Mali: Ende einer gescheiterten Militärpräsenz?
Seite 2: Streit um militärische Logistik
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Der aktuelle Konflikt zwischen der Bundesregierung und der malischen Führung dreht sich zumindest an der Oberfläche exakt um jene verschwommenen Grenzen der Minusma und der sich hierum entfalteten militärischen Logistik. Einer der Höhepunkte dieser Auseinandersetzung, die nun zur Aussetzung des deutschen Minusma-Einsatzes geführt hat, war die Verhaftung von 49 ivorischen Soldaten auf dem Flughafen Bamako am 10. Juli 2022.
Nach Angaben der UN handelte es sich dabei um "Nationale Unterstützungselemente" (NSE), die zwar nicht zum offiziellen Kontingent der UN-Mission gezählt werden, deren Verlegung allerdings aus Sicht der Minusma in deren Rahmen stattfindet. Die Aufgabe der ivorischen Soldaten sei demnach die Sicherung des Geländes eines Logistik-Unternehmens im Umfeld des Flughafens gewesen.
Die malische Regierung behauptete, ihr sei die Ankunft der ivorischen Soldaten und Waffen nicht ordnungsgemäß mitgeteilt worden und ließ sie unter dem Vorwurf des Söldnertums festnehmen. Die deutsche Verteidigungsministerin wie auch die politische Führung der Minusma hingegen forderte deren Freilassung.
Die deutsche Stellungnahme erfolgte nicht ohne Grund, denn das betreffende Logistikunternehmen, Sahel Aviation Service (SAS), wurde nicht nur von einem Hauptmann der Reserve begründet, sondern arbeitet auch eng mit der Bundeswehr zusammen. Im weiteren Verlauf der Auseinandersetzung wurde bekannt, dass auf ihrem Gelände am Flughafen Bamako auch verschiedene Truppenkontingente der Minusma – darunter zuletzt 60 deutsche – "stationiert" waren.
Aus Sicht der malischen Behörden hat das private Logistikunternehmen auf dem Vorfeld des Flughafens eine "Beherbergungsstätte" für militärisches Personal errichtet, was im Mietvertrag für die Überlassung des Geländes nicht vorgesehen sei. Sie forderten den Abzug der aller ausländischen Streitkräfte von diesem Standort innerhalb von 72 Stunden. Die Bundeswehr kam dem fristgerecht nach.
Eine weitere Reaktion der malischen Behörden auf den Vorfall bestand darin, alle geplanten Truppenrotationen im Rahmen von Minusma vorläufig auszusetzen, bis neue Modalitäten über die Anmeldung und Genehmigung der Truppentransporte ausgehandelt wären. Mitte August war es dann so weit: die malische Regierung und die Minusma hatten vereinbart, dass künftig nicht mehr die jeweiligen Truppenstellenden Staaten einzeln ihre Bewegungen melden, sondern diese gesammelt von der Minusma bearbeitet und den malischen Behörden vorgelegt werden.
Gemeinsam kündigte man an, dass ab Montag, den 15. August die Kontingentwechsel nach den neuen Verfahren wieder aufgenommen würden. Über diese Einigung berichteten in Deutschland allerdings wenige Medien, darunter die taz. Deutlich mehr Aufmerksamkeit hierzulande erhielt eine weitere vermeintliche "Brüskierung" (Spiegel.de) der Deutschen durch die malische Regierung drei Tage zuvor: Dabei war einem Flugzeug der Firma "Kühne & Nagel" die Landung im Mali untersagt worden.
Deren Aufgabe wäre es gewesen, 100 Kräfte der Bundeswehr auszufliegen und 140 einzufliegen, darunter zusätzliche "robuste" Einheiten der Gebirgsjäger zum Schutz des Flughafens in Gao, neben dem sich das eigentliche, große Feldlager der Bundeswehr, Camp Castor, befindet. Die Verteidigungsministerin setzte daraufhin einen empörten Tweet ab, in dem sie ankündigte, man werde als Reaktion "die Operationen unserer Aufklärungskräfte und die Transportflüge mit CH-53 bis auf Weiteres ein[stellen]".
Ein provozierter Eklat?
Ob es sich dabei um einen provozierten Eklat gehandelt hat – vermutlich hätte man auch noch drei Tage bis zur angekündigten Wiederaufnahme der Truppenrotationen abwarten können – muss natürlich Spekulation bleiben. Entsprechende Empörungskorridore wurden jedoch bereits in den vorangegangenen Wochen aufgebaut. Mehrfach hatte das Einsatzführungskommando darüber berichtet, dass deutsche Soldat:innen unter anderem wegen fehlender Dokumente an der Ausreise gehindert worden seien oder länger auf diese warten mussten.
Diese Mitteilungen waren oft sehr knapp und lieferten wenig Hintergründe, verfehlten jedoch nicht ihre Wirkung bei deutschen Medien, die sie aufgriffen – und sie meist zum Anlass nahmen, die malische Junta wie ungezogene Kinder zu kommentieren, ihr mangelnde Kooperationsbereitschaft zu attestieren, auf ihre Kontakte zu Russland und dessen Söldner von der "Gruppe Wagner" hinzuweisen – und zunehmend Stimmung für einen Abzug zu machen.
Ein weiterer Stein des Anstoßes in der Debatte waren außerdem die immer wieder und tatsächlich erratisch wirkenden Einschränkungen der (vorab) erteilten Fluggenehmigungen für die medizinische Evakuierung, welche die Planungssicherheit und Bewegungsfreiheit der deutschen (und anderer) Minusma-Kontingente tatsächlich erheblich eingeschränkt haben dürften.
