Massenunterhaltung für Vorkriegszeiten

Seite 2: Volk mit Führung versöhnt

Alles in allem ist das eine Vertrauenswerbung härtesten Kalibers für die politische Klasse – sofern diese nicht populistischen Anwandlungen unterliegt oder überhaupt im falschen Lager steht. Sowas geht natürlich nur, weil das einschlägige Unterhaltungswesen mit soliden Feindbildern unterfüttert ist.

Zwar wird auch bei fanatischen Islamisten, imperialistischen Russen oder überheblichen Chinesen hier und da differenziert. Da gibt es in Peking ebenfalls Falken und Tauben, aufgeschlossene Reformer und eine unbelehrbare Altherrenriege an der Macht. Stavridis schafft es sogar in der atomaren Apokalypse ein gewisses völkerverbindendes Soldatenschicksal auszumachen.

Aber letztlich ist klar, auf wessen Konto das Unheil geht: Es sind die Chinesen. Bill Clinton hat es in seiner neuen Koproduktion mit James Patterson The President's Daughter (2021) auf den Punkt gebracht. Hatte noch sein erster Roman The President is Missing (2018 – siehe "Politainment in der Trump-Ära") alle Schuld der russischen Seite zugeschoben, ist es jetzt der Chinese, der als Übeltäter auf dem Globus agiert und die verhängnisvolle Eskalationsdynamik auslöst.


Bill Clinton, James Patterson
Die Tochter des Präsidenten

560 Seiten, 23,00 €
ISBN: 978-3749902507


Clinton hat mit seinem neuen Buch allerdings keinen welt-, sondern einen innenpolitischen Thriller geliefert, die Leiden eines abgehalfterten US-Präsidenten betreffend, dessen Tochter von Terroristen entführt wird.

Nur wird in diese Story das Wirken der US-feindlichen ausländischen Kräfte verwoben, das wie bei Follett, der ebenfalls militärische Konflikte auf dem afrikanischen Kontinent als Ausgangspunkt wählt, aus einer (rüstungspolitischen) Allianz von islamistischen Terroristen und Chinesen hervorgeht.

Bei Stavridis sind die Dschihadisten dagegen durch reguläre iranische Soldaten ersetzt – während im Hintergrund der gnadenlos imperiale Russe auf seinem eigenen Schlachtfeld wütet.

Diese Allianz könnte man als bizarren Romaneinfall durchgehen lassen. Aber er verweist natürlich auf das feststehende antichinesische Feindbild. Bei Clinton wird es besonders perfide eingesetzt, denn passagenweise werden Motive für die abgrundtiefe Bösartigkeit der Feinde Amerikas angedeutet.

So haben der chinesische Diplomat wie der dschihadistische Kämpfer Familienangehörige durch Angriffe des US-Militärs verloren, scheinen insofern berechtigte Klagen vorzubringen.

Es scheint aber nur so, beide werden desavouiert. Bei ihnen herrschen blinde Rachebedürfnisse, während der Romanheld, der Ex-Präsident, wenn er sich als Rambo zu einer illegalen Rettungsaktion für seine entführte Tochter aufmacht, nur einem allzu menschlichen Verlangen nach Vergeltung folgt.

Ein historischer Treppenwitz ist in dem Kontext die Aufklärung, die Clinton für die Bombardierung der chinesischen Botschaft 1999 im Kosovokrieg nachreicht. Bei dem Überfall der Nato-Staaten auf Serbien, den Kanzler Schröder später selbst als völkerrechtswidrig bezeichnete, war angeblich irrtümlicherweise in Belgrad die chinesische Botschaft statt einem jugoslawischen Bundesamt für Versorgung getroffen worden.

Auf die rasche Entschuldigung des US-Präsidenten Bill Clinton reagierte die chinesische Regierung mit Empörung und Skepsis. Sie verlangte eine sofortige Untersuchung und Aufklärung der Tatbestände.

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In seinem Roman macht Clinton dem Publikum jetzt weis, die Bombardierung sei gezielt erfolgt, da die Chinesen im Keller ihrer Botschaft einer serbischen Kommandozentrale Unterschlupf gewährten. Genauer gesagt: Dies wird in dem Roman als eine Enthüllung der chinesischen Seite vorgetragen.

Der übereifrige chinesische Diplomat wird von seinen eigenen Vorgesetzten kaltgestellt, weil sie ihre Vorwürfe an die Adresse der USA nicht aufrechterhalten können.

Perfide in dieser Hinsicht auch der Einfall von Follett (wie von Clinton/Patterson), eine Kumpanei zwischen Chinesen bzw. den zwischengeschalteten Nordkoreanern auf der einen Seite und Dschihadisten auf der andern zu erfinden, um damit die Eskalationsspirale beginnen lassen.

Gerade ein US-Präsident wie Clinton dürfte bestens darüber Bescheid wissen, wie die USA in den letzten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts den militanten Dschihadismus aufbauten und ausstatteten, um ihn in Afghanistan oder auf dem Balkan gegen die jeweils ins Auge gefassten Gegner (Sujetunion, Serbien) einzusetzen – und ihn auch heute noch in Syrien oder Libyen, wie es passt, mal zu benutzen, mal fallen zu lassen.

Die Proliferation von Waffen und die Ermutigung der islamistischen Kämpfer zu Terroranschlägen als Werk einer chinesisch-nordkoreanischen Kungelei hinzustellen, ist letztlich nicht mehr als die romanhafte Bebilderung der offiziellen US-Verschwörungstheorie, God's own country sei von einer "Achse des Bösen" bedroht.

Die Lektion vermitteln die einschlägigen Politthriller ihrem Publikum an erster Stelle: Wir im Westen sind die Guten. Das gilt, auch wenn "unsere" Leute den Weltuntergang herbeiführen, denn sie können nicht anders; sie werden durch die Machenschaften der Bösen, die die US-Weltherrschaft zu untergraben versuchen, in eine Eskalationsspirale gedrängt.

Dem kann man nur dadurch entgehen, dass westliche Politiker frühzeitig dem Gegner seine Grenzen aufzeigen, ihm die Aussichtslosigkeit seiner expansiven Bestrebungen auf dem Globus deutlich machen und die bewaffneten Desperados, die im Windschatten der Großmachtkonkurrenz unterwegs sind, gnadenlos ausrotten.

Wie das geht? Clintons Roman weiß den Ausweg: Am Schluss beschließt der zum Rambo verklärte Ex-Präsident – bei dem man natürlich als Erstes an den Autor selbst zu denken hat –, erneut für das höchste Amt zu kandidieren.

Hier hat man eine westliche Idealfigur vor sich, einen Politiker mit soldatischer Vergangenheit, der im Fall des Falles selbst zur Waffe greift. Rücksichtslosigkeit wird nämlich gebraucht, Fingerspitzengefühl aber auch, so die europäische Weisheit, die Follett beisteuert.

Fazit: Mit diesem Vertrauensbeweis für "unsere" Politiker wird die drohende atomare Apokalypse zum reinsten Lesevergnügen.