"Man kann nicht nur diplomatischen Druck ausüben"
Ibrahim Mousawi, verantwortlich für den politischen Inhalt bei Al Manar, über das Selbstverständnis des libanesischen Senders
Nach einer Erteilung der Sendelizenz für den französischen Satelliten Eutelsat im November ist diese dem libanesischen Sender Al Manar gestern vom höchsten Verwaltungsgericht Frankreichs in aller Eile schon wieder entzogen worden (vgl. dazu Das Böse kommt vom Himmel). Innerhalb von 48 Stunden muss Eutelsat die Übertragung beenden Die Vorwürfe lauten auf "Antisemitismus" und "Förderung von Hass und Unterstützung von Terrorismus". So wird dem der Hisbollah nahestehenden Sender etwa vorgeworfen, dass ein Sprecher im November behauptet hatte, Israel habe absichtlich Aids in den arabischen Nationen verbreitet, was ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstelle. Am 2. Dezember verlangte bereits der französische Premierminister Raffarin, dass Al Manar den Sendelizenz entzogen werden müsse, weil er gegen französische Werte verstoße. Der CSA (Conseil Superieur de l'Audiovisuel) erkannte das als Verstoß gegen die Richtlinien des Lizenzvertrages und verlangte eine offizielle Stellungnahme. Das Gespräch wurde vor dem Verbot geführt.
Al Manar ist kein Fernsehsender, der alleine Entertainment produziert. Was sind die Ziele, was ist der Zweck, die Botschaft von Al Manar?
Ibrahim Mousawi: Al Manar ist ein Kanal für Araber und Moslems, der sich um all ihre Belange kümmert. Im Mittleren Osten geht es natürlich in erster Linie um die besetzten Gebiete, die israelische Besatzungsmacht und palästinensische Flüchtlinge. Daneben geht es um die Probleme der Unterentwicklung, des Analphabetentums, der Armut und der sozialen Ungerechtigkeit. Al Manar versucht eine Botschaft der Toleranz und des Dialogs zu geben, unabhängig von Religion oder Rasse.
Auf Al Manar gibt es regelmäßig Sendungen über "Märtyrer und ihre Missionen", sehr oft aus den besetzten palästinensischen Gebieten. Wie verträgt sich das mit Toleranz und Dialog?
Ibrahim Mousawi: Nehmen Sie doch die Moslems von Tunis bis Jakarta, bei allen stehen Palästina und Jerusalem im Zentrum des Interesses. Zuerst haben die Moslems Richtung Jerusalem gebetet, erst später dann nach Mekka. Ob für Türken, Pakistanis, Indonesier oder Malaien, Jerusalem ist für alle ein Hauptanliegen. Aber davon abgesehen, Palästina ist nicht eine Sache, die nur Moslems, Araber oder den Mittleren Ostens betrifft. Das Los der Palästinenser ist eine moralische Frage, die jeden angeht, der zwischen Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit, zwischen Unterdrücker und Unterdrückte unterscheidet. Für einen Fernsehsender wie Al Manar ist es normal, das Recht der Palästinenser auf Widerstand zu unterstützen. Das steht auch im Einklang mit internationalem Recht.
Wer sich verteidigen will, muss das mit Gewalt tun
Sie meinen natürlich "bewaffneten Widerstand".
Ibrahim Mousawi: Ja, klar. Wenn zu Ihnen jemand nach Hause kommt, der Sie und Ihre Familie erschießen will, überreichen Sie ihm dann eine Blume und sagen 'Bitte, bitte, erschießen Sie uns nicht'? Wer sich verteidigen will, muss das mit Gewalt tun. Das ist doch völlig normal.
Wie positioniert sich Al Manar eigentlich zwischen den großen Brüdern Al Dschasira und Al Arabiya?
