Magazin TUT.BY: Redakteure wieder auf der Flucht

Seite 2: Die Tote mit den roten Fingernägeln

"Zum Beispiel die Frau in Butscha mit den manikürten Fingernägeln". Im Vorort von Kiew waren hunderte Zivilisten umgebracht worden, ein Foto zeigt eine Tote mit rot lackierten Fingernägeln. "Dieses Foto erzählt viel mehr, als man auf den ersten Blick sieht", sagt Viktor. War die Frau verliebt? Unterwegs zu ihrem Schatz? "Jedenfalls war sie garantiert nicht auf der Straße, um anderen Menschen Schaden zuzufügen." Deshalb entschied der Bildredakteur, dieses Foto zu publizieren.

Untergekommen sind die nun zum zweiten Mal Geflohenen in einem Hinterhaus in Berlins Mitte. "Erst mit den Demonstrationen in Weißrussland bekamen wir Kontakte zu verschiedenen Medienhäusern dort", sagt Klass Glenewinkel, Chef von "media in cooperation". Die gemeinnützige GmbH hatte sich 2004 nach dem Einmarsch der Amerikaner im Irak gegründet, um dort unabhängigen Journalismus zu fördern. "Schnell haben wir aber unsere Arbeit ausgeweitet, auf den Sudan, Syrien, den Iran zum Beispiel, um dort die freie Presse zu unterstützen". Die Gelder dafür wirbt die gGmbH bei der EU, bei Stiftungen, beim Auswärtigen Amt ein.

Das ist auch bei der neuerlichen Umsiedlung der Redaktion aus Belarus, nein diesmal aus Kiew, ein wichtiger Geldgeber. Glenewinkels Team konnte Wohnungen für die Geflüchteten finden, Stipendien ausschreiben, Büroräume anmieten. "Im Krieg zeigt sich, wie wichtig unabhängige Berichterstattung ist", erklärte zur Büroeröffnung Ralf Beste, Leiter der Abteilung Kultur und Kommunikation im Auswärtigen Amt. Unabhängiges Faktenchecking sei wichtig gegen Putins und Lukaschenkos Propaganda. Neben dem Außenministerium ist auch die BMW-Stiftung Geldgeber des Umzugs.

Ein gutes Dutzend TUT.BY-Macher, die jetzt unter der Adresse Zerkalo.io publizieren, sind schon in Berlin, manche mit Kindern und sogar dem Ehemann. "Wir hoffen, dass die nächsten in den kommenden Tagen ankommen", sagt Julija, denn sie werden dringen gebraucht: "Obwohl unsere Seite in Russland als auch in Belarus gesperrt ist, steigt die Nutzerzahl konstant immer weiter". Zuletzt hätten im März 5,5 Millionen Menschen auf das russischsprachige Angebot zugegriffen, obwohl – wer erwischt wird – "in Belarus dafür 15 Tage ins Gefängnis wandert". Das würden die Leute nicht in Kauf nehmen, wenn der Journalismus, den Zerkalo.io liefert, nicht gut wäre, sagt Julija: "Wir katalogisieren die Geschichte."

Und das nun nicht mehr rein weißrussisch: Für Zerkalo.io arbeiten mittlerweile auch Journalisten aus der Ukraine und aus Russland. "Vergleichsweise ruhig", findet der Bildredakteur Viktor das Leben in Berlin. Allerdings nur so lange, bis er nicht an das Schicksal seiner Familie denkt.

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