Marketing für den Euro
Die deutsch-französische Wirtschaftselite bekundet in einer Werbekampagne lautstark ihre Sorge um die Zukunft des Euro. In dieser Form des politischen Marketing kommen auch eine grundlegende Legitimationskrise der Europapolitik und eine bedenkliche Kluft zwischen Eliten und Bevölkerung zum Ausdruck
Im Gegensatz zur politischen Bühne demonstriert die deutsche und französische Wirtschaftselite angesichts der europäischen Währungskrise derzeit Einigkeit. Unter dem Motto "Der Euro ist notwendig" richteten am Dienstag 50 Wirtschaftsführer aus beiden Ländern in einer gemeinsamen Kampagne mit ganzseitigen Anzeigen in Tageszeitungen wie der FAZ oder der Süddeutschen Zeitung einen eindringlichen "Appell an die Politik", durch eine entschlossene Finanzhilfe für die verschuldeten Euroländer die europäische Währungsunion vor dem drohenden Niedergang zu bewahren.
Die Unterzeichnerliste, die sich unter dem Anzeigentext findet, liest sich wie ein Auszug aus dem Who Is Who der Wirtschaftselite. Dem illustren Kreis gehören auf deutscher Seite zahlreiche Vorstandsvorsitzende von Großkonzernen an, wie etwa Daimler-Chef Zetsche, E.ON-Chef Johannes Teyssen oder Deutsche Post-Chef Frank Appel. Angesichts der hitzig geführten Kontroverse, ob auch die Finanzwirtschaft für die Schuldenkrise einstehen soll, delikat: Auch hochrangige Vertreter von Finanzinstituten, wie Allianz-Chef Michael Diekmann oder Clemens Börsig, Aufsichtsratvorsitzender der Deutschen Bank, sitzen mit im Boot der Werbekampagne.
In dem Appell setzen die werbenden Spitzenmanager vor allem auf bewährte Allgemeinwohlrhetorik: Der Euro wird als eine "Erfolgsgeschichte" angepriesen. Seine segensreiche Wirkungen seien allen zugute gekommen. So habe er nicht nur "Europas Rolle als Wirtschaftsmacht gestärkt", sondern auch "für uns alle Beschäftigung und Wohlstand geschaffen". Die gegenwärtige "Verschuldungskrise", die in einem gewissen Spannungsverhältnis zu diesem erfreulichen Befund steht, wird in der Anzeige quasi-geologisch auf den "Einbruch der Weltwirtschaft" zurückgeführt, der eine finanzielle Rettungsaktion unumgänglich mache:
Kurzfristig muss diesen von der Verschuldungskrise betroffenen Ländern finanziell geholfen werden, damit sie ihre finanzielle Unabhängigkeit zurückgewinnen und sich für die Bevölkerung dort eine bessere Zukunftsperspektive einstellt. Die Rückkehr zu stabilen finanziellen Verhältnissen wird viele Milliarden Euro kosten, aber die Europäische Union und unsere gemeinsame Währung sind diesen Einsatz allemal wert.
Die passivistisch formulierte Passage lässt freilich sprachlich die eigentlich brisante Frage offen, um die sich derzeit alles im politische Streit um die Schuldenkrise dreht und die wohl auch der eigentliche Gegenstand der Kampagne ist: Nämlich wer denn nun Träger der finanziellen Nothilfe ist und wessen Milliarden als Einsatz für die Rettung des europäischen Projekts fungieren. Im Licht der aktuellen Debatte, in der die Finanzinstitute eine Beteiligung privater Gläubiger zur Bewältigung der Schuldenkrise bisher strikt ablehnen, ist aber wohl nicht schwer zu erraten, dass hier vor allem ein staatlicher "Einsatz" angedacht ist.
Im letzten Abschnitt warnen die Verfasser nachdrücklich vor einem Scheitern des Euro, zu dem es keine Alternative gebe. Begründet wird dies vornehmlich damit, dass der Euro aufgrund seiner symbolischen Kraft geradezu schicksalshaft mit der politischen Identität der europäischen Union verbunden ist:
Der Euro symbolisiert das Europa von heute. Ein Scheitern des Euro wäre ein fataler Rückschlag für Europa. Hiervon müssen wir unsere Mitbürger überzeugen.
Postdemokratischer Politikstil
Die Kampagne der Wirtschaftselite folgt einem gesellschaftlichen Trend in Deutschland, der sich seit mehreren Jahren beobachten lässt. Im Kampf um die öffentliche Deutungshoheit bedient sich die wirtschaftliche und auch politische Elite zunehmend eines professionellen politischen Marketings, das auf die Durchsetzung wirtschaftspolitischer Forderungen und Reformvorhaben zielt. Als stilbildend hierfür lässt sich die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) anführen, die seit Anfang des Jahrtausends mit ihrer Reform-PR eine neue Qualität des politischen Marketing in Deutschland etabliert hat.
Anhand der Konjunktur dieser politischen Marketing-Methoden, wie sie in der elitären Kampagne zum Einsatz kommen, dokumentiert sich ein "postdemokratisch" anmutender Politikstil, der gerade im Bereich der europäischen Wirtschaftspolitik kennzeichnend geworden ist.
Im Kern charakterisiert sich dieser Stil durch eine "Top-Down-Politik", die politische Willensbildung als einen Prozess begreift, der von oben nach unten verläuft. Der Bürger hat nicht mehr die Rolle eines partizipierenden demokratischen Akteurs inne, sondern fungiert vielmehr als passives Subjekt, das mit Hilfe von PR-Profis und Experten von "vorproduzierten" politischen Positionen privilegierter Gruppen "überzeugt" werden muss. Diese Haltung spiegelt sich markant in der Gestaltung der Kampagne wider: Im Gewand von Gemeinwohlrhetorik und postulierter Alternativlosigkeit geht es darin vor allem darum, den Bürger angesichts der europäischen Währungskrise zur vermeintlichen ökonomischen Vernunft zu führen, wie der Schlussabsatz eindrücklich vor Augen führt..
Gerade diese elitäre Form der "Politikvermittlung" kann jedoch als einer der Quellen betrachtet werden, aus der sich die über die Währungskrise hinaus beständige Legitimationskrise des europäischen Projekts speist und eine wachsende Kluft zwischen Bevölkerung einerseits und den wirtschaftlichen und politischen Eliten andererseits sichtbar werden lässt. Auf eindrücklichste Weise offenbart sich diese Kluft anhand der Protestformen der "empörten" Griechen und Spanier. Aber auch in Ländern wie Deutschland oder Frankreich wird die Europapolitik mehr und mehr als Projekt wirtschaftlicher und politischer Eliten wahrgenommen, das vor allem an den Bedürfnissen und Forderungen der globalen Finanzmärkte orientiert ist.
Angesichts dessen stellt sich die Frage, ob ein offener Appell einer binationalen Wirtschaftselite an die Bürger eine wirkungsvolle Antwort auf diese Legitimationskrise darstellen kann oder nicht vielmehr selbst Teil des Problems ist. Dass der Appell dazu führt, den Bürger davon zu überzeugen, altruistisch zur Rettung der Währungsunion in die Bresche zu springen, darf jedenfalls zu Recht bezweifelt werden.