Märchenhaftes Rollenspiel
Ubisofts "Child of Light" für Wii U, PS3, PS4, Xbox 360, Xbox One und PC
"Child of Light" hat den Charme eines Indie-Games, ist aber eine Eigenentwicklung des großen Spieleherstellers Ubisoft. Die Kämpfe erinnern an typische japanische Rollenspiele, stammen aber von westlichen Entwicklern. Trotz oder gerade wegen dieser Widersprüche hat das Download-Spiel einen ganz eigenen, sympathischen Charme.
Das düstere Märchen, das Child of Light erzählt, erinnert ein wenig an die melancholischen Tim-Burton-Geschichten: Prinzessin Aurora fällt nach der Neuvermählung des Vaters in Eisesstarre und taucht in eine Traumwelt ein. Dort trifft sie diverse Figuren, die allesamt auf der Suche nach Familie, Freunden oder sich selbst sind. Als gemeinsames großes Thema steht das Erwachsenwerden im Raum. Die Story von "Child of Light" kann man als "Coming-of-Age"-Märchen betrachten.
Zu Anfang führen eine Erzählstimme und eine künstlerisch gezeichnete Kulisse den Spieler ins Geschehen ein und bauen eine fantastische Atmosphäre auf. Wenn der Spieler die Kontrolle über Aurora übernimmt, präsentiert sich "Child of Light" zunächst als 2D-Plattform-Game. Ubisoft Montreal verwendete die UbiArt-Engine, die schon für die letzten beiden "Rayman"-Games zum Einsatz kam und - wie der Name vermuten lässt - den künstlerischen Aspekt in den Vordergrund stellt. Sie lässt dem Zeichner, der keine Programmierkenntnisse benötigt, kreative Freiheit für 2D-Spiele ähnlich wie seinerzeit die Adventure-Engines von Sierra Entertainment (King’s Quest) und LucasArts ("Monkey Island") für Point-And-Clicks.
Auroras erste Begegnung ist die mit einem Glühwürmchen, das sich ihr anschließt. Igniculus, so sein Name, bringt das Licht aus dem Titel ins Geschehen: Bald kommt das erste Puzzle, für das Igniculus Formen ins rechte Licht setzen muss. Zusätzlich beleuchtet er dunkle Passagen und betätigt spezielle Schalter. Wer einen zweiten Spieler zur Hand hat, darf ihm die Kontrolle des Glühwürmchens übergeben.
Die Märchenwelt birgt auch feindliche Kreaturen und so kommt es bald zum ersten Kampf. Trotz des westlichen Entwicklerstudios sind die Auseinandersetzungen nach bester JRPG-Art (Japanese Role Playing Game) gestaltet. Sie erinnern mit ihrer Kombination aus rundenbasierten Kämpfen mit Echtzeitelementen an das bekannte Active-Time-Battles-System, das in den früheren Final-Fantasy Spielen zum Einsatz kam. Ein besonderer Aspekt dabei ist die zweigeteilte Zeitleiste. Am ersten Punkt angekommen beginnt der entsprechende freundliche oder feindliche Charakter seine Aktion und führt sie erst aus, wenn er das Ende der Leiste erreicht. Mächtige Zauber benötigen mehr Zeit als schnelle Manöver. So ist es möglich, einen in Aktion befindlichen Gegner zu unterbrechen und ihn auf der Zeitleiste zurückzuwerfen.
Das Glühwürmchen kämpft zwar selbst nicht mit, unterstützt aber Aurora und ihre späteren Gefährten. So kann es Gegner blenden und damit ihre Aktionen verzögern oder Aurora und ihre Freunde heilen.
Die Prinzessin muss nur die ersten Gegner alleine bezwingen, bevor sie ihren ersten Mitstreiter findet. Im Lauf der Geschichte kommen weitere hinzu. In den Kämpfen sind nur zwei Helden aktiv, aber der Spieler darf sie jederzeit austauschen und so die unterschiedlichen Fertigkeiten nutzen oder geschwächte Kämpfer aus der Schusslinie nehmen. Die Freunde passen in die typischen Rollenspielklassen wie Heiler, offensiver Magier und Unterstützer.
Unabhängig davon, wer im Kampf aktiv war, erhalten alle Charaktere am Ende Erfahrungspunkte, mit denen sie ihre Fertigkeiten verbessern. Dazu gibt es jeweils recht simple Skill-Trees, in denen der Spieler beispielsweise entscheidet, ob Auroras Schwester sich mehr darauf konzentriert, die Abwehr der Gruppe zu stärken oder die Gegner auszubremsen.