Ibrahim Mousawi: Al Dschasira hat als erster den Weg geebnet. Plötzlich gab es in der arabischen Öffentlichkeit ein Bedürfnis nach anderen, nicht-westlichen Nachrichten. Nach der Vertreibung der Israelis aus dem Südlibanon im Jahr 2000 sind wir international über Satellit auf Sendung gegangen. Heute sind wir mit rund 10 Millionen Zuschauern nach Al Dschasira und Al Arabiya an dritter Stelle. Aber wir bei Al Manar wollen uns mit niemanden vergleichen.
Werden die beiden großen Nachrichtensender nicht als Konkurrenz gesehen?
Ibrahim Mousawi: Nein, ganz und gar nicht. Das sind eben Nachrichtensender, unser Programm ist vielfältiger. Bei uns gibt es Spielfilme, Kindersendungen, Gesundheitsratgeber, Kultur und Sport.
Wie wichtig ist das Sendegebiet Europa für Al Manar?
Ibrahim Mousawi: Araber und Moslems waren in letzten Jahren sehr oft ein Ziel der Aggression. Wir wollen einen Beitrag zur Toleranz und zum Verstehen liefern. Wir wollen den Europäern zeigen, wer wir, die Moslems, wirklich sind. Wir möchten es nicht anderen überlassen, über uns zu sprechen. Deshalb ist es sehr wichtig, mit Europa direkt zu kommunizieren. Natürlich auch mit den zahlreichen arabischen Emigranten, die dort leben.
Opfer einer Kampagne
Wie weit geht die Überraschung oder die Enttäuschung bei Al Manar über ein mögliches erneutes Verbot in Europa? Der französische Premierminister möchte die "Al Manar-Frage" beim nächsten Treffen der europäischen Regierungschefs präsentieren.
Ibrahim Mousawi: Wir waren natürlich sehr überrascht, besonders von der Rolle Frankreichs. Wir sehen uns als Opfer einer israelischen Kampagne. Der Außenminister Israels hat öffentlich gesagt, wie glücklich und zufrieden er ist, dass die Kampagne gegen Al Manar funktioniert hat.
Warum meinen Sie, schenkt Ihnen der israelische Staat soviel Aufmerksamkeit?
Ibrahim Mousawi: Wir zeigen eben ungeschönt die Verbrechen, die die israelische Armee, die Okkupationstruppen, in den besetzten Gebieten begehen. Das missfällt der israelischen Regierung, besonders wenn ihre Verbrechen nun in Europa ausgestrahlt werden.
Das Verbot, das von Frankreich vorangetrieben wird, ist ein Ergebnis israelischer Politik. Verstehe ich Sie da richtig?
Ibrahim Mousawi: Ja, die französische Regierung steht unter einem großen Druck der israelischen Lobby und der israelischen Regierung. Das ist alles ein politischer Fall.
Wie kann Israel so viel Druck auf die französische Regierung machen, dass sie ihren politischen Kurs wechselt?
Ibrahim Mousawi: Sie wissen doch, es gibt Beziehungen zwischen Staaten, die will man nicht gefährden, die will man beibehalten. Die wirtschaftliche Lobby ist gerade in Frankreich sehr stark.
"Kleine Fehler im Detail"
Der französische Premierminister sagte, dass "Al Manar mit unseren Werten inkompatibel ist". Können Sie sich vorstellen, was er damit meint?
Ibrahim Mousawi: Das ist etwas, da sollte man ihn fragen, nicht uns. Wir haben versucht, alle Vertragsbedingungen zu erfüllen. Nun gut, wir haben ein Fehler gemacht, die Serie "Al Shatat" (Diaspora) auszustrahlen. Aber das passiert allen Organisationen und Institutionen, dass sie Fehler machen.
Worin bestand denn der Fehler bei "Diaspora"?
Ibrahim Mousawi: Sie wurde ungeprüft von unseren Mitarbeitern ausgestrahlt. Später mussten wir feststellen, dass es in dieser Serie einige Passagen gab, von denen sich Juden beleidigt fühlen könnten. Das ist natürlich etwas, das wir nicht wollen. Wir wollen weder Juden, noch Christen, noch irgendeine andere Religionsgruppe beleidigen.
