Maradona, Mafia und Moneten

Seite 2: Ein ängstlicher Mensch

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Bei Diego war kein Muskel wichtiger als der Kopf, heißt es, dadurch war er besser als die anderen. Im Fußball dreht sich alles ums Täuschen, und Maradona täuscht immer wieder in den Spielausschnitten eine Richtung an und läuft in die andere - im Gegensatz zum Gegner.

Die Zuschauer lernen Diego Maradona in diesen Passagen in seinen Abgründen kennen wie in seiner Brillanz. Vor allem aber als einen ziemlich verwundbaren Charakter. Er wirkt stark von außen, aber er ist erkennbar schwach in seinem Inneren. Wenn der Film in den Großaufnahmen genau auf ihn blickt und in sein Gesicht schaut, dann sieht er einen ziemlich verlorenen, ängstlichen Menschen. Maradona erscheint somit als ein Charakter, der eigentlich immer ein Heim gesucht hat und eine Familie. Als er erfolgreich wurde, hat ihn eine unsichtbare Macht von diesem Ziel weggezogen. Nie wieder konnte der Weltstar sich, wenn er geliebt wurde, sicher sein, dass er nicht nur für sein Geld geliebt wurde.

Bild: © Mars Films

So ist der Film "Diego Maradona" nicht so sehr Fußballgeschichte als Kulturgeschichte. Und vor allem furioses, spannendes, unterhaltsames Kino. Kapadia zeigt Rivalitäten, er erzählt von dem Druck der auf Sportlern lastet und dringt ein in die Psychologie eines großartigen, über alle Konkurrenten erhabenen Athleten.

Diego und Maradona

"Diego und Maradona waren zwei unterschiedliche Menschen", sagt Fernando Signorini, der Personal Trainer Maradonas in Neapel, "Diego war ein liebenswerter Mensch, aber unsicher; Maradona war die Figur, die ihm half, den Anforderungen des Mediengeschäfts gewachsen zu sein und denen des Fußballs natürlich."

Darüber hinaus ist Kapadias Film auch ein Lehrstück über Popkultur. Im Fußball stand Maradona für eine neue Generation, die ersten Stars: "Ich feiere, wann ich will", formuliert das Credo der hedonistischen 1980er Jahre. Und Pele, ein Repräsentant der alten Generation, sagt über Maradona: "Er besitzt ein großes Talent, aber psychisch ist er nicht dazu in der Lage, die Verantwortung zu tragen." Ein bemerkenswerter Irrtum.

Anhand von Maradona zeigt Kapadia die schizophrene Natur der Popkultur, wie sie den Menschen aufspaltet in ein humanes, privates Wesen auf der einen Seite und die Star-Persona und das öffentliche Image auf der anderen. Wie die Medien ihre Stars benutzen und aus den Menschen Objekte der öffentlichen Kultur machen, wie wir glauben, sie zu besitzen. Wie schon in seinen Filmen über Ayrton Senna und Amy Winehouse erzählt Kapadia von einem gefallen Engel. Von einem Kinderstar und frühen Genie, das keine Chance hatte aufzuwachsen.

Ein Gegenentwurf zur digitalen Gegenwart

So ist sein Film auch ein nostalgischer Gegenentwurf zu einer Gegenwart, die aus digitalen Charakteren besteht. Diese spiegeln sich fortwährend narzisstisch selbst, perfektionieren sich obsessiv; versuchen in Selfies auf Facebook und Instagram ihr Image zu monetarisieren - zu Geld zu machen. Maradona wollte vor der Kamera nicht perfekt sein, er wollte er selbst sein.

Kapadia erscheint einmal mehr als ein Regisseur mit den Methoden eines Pop-Art-Künstlers. Er nimmt einen Charakter, den das Publikum bereits kennt, und übermalt ihn gewissermaßen, bearbeitet sein Image, stellt das Bekannte in einen neuen Rahmen und gibt ihm neue Perspektiven.

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