Mali: Junge Militärs putschen Staatspräsident "IBK" aus dem Amt
Frankreich und USA reagieren mit Schärfe und Ablehnung. In der Bevölkerung Malis dürfte man anderer Meinung sein
Das Thema Mali wird am heutigen Mittwoch den UN-Sicherheitsrat anlässlich einer Dringlichkeitssitzung beschäftigen, nachdem in der vorigen Nacht der bisherige Staatspräsident Ibrahim Boubacar Keïta - allgemein"IBK" genannt - infolge einer Meuterei überwiegend junger Militärs seinen Rücktritt erklären musste.
Die Meuterer, deren Aktion sich auch gegen militärische Vorgesetzte und höherrangige Offiziere richtete, hatten zuvor den Präsidenten, seinen Premierminister Boubou Cissé, den Justiz- und den Finanzminister in ihren Gewahrsam gebracht. Begleitet wurde ihre Aktion aber auch durch das zivile Oppositionsbündnis M5-RFP - "Bewegung des 5. Juni - Sammlung der patriotischen Kräfte" (vgl. Mali in Aufruhr), dessen Anhänger den gestrigen Dienstag auf die Straßen und Plätze strömten, vor allem rund um das im Zentrum der Hauptstadt Bamako gelegene "Denkmal der Unabhängigkeit".
Die französische Regierung reagierte mit schärfster Verurteilung. Auch die US-Administration tat ihre Ablehnung in klarer Weise kund. Die regionale Wirtschaftsorganisation, die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft (englisch: ECOWAS, französisch: CEDEAO), reagierte mittels einer Schließung der Außengrenzen Malis und einem Einfrieren aller Finanzüberweisungen nach Mali.
Das ist eine Katastrophe für das wirtschaftlich arme Land, da dadurch insbesondere auch die Überweisungen von Arbeitsmigranten an ihre im Inland lebenden Familien nicht mehr ankommen. Diese waren bereits im Frühjahr dieses Jahres mehrere Monate lang aufgrund der weltweiten Covid-19-Pandemie und ihrer direkten und indirekten Auswirkungen erheblich zurückgegangen.
Die Meuterei brach am Dienstag früh im Militärcamp von Kati aus, das rund 15 Kilometer nordwestlich des Zentrums der Hauptstadt Bamako gelegen ist. Jüngere Offiziere waren über Fragen, bei denen es unter anderem um die Zuteilung von Mitteln ging, mit Vorgesetzten in Streit geraten. Letzteren wird seit Jahren vorgeworfen, über diverse Korruptionskanäle in die eigene Tasche zu wirtschaften, während im Norden des Landes Wehrpflichtige mit unzureichender Bewaffnung und schlecht ausgestattet gegen die dort aktiven Dschihadisten verheizt werden.
Das Handeln der Meuterer stand aber auch in einem Kontext, in dem für die laufende Woche neue Aktionen des Oppositionsbündnisses M5-RPF, das seit Wochen zu Riesenkundgebungen mobilisiert sowie ein Streik der Lehrergewerkschaften angekündigt waren.
Zumindest ein Teil der Bevölkerung sieht das Eingreifen der jungen Offiziere, an deren Spitze der Hauptmann Sadio Camara, Jahrgang 1979, zu stehen scheint, durchaus gerne. Es handelt sich jedenfalls nicht um einen Staatsstreich, der den reaktionären, unter anderem zur Zerschlagung von Gewerkschaften und Streikbewegungen dienenden Rechtsputschen wie 1973 in Chile, 1976 in Argentinien oder am 12. September 1980 - mit massiver Unterstützung der NATO - in der Türkei vergleichbar wäre.
Region, Großmächte, Putscherfahrungen
Eher im Gegenteil handelt es sich um ein Aufbegehren unterer Ränge der Armee, in denen sich oft Söhne ärmerer Familie ohne Aussichten auf Karrierechancen anderswo als bei der Armee befinden, gegen die zum Regierungssystem inner- wie außerhalb der Armee erhobene Korruption und Klientelwirtschaft. Wohl gerade auch deswegen richten sich die Regierungen der Region, die den alten Mächten und der oligarchischen Führungsschicht in Mali ungleich näherstehen als der Bevölkerung sowie die Großmächte schnell gegen diese Entwicklung.
Die Perspektiven der weiteren Entwicklung sind dadurch nicht automatisch vorgezeichnet.
Unterschiedliche Richtungen sind denkbar. Das positivste Beispiel aus der Region, bei dem tatsächlich infolge einer Armeemeuterei eine progressive Entwicklung eingeleitet wurde, bildet das revolutionäre Experiment unter Thomas Sankara (regierend seit 1983, ermordet am 15. Oktober 1987) in Malis Nachbarland Burkina Faso.
Ein negatives Gegenbeispiel stellt die Erfahrung in der ebenfalls benachbarten Republik Guinea dar: Dort putschten ebenfalls junge Militärs im Dezember 2008 und lösten dadurch eine seit der Unabhängigkeit (1958) herrschende Diktatur ab, nachdem der langjährige Präsident Lansana Conté im Amt verstorben war. Allerdings stieg die Machterfahrung ihrem Anführer, Moussa Dadis Camara, schnell zu Kopf.
Unter dessen letztlich nur kurz währender Herrschaft wurde am 28. September 2009 ein Massaker an - laut Angaben der Vereinten Nationen - 157 Menschen bei einer Oppositionskundgebung in einem Stadion in der Hauptstadt Conakry verübt. Im Dezember 2009 fügte ein Adjutant dem neuen Militärherrscher durch einen Kopfschuss schwere Verletzungen zu und beförderte diesen dadurch aus dem Amt. Nur in den ersten Wochen hatten breite Bevölkerungsteile auf Dadis Camara, der unter anderem bei der Bundeswehr in Hamburg und Dresden ausgebildet worden war, Hoffnungen gesetzt.
Bundeswehr
A propos Bundeswehr: Zu den Vorwürfen, die gegen Präsident "IBK" erhoben wurden, zählt auch der Schusswaffeneinsatz gegen Protestierende und Demonstranten anlässlich der Tage zugespitzter Konfrontation zwischen dem 10. und 12. Juli dieses Jahres, bei dem je nach Angaben zwischen 17 und 23 Zivilisten getötet wurden.
Verantwortlich dafür gemacht wurde eine Anti-Terrorismus-Spezialeinheit, die FORSAT, die durch europäische Militärs und unter ihnen auch die Bundeswehr mit ausgebildet wurde. Nach dem 12. Juli sicherte die Regierung Malis zu, diese werde nicht mehr gegen Demonstrationen verwendet.
Abzuwarten bleibt, wie es in den kommenden Tagen und Wochen weitergeht - insbesondere, ob die derzeit das Heft der Initiative in der Hand haltenden Militärs ihre Ankündigung wahrmachen, eine zivile Übergangsregierung bis zur Abhaltung von Wahlen walten zu lassen.
Ein vergleichbarer Putsch untergeordneter Ränge in der Armee hatte in Mali bereits einmal stattgefunden, im März 2012 unter Anführung des jungen Hauptmanns Amadou Sanogo. Er ging ebenfalls vom Militärcamp in Kati aus.
Nach mehrwöchigen Verhandlungen unter dem Druck u.a. Frankreichs und der ECOWAS (CEDEAO) waren damals aber die Vertreter der alten Mächte an die Regierung zurückgekehrt.