren Produkte deutsche Supermärkte erreichen, erklärt der Agrarexperte der Rosa-Luxemburg-Stiftung. "Wenn auf einer Zitrusfarm nachweislich eine ganze Reihe hochgefährlicher Pestizide eingesetzt werden, sodass es zu akuten Vergiftungen unter den Beschäftigten und deren Familien kommt, berührt dies eindeutig die Sorgfaltspflicht von deutschen Supermarktkonzernen."
Problematische Praktiken beim Handel mit Zitrusfrüchten
Sowohl bei der Sicherung der Qualität der Früchte als auch im Hinblick auf den Schutz der Rechte der auf den Farmen Beschäftigten haben sich in den letzten 15 Jahren private Standards durchgesetzt. So spielt in der Lieferkette zwischen Afrika und Deutschland der Verhaltenskodex GlobalGAP und der Sozialstandard SIZA eine zentrale Rolle. Die Standards garantieren zwar den deutschen Konsumenten eine vergleichsweise hohe Qualität und ein hohes Maß an Nahrungsmittelsicherheit. Auf den südafrikanischen Farmen aber stellen sie keineswegs die Einhaltung des geltenden Arbeitsrechts sicher.
Allerdings sind die privaten Formen der Regulierung auch nicht dazu geeignet, staatliche Kontrollen zu ersetzen. gibt es doch nur wenige Inspektionen, und Rechtsverletzungen werden kaum geahndet. Auch wird den Arbeiterinnen und Arbeitern der geschützte Raum verwehrt, den sie auf den Farmen brauchen, um Beschwerden vorzubringen, schreiben die Autoren der oben genannten Studie.
Offenbar verweigert die Organisation SIZA den Dialog mit einheimischen Landarbeiterorganisationen. Die Ergebnisse der Audits sind weder für die Beschäftigten noch für die Öffentlichkeit einsehbar, sondern nur für die Importeure der Zitrusfrüchte.
Auch deutsche Supermarktkonzerne nutzen ihre Nachfragemacht gegenüber den Produzenten in Südafrika zu einseitig zu ihren Gunsten. Einerseits erzielen sie hohe Margen, andererseits fühlen sie sich nicht zuständig, wenn es darum geht, das Arbeitsrecht auf den Zitrusfarmen durchzusetzen. Sie gehen keine längerfristigen Lieferverträge mit den Importeuren ein und lassen Preise nachverhandeln. Gleichzeitig verlangen sie hohe Qualitätsstandards, erhalten die Ware auf Kommission und ordern sie kurzfristig. Die Importeure geben den Druck mit allen verbundenen Unsicherheiten an die Produzenten weiter. Das Risiko haben die südafrikanischen Produzenten zu tragen.
Was fehlt, ist eine zivilrechtliche Haftungsregelung
Das neue Gesetz sei ein politischer Kompromiss, erklärt die Initiative Lieferketten, bestehend aus einem Bündnis von 125 Organisationen, in einer kürzlich veröffentlichten Analyse. Zwar umfasst es viele Punkte, die aus zivilgesellschaftlicher Perspektive zu begrüßen sind, weil sie zu einer größeren menschenrechtlichen und umweltbezogenen Sorgfalt von Unternehmen in ihren Lieferketten beitragen. Gleichzeitig greift das Gesetz an vielen Punkten zu kurz und ist somit unwirksam. Als Vorbild für ein europäisches Lieferkettengesetz taugt es deshalb nicht.
Auch die Industrie findet das Gesetz nicht so toll, wenn auch aus anderen Gründen. Sie sieht vor allem Nachteile für den Mittelstand. Die Firmen hätten zu hohe Sanktionen zu fürchten, warnt BDI-Hauptgeschäftsführer Joachim Lang. Auf der anderen Seite reagierten der Bundesverband der Deutschen Industrie e. V. (BDI) und andere Wirtschaftsvertreter sehr erleichtert darauf, dass es keine zivilrechtliche Haftung für Unternehmen enthält
Die größte Schwachstelle ist, dass Betroffene so gut wie keine Chance haben, deutsche Unternehmen vor dem Zivilgericht zur Verantwortung zu ziehen. Interessanterweise sehen das eine Reihe von Unternehmen ganz genauso - darunter Tchibo, Symrise, Ben & Jerry's und Weleda - und fordern Nachbesserungen: Wer im Ausland an Sorgfaltspflichtverletzungen deutscher Unternehmen Schaden genommen hat, sollte zumindest die Möglichkeit haben, vor deutschen Gerichten auf Wiedergutmachung zu klagen. Neben einer risikobasierten Sorgfaltspflicht fordern die Unternehmen vor allem rechtliche Mechanismen für Abhilfe und Wiedergutmachung gegenüber den Betroffenen, aber auch eine verbindliche Einbeziehung von kleineren Unternehmen in gesetzlich verankerte Sorgfaltspflichten.
So viel ist klar: Nur wenn Unternehmen für Schäden haften müssen, werden sie versuchen, die in den Produktionsabläufen angerichteten Umweltschäden und Menschenrechtsverletzungen so gering wie möglich zu halten. Deshalb ist es an der Zeit, dass Deutschland mit einem wirkungsvollen Lieferkettengesetz den Weg für eine ambitionierte EU-Regelung ebnet.
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