Mafia immer und überall
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Illegale Einwanderer in Italien und wie der Staat die Augen verschließt
Der 42-jährige Salif Guiebre ist ein illegaler Einwanderer aus Burkina Faso, der seit 8 Jahren in Italien lebt. Er ist Vater von zwei Kindern, 17 und 8 Jahre alt, die mit ihrer Mutter in der Heimat geblieben sind. Salif ist heute Gärtner und Tellerwäscher.
In einem sehr guten Italienisch mit französischem Akzent erzählt er seine Migrantengeschichte und berichtet vom Grauen in den Augen der Auswanderer, die über die Mittelmeerroute nach Italien fliehen und auf der Überfahrt ihr Leben aufs Spiel setzen. Wie reagiert ein Mensch, der wie Dostojewski dem Tod nur um Haaresbreite entgeht, auf ein so großes Trauma? Wie ändert sich seine Gedanken- und Gefühlswelt? Wie sieht er das Leben? Will er dann wirklich nur Sky, um im Flüchtlingslager Fußball sehen zu können?
Wie und wann bist du nach Italien eingewandert?
Salif Guiebre: Eigentlich bin ich ganz legal nach Italien gekommen. Dann änderte sich mein Rechts-Status und ich wurde 7 Jahre lang zum illegalen Einwanderer. Das ist nicht leicht. Aber mit der Polizei oder den Behörden hatte ich nie Probleme. Auch nicht, wenn ich angehalten oder kontrolliert wurde. Ich muss sagen, dass Italien in dieser Hinsicht eine gewisse Elastizität, eine gewisse Toleranz gegenüber dem Ausländer an den Tag legt.
Das Schlimmste an der Illegalität ist, dass man nie unter Vertrag arbeiten kann. Man ist allen möglichen Gefahren ausgesetzt. Illegale Einwanderer können sich nur in gewissen Regionen aufhalten. Im Norden und in Mittelitalien gibt es fast keine Schwarzarbeit, also kann man nicht dort bleiben. Der einzige Ort, der übrig bleibt und wo du hoffst, dich zu retten, ist der Süden, wo Schwarzarbeit immer noch sehr aktuell und weitverbreitet ist.
Flüchtlinge arbeiten für weniger Geld. Selbst wenn sie nicht weniger kosten würden, würde man trotzdem die Leute schwarzarbeiten lassen, weil keine Sozialabgaben zu zahlen sind. Gearbeitet wird ausnahmslos in der Landwirtschaft. Flüchtlinge und Illegale machen jedes Jahr dieselbe saisonbedingte Dreiecksmigration von Kalabrien über Kampanien in die Basilikata. Es fängt mit der Zitrusfruchternte in Kalabrien an, dann werden Erdbeeren und Tomaten im Gebiet um Caserta geerntet und am Ende Tomaten in der Basilikata.
Fast übergangslos gehen die Erntezeiten ineinander über. Die irregulären Arbeiter arbeiten nach dem Mafia-System des Caporalato, bei dem ein italienischer oder afrikanischer Mittelsmann, der sog. Caporale - Kaporal, als Schaltstelle zwischen dem Arbeitgeber (meist Landwirtschaftsbetriebe) und den Tagelöhnern für die Arbeitsbesorgung dient. Die Arbeiter werden für die Akkordarbeit bis aufs Äußerste ausgebeutet und für den Vermittlungsdienst erhält der Caporale einen Teil der Bezahlung.
Es gibt keine Versicherung. Es gibt absolut nichts. Das wirkliche Problem ist, dass niemand angezeigt werden kann. So habe auch ich 7 Jahre lang gelebt.
Migranten in Italien (5 Bilder)
Verschlag 1
Hat der italienische Staat versagt?
Salif Guiebre: Nein. Er hat nicht versagt. Es ist eine ganz präzise Entscheidung, nicht einzugreifen. Es ist nicht so, dass der Staat versucht hätte einzugreifen, um die Legalität wieder herzustellen und versagt hätte. Nein, er greift bewusst nicht ein und lässt die Situation so weiterschleifen. Also ist er Mitwisser. Die Carabinieri, die Verwalter und Politiker haben die Lage klar vor Augen und machen nichts dagegen. Seit Jahren.
Alle Caporali sind doch leicht identifizierbar. Jeder von ihnen besitzt z.B. Transportmittel, meist Kleinlaster, mit denen sie die Arbeiter auf die Felder fahren. Diese Lieferwagen sind niemals versichert und die Fahrer haben keinen Führerschein. Wenn sie angehalten und von der Polizei kontrolliert werden, kommen sie immer ungeschoren davon. Es ist also nicht möglich, dass weder die Polizei noch die Carabinieri nichts davon wissen. Sie wissen es sehr wohl und schließen die Augen.
Die Ghettos, in denen die Arbeiter wohnen, bestehen nicht nur aus zwei oder drei Baracken. Das kann man nicht einfach übersehen, wenn 300, 400, 500 Menschen mehrere Monate lang an einem Ort leben. Ich weiß nicht, warum das so ist. Auf jeden Fall ist die Arbeitskraft die billigste, die es gibt. Für eine Kiste voller Tomaten erhält der Arbeiter nur ein paar Euro.
