Manipulation von Syrien-Bericht: Prominente Kritik an OPCW
Erklärung fordert von Organisation für das Verbot chemischer Waffen "Transparenz und Verantwortung". Kritik bezieht sich auf einen seit fast drei Jahren schwelenden Konflikt
Rund 30 Persönlichkeiten aus Medien, Diplomatie, Militär und Politik haben die Organisation für das Verbot von Chemischen Waffen (OPCW) in einer gemeinsamen Erklärung aufgefordert, die Untersuchung eines angeblichen Giftgas-Angriffs in der syrischen Stadt Douma im April 2018 neu aufzurollen und die Manipulation des bisherigen Berichtes aufzuklären.
Nato-Staaten hatten das mutmaßliche Kriegsverbrechen damals umgehend der Regierung von Präsident Baschar al-Assad zugeschrieben, ein später veröffentlichter OPCW-Bericht hatte diese These gestützt.
In der Organisation kam es in Folge zu heftigen Konflikten, weil Beteiligte der Vor-Ort-Untersuchung in Douma abgezogen und der Abschlussbericht in zentralen Punkten massiv verändert worden war. Die Schlussfolgerungen waren danach so formuliert, dass eine Verantwortung der syrischen Luftwaffe wahrscheinlich erschien.
Dafür wurden zahlreiche Untersuchungsergebnisse und abweichende Analysen von Wissenschaftlern unterdrückt. Die Unterzeichner der an die OPCW und verschiedene UN-Instanzen gerichteten "Erklärung der Besorgnis", die Telepolis erstmalig auf Deutsch veröffentlicht, fordern vom Generaldirektor der OPCW, Fernando Arias, daher nun "Transparenz und Verantwortung".
Die Erklärung geht heute auch den Delegationen aller 193 Mitgliedsstaaten der OPCW zu. Zu den Unterzeichnern gehören zahlreiche Persönlichkeiten, darunter der erste Generaldirektor der OPCW, José Bustani, ehemalige Inspekteure der Organisation und zwei ehemalige beigeordnete UN-Generalsekretäre.
Nato-Staaten griffen umgehend Ziele in Syrien an
Im April 2018 waren nach einem angeblichen Angriff mit chemischen Waffen in der Stadt Douma die Leichen von rund 50 Zivilisten geborgen worden. Die USA, Großbritannien und Frankreich bombardierten bereits wenige Tage nach den Ereignissen – noch während der OPCW-Ermittlungen – Einrichtungen der Assad-Regierung und der syrischen Armee.
Nach der einseitigen Darstellung im entsprechenden OPCW-Bericht informierte ein Mitarbeiter der sogenannten Fact-Finding-Mission (FFM) in Douma und Damaskus im Herbst 2019 zunächst einen internen Expertenkreis über die Manipulationen. Demnach hatte die OPCW-Führung systematisch alle Erkenntnisse übergehen oder gar zensieren lassen, die der Giftgasthese zuwiderliefen. Zudem wurde fast das gesamte FFM-Team ausgetauscht (Whistleblower: OPCW-Bericht zum Giftgasanschlag in Douma einseitig).
Dem Treffen mit dem OPCW-Inspekteur, das von der WikiLeaks-nahen Courage-Foundation anberaumt worden war, waren monatelange Versuche der involvierten FFM-Mitglieder vorangegangen, die Manipulationen zu verhindern und einen Kompromisstext zu erarbeiten.
Von Ende Oktober bis Ende Dezember 2019 veröffentliche WikiLeaks dann in vier Schüben umfangreiche interne Dokumente, die alle Vorwürfe bestätigen (OPCW-Dokument ordnete die Löschung eines Berichts zum Vorfall in Duma an).
Auch Bundesregierung verhinderte Anhörung von Bustani vor UN-Sicherheitsrat
Bei zwei Expertenanhörungen des UN-Sicherheitsrates wurde eine Erklärung eines ehemaligen OPCW-Wissenschaftlers vorgetragen, der die Untersuchung und die interne Politik der Organisation kritisierte. Bei einer formellen UN-Sicherheitsratssitzung wurde eine Intervention des ersten OPCW-Generaldirektors José Bustani verlesen.
Regierungen mehrerer Nato-Staaten – darunter auch die Bundesregierung – hatten zuvor eine persönliche Teilnahme Bustanis an der Sitzung verhindert.
In ihrer nun veröffentlichten Erklärung beanstanden die rund 30 Unterzeichner auch den offensichtlichen Versuch, einen der ehemaligen Douma-Inspekteure der OPCW zu diskreditieren.
Die Kritik bezieht sich auf die Weitergabe eines internen Dokumentes an die umstrittene Rechercheplattform Bellingcat. Tatsächlich stellte Bellingcat den Fall damals falsch dar und enttarnte zugleich einen der Inspekteure, der sich gegen den offiziellen OPCW-Bericht gewandt hatte.
Die Courage-Foundation spricht vor diesem Hintergrund von einer "möglicherweise absichtlichen Desinformation" (Bellingcat blamiert sich mit Fake-Leak über OPCW).
Die Unterzeichner der öffentlichen Erklärung an OPCW-Generalsekretär Fernando Arias plädieren nun für eine Untersuchung der "absichtlichen Bearbeitung von wissenschaftlichen Beweisen im Douma-Fall". Das Vorgehen der Organisationsleitung nach den Geschehnissen im April 2018 sei "ein weiteres Beispiel dafür, dass wissentlich falsche Manipulation von Tatsachen politisches und militärisches Handeln rechtfertigen soll".
Die OPCW-Führung versage zudem bei einer ihrer zentralen Funktionen, nämlich dem Schutz der Zivilbevölkerung in Syrien und andernorts. Es sei daher notwendig "auf Transparenz und letztendlich auf Verantwortung zu beharren".
Empfohlener redaktioneller Inhalt
Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.