Mann mit Vergangenheit übernimmt die Macht in Bulgarien
Rechtspartei gewinnt die Wahl und will die Korruption bekämpfen
„Was ist in dem Monat seit den Europawahlen in Bulgarien nur passiert, dass GERB ihren Vorsprung so deutlich ausbauen konnte?“, fragte sich Ministerpräsident Sergej Stanischev auf der Pressekonferenz in der Wahlnacht fassungslos. Vor der Wahl hatten Meinungsforscher Herausforderer Boiko Borissov einen 10%-Vorsprung prophezeit, tatsächlich deklassierte dessen Partei GERB mit 39,71% die sozialistische BSP um rund 20%.
War noch bis Sonntag eine langwierige und schwierige Regierungsbildung oder gar Wahlwiederholung erwartet worden, so kann nun alles ganz schnell gehen. Für Mitte Juli will Staatspräsident Georgi Parvanov die konstituierende Sitzung der 41. Bulgarischen Nationalversammlung einberufen. Wahlgewinner Borissov, momentan Bürgermeister von Sofia, sollte es leicht fallen, mit einer der ins Parlament eingezogenen rechten Parteien eine Koalition mit einer stabilen Mehrheit zu bilden.
Als ursächlich für das klare Ergebnis wird die relativ hohe Wahlbeteiligung von 60,20% angesehen, die auch den Anteil gekaufter oder sonstwie manipulierter Stimmen relativierte und zu Lasten der kleineren Parteien ging (Haken und Ösen im bulgarischen Wahlkampf). Mit 14,46% platzierte sich die in der Koalition vertretene Partei der türkischen Minderheit DPS vor der ihr feindlich gesonnenen nationalistischen Ataka mit 9,36%. Die aus der traditionellen Rechten hervorgegangene „Blaue Koalition“ schob sich mit 6,76% vor die Partei „Ordnung, Sicherheit und Gerechtigkeit“ (RSS) mit 4,13%. Die Partei des Ex-Zaren und ehemaligen Ministerpräsidenten Simeon Sakskoburggotski (NDSW), und die dem Energiemagnaten Hristo Kovatschki nahestehende Wirtschaftspartei Lider blieben beide unter der 4%-Hürde. Ohne Mandat blieben auch die als Gebrüder Galevi zu internationaler Prominenz gelangten „Businessmen“ Plamen Galev und Angel Hristov; sie werden sich künftig wieder ihren laufenden Strafverfahren widmen müssen.
Bei seiner Wahlrede präsentierte sich Borissov als strahlender und schlagfertiger Sieger, enthielt sich aber eines programmatischen Ausblicks auf seine Regierungspolitik ebenso wie konkreter Aussagen über eine mögliche Kabinettsbildung. „Koalition ist ein hässliches Wort“, verlautete er erst vor wenigen Tagen, obwohl damals schon klar war, dass er bestenfalls mit Partnern würde regieren können. Nun wird ihm voraussichtlich die „Blaue Koalition“ in den Sattel der Macht helfen. Borissovs GERB könnte aber auch die Partei des selbst ernannten „Korruptionsbekämpfers“ Jane Janev RSS bevorzugen, die als schwächerer Partner leichter zu dominieren wäre.
„Am 16. September 1944 haben sie meinen Opa umgebracht wie einen Hund und dass wir sie heute entthronen, widme ich ihm“, attackierte Borissov zu Beginn seiner Wahlrede die aus der ehemaligen Bulgarischen Kommunistischen Partei (BKP) hervorgegangene BSP. Lässig hingeworfenen Sätzen von großer Tragkraft wie diesem verdankt Borissov sein Image als „ehrliche Haut und ganzer Kerl“. Einen zwiespältigen Klang dürfte die anti-kommunistische Sentenz für die Ohren des wenige Plätze rechts von ihm auf dem Podium sitzenden Boschidar Dimitrov gehabt haben. Dimitrov, Chef des Nationalen Historischen Museums in Sofia und erwiesener Agent der kommunistischen Staatssicherheit, saß lange Jahre für die Sozialisten im Sofioter Stadtrat und wechselte erst unmittelbar vor der Wahl die Seiten, um für GERB das Direktmandat in Burgas holen. Borissov selber war bis Anfang der 1990er Jahre Mitglied der Bulgarischen Kommunistischen Partei (BKP) und nannte noch vor wenigen Jahren BKP-Chef Todor Schivkov und Ex-Zar Simeon Sakskoburggotski als seine politischen Lehrmeister. In den 1990er Jahren diente Borissov zunächst Schivkov, dann Sakskoburggotski als Leibwächter.