(Die zwanzigste Episode (am 19. November 2003 ausgestrahlt) soll nach Angaben der österreichischen Zeitung Die Jüdische der "klassischen antisemitischen Ritualmordlegende gewidmet (sein), die Juden beschuldigt, das Blut von christlichen Kindern zu benützen, um Matzo zu backen." Anm. d Red.)
Vor einiger Zeit hatten Sie mir noch gesagt, dass "Diaspora" auf historischen Tatsachen gründet, eine historische Wahrheit sei.
Ibrahim Mousawi: Ja, das stimmt auch. Ich behaupte jetzt nicht, dass die ganze Serie falsch sei. Ich spreche von einigen kleinen Teilen, die wir nicht hätten zeigen sollen. Das ist wie bei einem Statement, das insgesamt brillant ist, aber kleine Fehler im Detail hat.
Aus Frankreich heißt es weiterhin, dass Al Manar "Hass und Terrorismus predigt". Solange Sie bewaffneten Widerstand unterstützen, werden Sie es mit Sympathien im Westen schwierige haben. Gerade bei legal-juristischen Vorgängen wie der Erteilung einer Sendelizenz.
Ibrahim Mousawi: Das glaube ich nicht so, dass das in Europa so ist. Bei der Terminologie muss man differenzieren. Was für den Einen ein Terrorist ist, bedeutet für den Anderen ein Freiheitskämpfer. Für Millionen von Arabern und Moslems wird der Kampf des palästinischen Volkes als Befeiungskampf verstanden. Terroristen sind in diesem Kontext nur die Israelis, die das Land zuerst geraubt und jetzt besetzt halten. Was machte die "Resistance" in Frankreich? Haben die mit Blumen gekämpft und schöne Reden gehalten? Wer das Ziel einer Aggression wird, hat das Recht sich selbst zu verteidigen. Und da braucht man eben Granaten, Pistolen, Kalaschnikow. Man kann nicht nur diplomatischen Druck ausüben, der den Palästinensern übrigens in 50 Jahren wenig gebracht hat. Nun gut, wir wollen die Bedingungen des Lizenzvertrages unbedingt erfüllen. Bei Verhandlungen muss es aber einen Konsens über die Terminologie geben. Dann bin ich überzeugt, wird bestimmt keine Probleme mehr geben.
Wer möchte nicht seine Feinde besiegen, sie vernichten?
Vor wenigen Tagen gab es um Mitternacht auf Al Manar eine religiöse Sendung, in der es darum ging, dass Allah möglichst das Schlimmste und Übelste auf die Feinde hernieder schickt.
Ibrahim Mousawi: Ich weiß nicht, wovon Sie jetzt sprechen. Aber ganz abgesehen davon, wer möchte nicht seine Feinde besiegen, sie vernichten? Die Israelis wollen auch ihre Feinde vernichten und sind ganz gut dabei, wie man weiß. Wenn man einen Feind hat, ist es wohl eine natürliche Sache, dass man ihn vernichten will. Ich verstehe nicht ganz, was hierbei das Problem ist. Wenn es um Rasse, Religion oder Nation geht, die vernichtet werden soll, das kann unter keinen Umständen geduldet werden. Aber bei einem militärischen Feind, einem Aggressor?
Ich glaube kaum, dass man in Europa jemals Israel als Feind betrachten wird.
Ich denke, Al Manar müsste für eine friedliche Lösung eintreten.
