Mangelndes Vertrauen in Nepal

Die anhaltenden Meinungsverschiedenheiten zwischen Regierung und Maoisten über den Umgang mit den 35.000 bewaffneten Kadern der Volksbefreiungsarmee sowie über die Zukunft der Monarchie belasten die politischen Gespräche

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Am Beginn der letzten Woche ging in Katmandu nichts mehr. Mehrere Tausend Mitglieder und Sympathisanten der Kommunistischen Partei Nepals/Maoistisch (Communist Party of Nepal/Maoist, CPN/Maoist) blockierten mit einem Protestmarsch das Zentrum der nepalesischen Hauptstadt. Friedlich demonstrierten sie gegen einen gewaltsamen Polizeieinsatz, bei dem am Tag zuvor rund 30 Personen verletzt worden waren. Die Opfer – darunter viele Frauen – gehörten einer Gruppe von einigen Dutzend Menschen an, die unweit des Armee-Hauptquartiers Aufklärung über das Schicksal von mehr als 1.000 Rebellen gefordert hatte, die im Verlauf des zehnjährigen Bürgerkriegs nach Verhaftung durch die Sicherheitskräfte "verschwunden" waren. "Die Demonstration ist eine Warnung an die Regierung, unsere Forderungen ernst zu nehmen", sagt Krishna Bahadur Mahara, Sprecher der Maoisten und Mitglied im 33-köpfigen Zentralkomitee der Partei.

Erst Ende April hatte Maoisten-Chef Pushpa Kamal Dahal – besser bekannt unter seinem Kampfnamen Prachanda – den 1996 ausgerufenen "Volkskrieg" für beendet erklärt und einen Waffenstillstand ausgerufen. Dem vorausgegangen waren wochenlange Proteste Hunderttausender Nepalesen, die für Frieden und Demokratie sowie gegen die absolute Herrschaft von König Gyanendra auf die Straßen Katmandus gegangen waren (Der König klammert sich an den Thron). "Die Maoisten nutzten die Gunst der Stunde, um sich der Demokratiebewegung anzuschließen", erklärt Kanak Mani Dixit, Herausgeber des renommierten Polit-Magazins Himal. "Denn die Führung hatte erkannt, dass sie ihre Ziele nicht mit Gewalt durchsetzen kann." Am 24. April beugte sich der Monarch dem Willen der Massen und setze nach mehr als vier Jahren das Parlament wieder ein. Kurz darauf wurde eine neue, aus Vertretern von sieben Parteien bestehende Regierung vereidigt, die bereits Ende Mai direkte Gespräche mit den Maoisten aufnahm. König Gyanendra indes wurden vom Parlament alle Machtbefugnisse entzogen (Keine Orange Revolution).

Zu den ersten Beschlüssen der Volksvertreter gehörten jedoch, eine Übergangsverfassung ausarbeiten zu lassen und so schnell wie möglich freie und geheime Wahlen abzuhalten, erinnert sich Subash Nemwang, Parlamentspräsident und Mitglied der moderaten Kommunistischen Partei Nepals (Vereinte Marxisten-Leninisten). "Mit Wahlen zu einer verfassungsgebenden Versammlung wollen wir dem Willen der Bevölkerung entsprechen, die für die Demokratie auf die Straße gegangen ist", sagt er. Allerdings müssten bis dahin noch zahlreiche Hürden abgebaut werden.

Eine davon ist der Umgang mit der rund 35.000 Kader starken maoistischen Volksbefreiungsarmee (People's Liberation Army, PLA). Da die Maoisten eine formale Entwaffnung ablehnen, hat man in Nepal das Konzept des "Waffenmanagements" entwickelt. Das bedeutet, dass sich sowohl die Einheiten der Volksbefreiungsarmee als auch die Soldaten der königlichen Streitkräfte mit ihren Waffen in Lager und Kasernen zurückziehen, die unter Aufsicht der Vereinten Nationen stehen. Erst danach soll über weitere Details – etwa den Zeitpunkt der Wahlen und die mögliche Zusammenlegung der Armeen – verhandelt werden. Maoisten-Chef Prachanda und Premierminister Girija Prasad Koirala hätten sich Anfang August "ohne wenn und aber" darauf verständigt, betont Parlamentspräsident Nemwang.