"Die Bulgaren hassen ihre Elite"
Der Regierungschef in Spe, Boiko Borissov, dürfte seine künftigen Kollegen auf internationaler politischer Bühne mit seiner schillernden Vergangenheit beeindrucken. Bevor er im Dienst des Zaren von 2001 bis 2005 als Hauptstaatssekretär im Innenministerium mit eher dürftigem Erfolg Verbrecher jagte, pflegte er als Karatekämpfer und Inhaber zahlreicher Firmen persönliche und geschäftliche Kontakte zu prominenten Figuren der bulgarischen Unterwelt wie Mladen Michalev – Macho oder Rumen Nikolov - Paschata. Mit letzterem soll er von 1994 bis 1996 an der Firma Teo-International in Burgas beteiligt gewesen sein, der seinerzeit die Produktion gefälschter Marlboro-Zigarren vorgeworfen wurde.
„Wir haben unsere Erfolge schlecht kommuniziert“, bedauerte Wahlverlierer Sergej Stanischev seinen Abschied von der Macht. Viele Wahlbeobachter schreiben sein Debakel aber auch der negativen, direkt gegen den politischen Gegner gerichteten Wahlkampagne zu. Stanischevs BSP hatte mit umstrittenen Wahlspots versucht, bei den Bulgaren Ängste vor einer gemeinsamen Regierung von Borissov und dem Co-Vorsitzenden der Blauen Koalition und Ex-Ministerpräsident Ivan Kostov zu schüren.
Mit seiner Abwahl teilt Stanischev nun das Schicksal seiner Vorgänger Kostov und Sakskoburggotski. Nachdem das Balkanland im Frühjahr 1997 nach häufigen Regierungswechseln an den Rand einer politischen und wirtschaftlichen Katastrophe geraten war, stabilisierten es zunächst Ivan Kostov und dann Simeon Sakskoburggotski mit jeweils vollständig absolvierten Legislaturperioden politisch und führten es auf den Weg der wirtschaftlichen Gesundung. Vom undankbaren bulgarischen Souverän wurden sie 2001 bzw. 2005 dennoch aus der Pflicht entlassen. Ähnlich den Regierungen Kostov und Sakskoburggotski wird auch dem Kabinett Stanischev zum einen Korruptionsverwicklung vorgeworfen, von vielen aber auch eine zumindest teilweise erfolgreiche Politik bescheinigt. Immerhin führte Stanischev das Land 2007 in die Europäische Union, außerdem verfügt Bulgarien im Gegensatz zu anderen osteuropäischen Ländern derzeit noch über eine stabile Finanzwirtschaft.
„Die Bulgaren hassen ihre Elite und jagen sie deshalb aus dem Amt“, lautet eine von politischen Analysten häufig verlautete Einschätzung. Angesichts der großen an ihn nun gerichteten Erwartungen dürfte es dem Ministerpräsidenten Boiko Borissov nicht leicht fallen, diesem Fluch bulgarischer Regenten zu entgehen.
Auch für die EU hat die Wahl direkte Folgen. Mit dem Wahlsieg von GERB haben die konservativen Regierungschefs die absolute Mehrheit erhalten. Sie stellen nun in 14 der 27 Länder den Regierungschef und haben die Mehrheit im Rat, freut sich Wilfried Marten, der Präsident der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP)..