Ibrahim Mousawi: Die Araber haben oft genug Konzessionen gemacht, was die Israelis nie getan haben. Die Araber und Moslems wären schon lange für eine friedliche Lösung. Nur Israel ist noch nicht bereit dazu. Für Europa mag Israel kein Feind sein, aber für die Palästinenser, für den Libanon und für Syrien ist es das. Israel hält immer noch Teile dieser Länder besetzt. Wir wollen auch gar nicht, dass Europa Israel als Feind betrachtet. Europa kann sich unmöglich die Sache der Araber und Moslems zu eigen machen. Das geht nicht und das wollen wir auch unter keinen Umständen. Europa könnte natürlich Druck auf Israel ausüben, versuchen, seine Aggression zu stoppen. Das wäre auch schon alles.
In welchen Zusammenhang wurde die Aussage auf Al Manar gemacht, dass Israel Aids verbreitet?
Ibrahim Mousawi: Es gab eine Live-Telefon-Schaltung nach Syrien mit einem Experten für wirtschaftliche Beziehungen. Im Rahmen einer Frage zum Handel von arabischen Staaten mit Israel sagte er, dass man den Israelis nicht trauen könne. Sie würden auch Aids verbreiten. Es war ein Gast, der diese Aussage machte, wurde aber Al Manar quasi als Botschaft angehängt. Man kann nicht alles kontrollieren, schon gar nicht eine Live-Sendung.
Kein Hisbollah-TV
Inwieweit wird Al Manar in Zukunft das Programm verändern? Wird es noch größere Unterschiede zwischen dem lokalen und international ausgestrahlten Programm geben?
Ibrahim Mousawi: Ja, es wird Veränderungen geben, da wir unbedingt mit den Lizenzbedingen übereinstimmen wollen. Eins ist jedoch gewiss, man wird weiter versuchen, uns in die Schublade von 'Hass-Terrorismus-Propaganda' zu schieben. Wir sind daran gewöhnt. Aber man sollte nicht vergessen, dass diejenigen, die Hass erzeugen, in erster Linie die Israelis selbst sind. Wir zeigen nur ihre Grausamkeiten, die sie Tag für Tag begehen. Wenn sie aufhören Grausamkeiten zu begehen, haben wir nichts mehr zu zeigen. Das ist eigentlich sehr einfach.
Wie weit geht die Koalition zwischen Al Manar und Hisbollah? Ist Al Manar Hisbollah TV?
Ibrahim Mousawi: Während der israelischen Okkupation des Libanons hat Al Manar natürlich den Widerstand unterstützt, dessen Statements und Videobänder ausgestrahlt.
Von daher gab es eine automatische Assoziation von Al Manar und Hisbollah. Heute ist das anders. Al Manar ist ein libanesischer Sender, dessen Aktionäre nicht unbedingt Mitglieder bei Hisbollah, in vielen Fällen nicht einmal Moslems sind. Al Manar ist nicht Hisbollah TV.
Aber die politische Linie des Senders entspricht der der Hisbollah.
Ibrahim Mousawi: Wir unterstützen die Ummah, unsere Nation im Kampf und Widerstand gegen Unterdrückung und Okkupation.
Sie sprechen von Widerstand. In Europa nennt man das vielfach Antisemitismus.
Ibrahim Mousawi: Wir sind selbst Semiten. Wie können wir also gegen uns selbst sein? In Europa gibt es diese seltsame Vorstellung, die Israelis wären die einzigen Semiten. Das alles ist eine politische Frage, keine religiöse. Ich habe nichts gegen jemand, nur weil er Jude ist. Wir haben etwas gegen die israelische Okkupation, das ist etwas völlig anderes. Wenn Europa sagt, wir müssen friedlich sein, verweise ich nur auf den Irak. Dort duldet Europa die andauernde Verletzung der Rechte des Iraks, die gewaltsame Einmischung einer fremden Macht in die internen Belange eines anderen Staates. Wir sind gegen jede Art von Okkupation und Aggression, unabhängig von Religion, Rasse oder Nation. Jeder, der uns angreift, das könnte auch ein arabischen Staat sein, wird bekämpft. Jeder hat das Recht zu Selbstverteidigung.