Die Empörung, die entsprechende Meldungen auch in Bundeswehr-nahen Kreisen ausgelöst hat, lässt sich unter anderem auf dem Blog des Journalisten Thomas Wiegold nachvollziehen, der selbst von "Nadelstichen" spricht, ansonsten die Auseinandersetzung jedoch relativ sachlich und vor allem im deutschen Sprachraum ungewohnt vollständig dokumentierte.
Demgegenüber habe ich an anderer Stelle argumentiert, dass es das verbriefte Recht eines jeden Staates ist, die Ein- und Ausreise bewaffneter Kräfte und Angehörige ausländischer Streitkräfte zu überwachen und einzuschränken" – und dass sich westliche Streitkräfte und deren lokale Verbündete durch ein komplexes Netzwerk internationaler Truppenkontingente, grenzüberschreitender Militäroperationen und multilateraler Einsatzformationen eine grenzüberschreitende Mobilität erschlossen haben, die eben jene Souveränität und Stabilität Malis gefährdet, die vorgeblich Ziel des UN-Einsatzes ist.
Pseudo-Präsenz
Diese freilich von der breiten Öffentlichkeit kaum wahrgenommenen Auseinandersetzungen und die damit einhergehende Berichterstattung hatten verschiedene Auswirkungen. Einerseits haben sie eine bestimmte Form von Debatte eingeleitet, welche der Bundesregierung erlauben könnte, sozusagen "in Würde" die Bundeswehr – zumindest weitgehend – aus Mali abzuziehen. Wenn man dort nicht mehr "erwünscht" sei, so u.a. Lambrecht, dann könne man ja gehen.
Damit würde man auch das bisherige Scheitern kaschieren und könnte weitere Rückschritte durch die kooperationsunwillige malische Junta und v.a. ihre Partnerschaft mit Russland erklären. Das allerdings ist ein zweischneidiges Schwert. Die Forderungen nach einem Abzug könnten auch aus der wohl orchestrierten öffentlichen Meinung ausbrechen, überhand nehmen und die Bundesregierung tatsächlich zu einem schnellen Abzug nötigen.
Das erscheint gerade relativ wahrscheinlich – vor allem auch, weil die Zweifel an der Sinnhaftigkeit des Einsatzes "in der Truppe" bereits länger vorherrschen und sich deren Gefährdungslage mit dem Abzug der Franzosen weiter erhöht. Außerdem erscheint zweifelhaft, dass ein vollständiger Abzug aus Mali – selbst wenn es sich dabei v.a. um eine Verlagerung ins Nachbarland Niger handeln sollte – wirklich im Sinne der Bundesregierung ist.
Zu groß wäre allein die symbolische Niederlage, nicht nur das abstrakte "Feld", sondern weite Teile der aufgebauten militärischen Infrastruktur "den Russen" zu überlassen. Denn eigentlich war man gekommen, um zu bleiben. Verschiedene deutsche Bundesregierungen haben auf die lange Tradition der militärischen Zusammenarbeit mit Mali hingewiesen, die bis in die frühen 1980er Jahre zurückreicht.
Die dauerhafte "Stabilisierung" (oder: Rekolonisierung) der Sahel-Region wurde ein zentrales Projekt der gemeinsamen EU-Außenpolitik und des 2011 zu ihrer Koordination eingerichteten Europäischen Auswärtigen Dienstes.
Insofern mag die aktuelle Pseudo-Präsenz durchaus im Sinne der Bundesregierung sein. Man unterhält ein großes Feldlager im Norden direkt am Flughafen und neben anderen Feldlagern der UN und gräbt sich dort ein, bis sich die Lage verändert. Man behält einige deutsche Kräfte in den Führungsstäben der UN und eine Rumpfmannschaft der EUTM vor Ort, um die militärische Beratung und Unterstützung der malischen Streitkräfte bei Gelegenheit wieder aufnehmen zu können – und die Lage zu beobachten.
Offiziell sind die Missionen ausgesetzt – und so trägt man damit auch keine Verantwortung für den weiteren Verlauf der Dinge. Insgeheim könnte man auf eine weitere Eskalation hoffen, auf einen Sturz der Militär-Junta durch "kooperationswilligere" Kräfte oder einen Bruch mit Russland. Nebenbei könnte man im Rahmen der EUCAP-Mission zum "Kapazitätsaufbau" ziviler Sicherheitskräfte und darüber hinaus weiterhin ein Auge darauf werfen, ob die Migrationsrouten weiterhin dicht bleiben.
Doch so wünschenswert dieses Szenario aus Sicht der deutschen "Sicherheitspolitik" erscheinen mag, könnte es zukünftig nicht mehr wirklich eine Option sein. Denn die Auseinandersetzungen um die militärische Logistik gehen dann eben doch weit über ihre symbolische Ebene hinaus. Deutschland hat sich nicht nur – über einen privaten Dienstleister – in der Hauptstadt Bamako einen (informellen) Standort erschlossen und den nun verloren.
Auch in Gao im Norden sitzt die Bundeswehr nicht zufällig direkt am Flughafen. Gesichert wurde der bislang von französischen Streitkräften, die aber nun weg sind. Sollte auch dieser tatsächlich von russischen Kräften übernommen werden, wäre Deutschland bei seinen Kontingentwechseln nicht nur von der malischen Regierung, sondern auch der Zusammenarbeit mit russischen Einheiten abhängig. Sollte die Lage doch noch ein wenig eskalieren, könnte sie gerade aufgrund der aufwändigen militärischen Logistik selbst dann für die Bundeswehr untragbar werden, wenn diese sich weiter eingräbt und kein bevorzugtes Ziel der Aufständischen wird.