Maschinenstürmer im Netz

Seite 3: Cyberkultur und Zivilisationskritik

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Sicher, der Unabomber hat sich erst durch seine verwerfliche, von ihm schlicht als notwendig apostrophierte "Propaganda der Tat" in die öffentliche Aufmerksamkeit gedrängt, doch sein Manifest ist nicht verwirrter als Äußerungen anderer Menschen und seine Endzeitstimmung trifft den Nerv von vielen.

Abnormale Bedingungen unserer modernen Industriegesellschaft sind unter anderem eine extrem hohe Bevölkerungsdichte, die Isolation des Menschen von der Natur, die exzessive Beschleunigung des gesellschaftlichen Wandels und der Zusammenbruch der natürlichen kleinen Gemeinschaften wie die Großfamilie, das Dorf oder der Stamm.

Unabomber

Seine Kritik richtet sich gegen die Komplexität einer Gesellschaft, die durch die Technologie immer globaler und unkontrollierbarer wird, weil damit gleichzeitig, trotz aller Mythen von der Dezentralisierung durch den Cyberspace, ein Prozeß der politischen und wirtschaftlichen Konzentration einhergeht. Was hierzulande etwa von Ulrich Beck unter dem Titel der Risikogesellschaft als organisierte Unverantwortlichkeit formuliert wurde, hat der Unabomber ganz ähnlich zum Ausdruck gebracht, nur daß er daraus die Konsequenz eines Rückzugs aus dem Staat und der Technik zieht, um dem Individuum wieder die Möglichkeit der Autonomie zu verleihen, wie sie die Menschen vor der Industriegesellschaft, organisiert in kleinen Gemeinschaften, noch gehabt haben sollen.

Was uns ein Gefühl der Sicherheit gibt, ist nicht eine objektive Sicherheit, sondern das Vertrauen in unsere Fähigkeit, für uns selbst zu sorgen. Der primitive Mensch kann, bedroht durch wilde Tiere oder Hunger, sich selbst verteidigen oder nach Essen suchen. Über den Erfolg seiner Tätigkeiten hat er keine Gewißheit, aber er ist keineswegs hilflos den Bedrohungen ausgeliefert. Das moderne Individuum wird andererseits von vielem bedroht, gegenüber dem er hilflos ist. Unfälle bei Kernkraftwerken, Karzinogene im Essen, Umweltverschmutzung, Krieg, steigende Steuern, das Eindringen von großen Organisationen in sein Privatleben oder landesweite soziale oder wirtschaftliche Phänomene, die in seine Lebensweise eingreifen.

Unabomber

Der Unabomber zieht aus seinem Unbehagen an der High-Tech-Welt in Form eines Kurzschlusses einfache Regeln. Revolution anstatt Reform, Ausstieg anstatt Anpassung. Komplexitätsreduktion durch die Flucht in eine Welt vor der Technik, durch eine Glorifizierung der Welt vor dem technischen Sündenfall, ohne allerdings näher auszuführen, mit welcher Technik dieser einsetzt. Subtiler, aber im Kern nicht anders kritisiert etwa Neil Postman das Technopol. Während jedoch der Unabomber vor allem den Verlust der Autonomie des einzelnen Menschen in den Vordergrund stellt und das Leben in kleinen Gemeinschaften feiert, will Postman den sozialen Kitt der Gemeinschaft wieder durch große Erzählungen mit ihren gesellschaftlichen Normen und Regeln herstellen, um den Menschen Orientierung zu geben und wieder eine Verbindlichkeit zu ermöglichen.

Der Unabomber hat mit seinem Manifest wider die Industriegesellschaft, das er durch seine Anschläge in die Öffentlichkeit brachte, vielleicht einer steigenden, wenn auch diffusen Angst vor der scheinbar unaufhaltsam voranschreitenden und nicht mehr zu steuernden Dynamik technischen Fortschritts zu einem ersten Ausdruck verholfen. Diese Angst trifft heute auf den entschiedenen Widerstand der Industrie, der von der High-Tech abhängigen Bevölkerungsschicht und der Politiker, die einzig durch technische Aufrüstung glauben, den von ihnen vertretenen Standort retten zu können. In diese Zeit der Alternativenlosigkeit gegenüber dem technischen Fortschritt, aus dem in der globalen Ökonomie und Länderkonkurrenz unter der Prämisse der Bewahrung des Lebensstandards nicht auszusteigen ist und dem mehr und mehr die von einzelnen Ländern erreichten sozialen und ökologischen Errungenschaften weichen müssen, schlug das Manifest mit seiner radikalen Perspektive selbst wie eine Bombe ein.

Bedenklich aber stimmt, daß man mit der Figur des Unabomber sich von einer grundsätzlichen Kritik an unserer Gesellschaftsform überheben will, die in vielem nur die Umkehrung des Determinismus der Technophilen darstellt und ansonsten die weit verbreitete amerikanische Ideologie der Frontier und des einzelnen verinnert hat. Auch der Unabomber denkt nicht politisch und glaubt, die "alten" rechten und linken Positionen der Industriegesellschaft hinter sich gelassen zu haben, wenn nur die Technik abgeschafft wird, ähnlich wie die Technophilen meinen, daß durch die Technik, etwa durch die Computernetze, unmittelbar eine neue, direkte Demokratie entstehen wird, die auf das Prinzip der Repräsentation verzichten kann. Bei aller Kritikwürdigkeit der demokratischen Verfahren und trotz der Schwächung demokratischer Organe, die stets an ein Territorium gebunden sind, durch die Globalisierung, wiederholen Technophobe und Technophile, zumal wenn man bei ihnen anarchistischen und liberalistisches Gedankengut ein unlösbares Amalgam eingegangen ist, den Fehler der großen revolutionären Bewegungen des 19. und 20. Jahrhunderts. Die Kritik am Staat, meist verbunden mit der an parlamentarischen Verfahren, und der Glaube, an ein übermächtiges System ausgeliefert zu sein, vereint trotz aller Differenzen Anarchisten, Kommunisten, Faschisten und Fundamentalisten jeder Art.