Luther als Klimaschützer und Freiheitskämpfer?
Seite 3: Wie wird Frieden bewahrt?
Erasmus macht Vorschläge zur Friedenswahrung. Die Ursachen des Krieges sollen abgeschnitten werden. Es sind vorwiegend innenpolitische Mängel, die ein Kriegsklima begünstigen. In einem "Fürstenspiegel" ("Institutio principis Christiani" 1515), den Erasmus für die Erziehung des jungen Karl (V.) verfasste, entwickelt er Verhaltensweisen und Aufgaben, denen ein idealer Regent bei der "Staatsverwaltung" nachkommen muss.
In erster Linie ist es die Orientierung am Gemeinwohl, dazu gehört die umfassende Verbesserung der Lebensverhältnisse der Menschen; die Sorge um das Wohlergehen des Einzelnen; gerechte Verteilung der Güter und Behebung der Armut; karitative Zuwendungen, da wo sie angebracht sind; eine nichtausbeuterische Wirtschaft und Verwaltung; überschaubare gerechte Gesetzgebung; vernünftige und maßvolle Steuerpolitik; Schutz des Fremden; allgemeine Volksbildung … All dies ist friedensfördernd. (Sehr vieles, von dem, was Erasmus nennt, wäre auch von modernen Regierungen zu beherzigen!)
Bei Konflikten, die in Krieg münden könnten, sollte eine Art Sicherheitsrat von klugen und gereiften Beamten, Kirchenleuten und Gelehrten als Schiedsgericht fungieren. Am besten wäre es, die Fürsten Europas würden sich auf "eine Art ewigen Friedens" einigen. Erasmus legt die Verwirklichung des Friedens aber nicht nur in die Hände der "Obrigkeiten und Herren", sondern auch in die des Volkes:
Zeigt, wieviel die Einigkeit der Menge gegen die Tyrannei der Mächtigen vermag!
In dieser Aussage ist ein Widerstandsrecht des Volkes gegen den tyrannischen Staat enthalten. Im äußersten Notfall konzediert auch der frühe Luther ein Recht zum Widerstand, dann wenn ein tyrannischer Herrscher in das "geistliche Regiment" massiv eingreift; der "Ungehorsam" darf aber nur passiv, nicht gewaltsam sein. ("Von weltlicher Obrigkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei" 1523.)
Die geschichtliche Entwicklung der Jahrhunderte nach Erasmus ist über die Vorstellung eines vertraglich und rechtlich gesicherten "ewigen Friedens" zwischen einem Bund republikanisch verfasster Völker hinweggegangen. (Republikanisch heißt, dass Bürger repräsentativ an Regierungsgeschäften und -entscheidungen beteiligt sind, eine Forderung, die bei Erasmus angelegt ist.)
Die Idee ist aber nicht untergegangen. Kant hat sie in seiner folgenreichen Schrift "Zum ewigen Frieden" (1795) wieder aufgenommen und ausgeführt. (Kant bestimmt "republikanisch" wie eben angegeben. Ein dauerhafter Friede lässt sich nach seiner Ansicht nur durch Staaten mit republikanischer Verfassung gewährleisten. Hier müssen alle einem Krieg zustimmen und alle die Nachteile selbst tragen, was - so meint der Rationalist Kant - nicht ohne sorgfältiges Bedenken geschehen werde. Dies sei bei einem autokratischen Staatslenker, der einen Krieg "wie eine Art von Lustpartie aus unbedeutenden Ursachen" beschließt, nicht der Fall.)
Auch im beginnenden Nationalismus seiner Zeit sieht Erasmus Gefahren für den Frieden. Allein aufgrund der Nationalzugehörigkeit hassen die Angehörigen eines Landes diejenigen eines anderen, statt auf Gemeinsamkeiten zu achten und sich als Menschen "wohlzuwollen".
Manches bei Erasmus ist visionär und utopisch. Dennoch zeigt er sich in gesellschaftspolitischen Fragen und vor allem in der Beurteilung des Krieges realistischer, zukunftsweisender und lösungsorientierter als Luther. Der Wittenberger geht davon aus, dass der Krieg die Aufgabe habe, "die Bösen [Türken, Bauern …] zu bestrafen, die Gerechten zu beschützen und den Frieden zu bewahren." ("Ob Kriegsleute im seligen Stande sein können") Krieg ist nur im Notfall, als Verteidigungskrieg erlaubt, aber dann ist er "von Gott eingesetzt" und "hauen, stechen, brennen, töten" ist ein "göttliches Amt". Wie naiv und inhuman ist das!
Wann sind Situationen reiner Angriffs- oder Verteidigungskriege gegeben? Wer will das entscheiden? Fast immer sehen beteiligte Parteien ihren Krieg als berechtigt an, geben vor, angegriffen zu sein und sich im Verteidigungsfalle zu befinden! Angriffs- oder Verteidigungskriege bringen beide furchtbares Leid und immense Schäden mit sich, früher schon und erst recht bei "moderner" Kriegführung.