Die Maoisten allerdings verzögern den Prozess. Grund dafür könnte mangelndes Zutrauen in die Regierung sein, denn mehrfach war aus Kreisen der Sieben-Parteien-Allianz zu hören, dass man die CPN/Maoist erst nach der vollständigen Entwaffnung ihrer Kader als politische Kraft anerkennen werde. Schließlich könne es nicht angehen, dass es eine Partei mit Privatarmee gebe. Sprecher Mahara weißt diesen Vorwurf zurück: "Wenn von uns verlangt wird, die PLA vor möglichen Wahlen zu entwaffnen, dann muss auch die königliche Armee entwaffnet werden. Schließlich hat es in der Vergangenheit immer wieder Fälle gegeben, bei denen das Militär zugunsten des Monarchen Einfluss auf den Ausgang von Abstimmungen genommen hat."

Den Vorwurf, die PLA und andere bewaffnete Einheiten der Rebellen würden die Zurückhaltung des Militärs nutzen, um ihren Einflussbereich – nach eigenen Angaben kontrollieren die Maoisten 80 Prozent des Landes – zu festigen und auszubauen, bestreitet Mahara vehement. "Das ist Propaganda der Regierung, um uns zu diskreditieren." Unabhängige Organisationen wie das Informal Sector Service Center (INSEC) in Katmandu berichten jedoch immer wieder von zum Teil schweren Menschenverletzungen, die maoistischen Kämpfern angelastet werden.

Der zweite strittige Aspekt in den Verhandlungen ist die Zukunft des Königshauses. "Während der Demokratiebewegung haben Bevölkerung, Parteien und Maoisten gemeinsam gegen König Gyanendra und für die Ausrufung einer säkularen Republik protestiert", so Mahara. Inzwischen näherten sich führende Vertreter des Parteien-Bündnisses dem Palast jedoch wieder an. So schließt etwa Premier Koirala eine repräsentative Rolle des Monarchen wie etwa in Großbritannien nicht aus. Die Maoisten drängen aufgrund des königlichen Putsches im Februar 2005 und wegen des brutalen Vorgehens der Sicherheitskräfte gegen die Demokratiebewegung im Frühjahr – über 20 Menschen waren dabei gestorben – weiterhin vehement auf den Abschied von der Monarchie. Parlamentsprecher Nemwang indes tritt für eine salomonische Lösung ein. Gemäß dem Ende August vorgelegten ersten Entwurf zur Übergangsverfassung favorisiert er eine Volksabstimmung: "Die Abgeordneten haben dem König die Flügel gestutzt und seine politischen Befugnisse eingeschränkt. Nun muss die Bevölkerung über sein Schicksal entscheiden."

Es sei illusorisch zu glauben, dass sich die Maoisten nach zehnjährigem bewaffnetem Kampf ganz ohne Probleme in den politischen Mainstream integrieren lassen, bewertet Kanak Mani Dixit die Situation. Erschwerend käme jedoch hinzu, dass vor allem Vertreter der Sieben-Parteien-Allianz mit ihren öffentlichen Aussagen nicht immer dazu beitragen würden, eine Vertrauensbasis zu schaffen. "Die Regierung mangelt es an Kompetenz, um mit dieser komplexen Situation fertig zu werden", so das Urteil des Publizisten. Es fehle an politischen Visionen, an politischer Führung und an Koordination innerhalb des Bündnisses, das Dixit als "eine Schlange mit sieben Köpfen" bezeichnet. Die Führung der Maoisten wisse das und verhalte sich entsprechend abwartend. Da sie jedoch nicht an einer Fortsetzung des Bürgerkriegs interessiert sei, gebe es eine realistische Chance, dass sich beide Seiten letztendlich einigen. "Das wird aber nicht von heute auf morgen geschehen."

"Wir wollen die Probleme am Verhandlungstisch lösen", bestätigt auch Maoisten-Führer Mahara. Doch es werde einige Zeit dauern, da die Regierung "die Botschaft der Demokratiebewegung" noch immer nicht verstanden habe. Und sollte es keine Fortschritte geben, werde man einen "neuen Sturm des Protests" entfachen. Friedlich? "Friedlich!"