Lukrative Bürokratisierung
Das Bundesfinanzministerium will für Exporte in andere EU-Länder künftig eine "Gelangensbestätigung" fordern - doch auf deren Ausstellung hat der Lieferant keinen Rechtsanspruch
Am 1. Juli soll die Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung (UStDV) geändert werden. Geht es nach den Plänen des Bundesfinanzministeriums, dann müssen deutsche Selbständige und Unternehmer, die Waren in das EU-Ausland liefern, in Zukunft die Empfänger dazu bewegen, dass sie ein Formular für eine "Gelangensbestätigung" ausfüllen und zurücksenden. Können die Lieferanten solch eine Bescheinigung nach dem neuen § 17a UStDV nicht vorlegen, müssen sie so viel Umsatzsteuer dafür entrichten, wie wenn sie das Exportgut in Deutschland verkauft hätten.
Ein Problem dabei ist, dass solch eine Regelung nur für Deutschland, aber nicht für andere EU-Länder geplant ist. Deshalb wird es auch keinen Rechtsanspruch auf Rücksendung der "Gelangensbestätigung" geben, wodurch absehbar ist, dass viele Empfänger die bürokratische Arbeit nicht ganz oben auf ihre To-Do-Liste setzen und das Formular zu spät, fehlerhaft ausgefüllt oder gar nicht zurücksenden werden. Wie genau das Formular aussehen soll, ist bislang nicht bekannt. Auch, ob und wann es das Formular in Sprachen wie Lettisch und Slowenisch geben wird, steht noch in den Sternen. Dies wäre jedoch insofern notwendig, als Empfänger eher zögern, etwas zu unterschreiben, was nicht in ihrer Muttersprache vorliegt.
Nicht nur dann, wenn das Formular gar nicht vorliegt, sondern auch, wenn es falsch ausgefüllt wurde, sollen die Finanzbehörden die Ware rechtlich so behandeln, als ob sie in Deutschland verkauft worden wäre - was bedeutet, dass der Lieferant 19 Prozent des Verkaufspreises als Umsatzsteuer abführen muss. Bei 600 bis 700 Milliarden Euro an jährlichen Exporten in die EU-Länder könnte die Regelung Finanzminister Wolfgang Schäuble deshalb Extra-Steuereinnahmen in beträchtlicher Höhe einbringen. Aufgrund der Kosten für Kontrolle und Mahnung müssen deutsche Lieferanten zudem mehr Personal einstellen oder Überstunden anordnen, weshalb beispielsweise der Hightech-Industrieverband Spectaris von einer Wettbewerbsverzerrung spricht.
Im Bundesfinanzministerium heißt es auf Anfrage zum Zweck der Neuregelung, sie sei ein Beitrag zur Entbürokratisierung, weil zukünftig nur mehr ein einziger Beleg zum Nachweis der Exportleistung abgeliefert werden müsse. Beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) hält man allerdings eindeutig die alte Lösung für unbürokratischer, weil hier auch der Spediteur Bescheinigungen ausstellen kann und diese nachgereicht werden dürfen. Bei der neuen Regelung reiche dagegen weder die Unterschrift des Transportunternehmens noch die des "Mannes an der Entladerampe".
Die größere Fehleranfälligkeit könnte nach Ansicht des Verbandes auch Logistikunternehmen und als Subunternehmer tätige Lastwagenfahrer treffen, auf die Schadensersatzforderungen aus Steuernachzahlungen zukommen, die entstehen, wenn bürokratische Anforderungen nicht eingehalten wurden. Dem DIHK zufolge drohten Exporteure deshalb bereits damit, den Belastungen und Risiken dadurch zu entgehen, dass sie im Ausland Auslieferungslager einrichten und in diesem Rahmen auch Arbeitsplätze dorthin verlagern.
Die Rechtssicherheit wird durch die neue Regelung aus Sicht des Finanzministeriums nicht vermindert, sondern sogar gestärkt, weil man sich damit an der aktuellen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) orientiere. Hinsichtlich eines Rechtsanspruchs auf eine Mitwirkung des Empfängers bei der Gelangensbestätigung und der Ungleichbehandlung innerhalb der EU verweist man auf die Zuständigkeit der Europäischen Kommission, wo sich allerdings niemand für die Frage zuständig fühlt. Auch der ehemalige bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber, der sich im Brüsseler Austrag der Entbürokratisierung angenommen hat, reagiert nicht auf Anfragen dazu.
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