Was machst Du während der toten Zeiten?
Salif Guiebre: Praktisch nichts. Du gibst das aus, was Du dir erarbeitet hast.
Leben in Ghettos
Was geht Dir während dieser Zeit durch den Kopf?
Salif Guiebre: Dieselben Fragen, die dir immer durch den Kopf gehen: Wann wird dieser Albtraum endlich enden? Es gibt auch viele legale Einwanderer in Italien, die ebenfalls gezwungen sind, schwarz zu arbeiten, weil sie trotz einer Aufenthaltsgenehmigung keine Möglichkeit hatten, weiter nach Norden zu ziehen. Es gibt keinen, der diese Situation nicht beenden will, denn auch die Wohnsituation ist katastrophal.
Die Verhältnisse in den Unterbringungen sind beinahe unmenschlich. Die Einwanderer leben in Ghettos ohne das Notwendigste zum Überleben; das heißt ohne Wasser, ohne Licht, ohne Badezimmer, unter prekären hygienischen Bedingungen. Unter diesen Bedingungen ist ein würdevolles Leben ausgeschlossen. Ich habe im Burkina Faso die Schule absolviert. Dann habe ich in einer Import-Export-Firma gearbeitet. Ich hatte immer den Traum gehabt, in die USA zu reisen.
Warum bist Du dann nach Italien gekommen?
Salif Guiebre: Mein Neffe war bereits seit 20 Jahren hier. Er war regelmäßig gemeldet und hat eine feste Arbeit. Er hat mich über den Decreto Flussi kommen lassen (Zuwanderungsdekret). Dieses Gesetz ermöglicht es einem außereuropäischen Arbeiter eine andere Person zum Arbeiten nach Italien einreisen zu lassen. Eigentlich war das nur zum Schein. Sobald du hier bist, suchst du nach einem anderen Job.
Warum hast du dein Land verlassen?
Salif Guiebre: Es war eine falsche Entscheidung. Ich würde es nicht wieder tun. Ich litt keinen Hunger. Ich hatte das Glück, eine Familie zu haben, die zwar nicht reich war, aber auch nicht bettelarm. Es war ein Jugendtraum. Ich wollte mein Leben verbessern. In gewisser Weise glaubte ich an eine Art Eldorado. Vielleicht habe ich mich vom Trugbild leiten lassen, das wir im Fernsehen und in der Werbung und in den Filmen sehen. Wenn du dann ankommst, stellst du gleich fest, wie wenig dieser Traum der Realität entspricht.
Wärst Du zu Hause glücklicher gewesen?
Salif Guiebre: Das weiß ich nicht. Hier konnte ich eine gute Beziehung zu vielen Italienern aufbauen. Sicher fehlen mir meine Kinder, die ich seit 8 Jahren nicht mehr gesehen habe. In der Zwischenzeit sind auch meine Eltern verstorben und ich konnte noch nicht einmal bei ihrer Beerdigung anwesend sein.
Vielleicht wäre ich jetzt glücklicher, wenn ich nicht ausgewandert wäre. Das Schlimmste an der Illegalität ist die eingeschränkte Bewegungsfreiheit. Man kann eben nicht schnell weg und dann zurückkommen. Ich war verzweifelt und bekam auch starke Depressionen. Andere an meiner Stelle wären gewalttätig geworden.
Hast Du jemals daran gedacht, in andere europäische Länder zu ziehen? Nach Deutschland oder nach England etwa?
Salif Guiebre: Ja, ich habe oft daran gedacht, Italien zu verlassen. Ich hatte ganz klar an Deutschland gedacht. Jetzt habe ich einen Asylantrag gestellt, der zuerst wurde von der Kommission abgelehnt worden ist. Das war absehbar, denn du kannst nicht 5 oder 6 Jahre hier sein, eines Morgens aufwachen, um Asyl bitten und angeben, dass du in deiner Heimat verfolgt wirst. Dann ging mein Antrag allerdings in die Berufung und in ein paar Wochen müsste ich die Freigabe bekommen. Ich warte nur auf das Ergebnis. Dann kann ich endlich frei reisen.
Bist Du mit der Situation zufrieden?
Salif Guiebre: Ja, obwohl ich lieber ein Sprachmediator wäre. Ich spreche Französisch, Bissa (ein Dialekt des Burkina Faso), Italienisch und ein wenig Broken English.
Kennst Du Afrikaner, die mit dem Schlauchboot nach Italien gekommen sind?
Salif Guiebre: Ja, ich habe sie gesehen. Süditalien ist ein Sammelpunkt für illegale Einwanderer. Man kann in ihren Augen die Schrecken des Meeres lesen. Auf die eine oder andere Weise sind alle traumatisiert - und alle haben gelitten. Es kommen vor allem Nigerianer über die Mittelmeerroute hier an.
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