Unterschiedliche Rüstungen oder Waffen gibt es nicht. Die Charaktere verbessern ihre Werte mit einer Art Edelsteine, die Oculi heißen. Jeder Held darf drei davon ausrüsten: Einen zur Stärkung des Angriffs, einen zur verbesserten Verteidigung und einen für das Zeit-Management. Oculi gibt es in vier Größen und unterschiedlichen Farben. Der Spieler kann auch jeweils zwei oder drei zu einem anderen kombinieren. So verbindet er beispielsweise einen blauen Saphir und einen roten Rubin zu einem lila Amethyst. Drei gleiche Oculi verschmelzen zur nächsten Größe und werden damit mächtiger.
Die meisten Edelsteine sind ebenso wie der Großteil der Monster mit entsprechenden Elementarkräften verbunden. Wie in vielen Rollenspielen gibt es unterschiedliche Kräfteverhältnisse nach dem Stein-Schere-Papier-Prinzip. So ist Wasser stark gegen Feuer, aber anfällig gegen Blitze.
Das System ist leicht zu lernen und im Vergleich zu größeren japanischen oder auch westlichen Rollenspielen simpel. Dennoch bringt es auf angenehme Weise den genretypischen Aspekt der Sammelfreude ins Geschehen: Neue Oculi kann der Spieler gleich zur Verbesserung verwenden. Zudem darf er seine Ausrüstung der Umgebung anpassen: Herrschen beispielsweise in einem Bereich Feuerwesen vor, gewinnt die Gruppe mit Wasserangriffen durch das Ausrüsten von Saphir-Oculis leichter die Oberhand.
Die Hauptgeschichte führt Aurora geradlinig in die einzelnen Gebiete. Darin bleibt das Spiel dem Buchcharakter mit seiner linearen Natur treu. Zwischendrin findet sie auch einzelne, optionale Neben-Quests. Einige davon erfordern die übliche Monsterjagd. Es gibt aber auch märchenhaftere Aufgaben. Eine nette Idee ist das "Verwandeln" eines Apfels zu Gold, indem sich Aurora quasi als umgekehrte Version des "Hans im Glück" versucht und mit verschiedenen Figuren Tauschgeschäfte durchführt.
Immer wieder gibt es zudem Schiebepuzzles oder Rätsel, bei denen das Glühwürmchen zum Einsatz kommt. Die Puzzles sind allesamt sehr einfach, bringen aber angenehme Abwechslung ins Geschehen. Da Aurora sehr früh das Fliegen lernt, erfolgt die Erkundung jeweils in alle Richtungen. Der richtige Weg ist meist leicht zu finden, aber wer sich etwas mehr Zeit nimmt, entdeckt zahlreiche versteckte Höhlen und Schätze.
Die künstlerische Umsetzung mit den liebevoll gezeichneten Figuren und den atmosphärischen Hintergründen machen "Child of Light" zu einem optischen Genuss. Die Musik rundet die Atmosphäre ab. Leider gibt es fast keine Sprachausgabe. Andererseits ist das manchmal ein Segen, denn ausgerechnet die Sprache ist in dem poetischen Szenario der große Schwachpunkt - zumindest in der deutschen Version. Die Erzählung erfolgt fast ausschließlich in gereimten Versen, die im Deutschen durchweg holprig sind. Einige Stellen sind richtig unangenehm: Die Zwerge mit Berliner Akzent wirken so deplatziert als würde Mario Barth die Rolle des Puck in Shakespeares Sommernachtstraum übernehmen.
Abgesehen davon ist Ubisofts kleines Rollenspiel ein echtes Kleinod, das auch preislich mit 15,- Euro im typischen Indie-Segment liegt. Die Balance ist gut gelungen: Die Kämpfe schrecken Rollenspielneulinge nicht ab, sind aber auch für Genrefans interessant und lassen genügend Raum zur Optimierung der Vorgehensweise. "Child of Light" ist in vieler Hinsicht einfach: Als Rollenspiel weniger komplex als ein Final Fantasy, als Puzzle-Platformer weniger knifflig als Trine 2 (vgl. Abenteuer der vierten Generation) und mit gezeichneter 2D-Grafik statt großen 3D-Effekten. Genau das macht zusammen mit den liebenswürdigen Charakteren und der interessanten Geschichte den rundum gelungenen Charme des Spiels aus.
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