"Matrix" trifft "Da Vinci Code"
- "Matrix" trifft "Da Vinci Code"
- Ob der menschliche Wille frei ist oder doch fremdbestimmt?
- Auf einer Seite lesen
Zwischen Videospiel und Shakespeare: Justin Kurzels "Assassin's Creed" ist ein Film, kein Game.
Die ganze Welt ist eine Bühne und alle Fraun und Männer bloße Spieler
William Shakespeare, "As you like it."
"Willkommen bei der Spanischen Inquisition!" - ja, auch das war einmal in jenen guten alten Zeiten des christlichen Abendlandes, in die sich manche zurücksehnen: 1492, die christliche Reconquista der spanischen Könige stand kurz vor dem Abschluss, und von der iberischen Halbinsel waren fast alle Moslems, die dort seit über 700 Jahren lebten, bereits mit Feuer und Schwert vertrieben worden, und über 100.000 spanische Juden mussten kurz darauf gleich mit ihnen das Reich ihrer katholischen Majestäten verlassen. Das spanische Christentum war so fundamentalistisch und fanatisch geworden, wie selten - nur im Süden um Granada hielten die Muslime gerade noch aus.
Der britische Philosoph Bertrand Russell schrieb einmal, Philosophie bestehe im Übergang von offensichtlichen Prämissen zu interessanten Schlussfolgerungen. Wenn dies stimmt, dann ist "Assassin's Creed" ein philosophisches Werk, bilden die genannten historischen Fakten doch nur die so bunten wie spektakulären Kulissen für den selbstverständlich vollkommen fiktiven Plot dieses Films.
Ein Assassine, ein freigeistiger muslimischer Partisan und Angehöriger jener legendären ismaelitischen Sekte von Auftragskillern kämpft dort im Auftrag des Kalifen von Granada gegen den boshaften Großinquisitor Tomás de Torquemada.
Aber eigentlich geht es um mehr, eigentlich kämpft er nicht für die Mauren, sondern für die Freiheit der Menschheit. Es geht um nichts weniger als um Gut und Böse an sich, denn eigentlich geht es den christlichen Fanatikern nämlich um den vom Kalifen gehüteten Apfel aus dem Garten Eden, das Geheimnis aller Gewalt, das er verteidigt.
"Matrix" trifft "Da Vinci Code" (15 Bilder)
Der Leib dieses Assassinen aber ist eigentlich nur ein Avatar. In ihm steckt wiederum ein Mann aus der Gegenwart: Gesendet wird er von einer modernen Wissenschaftsabteilung des reaktionären mittelalterlichen Templer-Ritter-Ordens. Diese rettet zu Beginn des Films einen Kriminellen namens Callum Lynch kurz vor seiner geplanten Hinrichtung aus dem Todestrakt eines US-Gefängnisses, allerdings nur, um ihn in ihren eigenen Privatknast zu stecken, mit gutem Essen und medizinischer Rund-um-die-Uhr-Betreuung.
Das Ziel der Templer: Callum soll zur Teilnahme am sogenannten Animus Projekt gezwungen werden. Dieses versetzt ihn durch Computerverfahren in die Vergangenheit, bzw. in die genetisch bewahrten Erinnerungen seines Vorfahren. Denn was er selbst nicht weiß: Callum ist Nachfahr von Aguilar de Nerha, eben jenes Assassinen, dessen Biographie sich durch seine Gensubstanz exakt nachempfinden und nachleben lässt.
Sind Simulationen wirklicher als die Wirklichkeit?
Confusion now has made his masterpiece.
William Shakespeare, "Macbeth"
"Was zum Teufel ist hier eigentlich los?", fragt die Hauptfigur einmal in diesem Film - eine berechtigte Frage denn dieser hier nacherzählte Game-Plot, der auch der des Films ist, ist ganz schön absurd und eigentlich belanglos.
Und wer sich hier an eine Kreuzung aus "Matrix" und "Da Vinci Code" erinnert fühlt, der liegt nicht falsch. Aber sind nicht alle Fantasyabenteuer wie auch die meisten Science-Fiction-Filme für pragmatisch Denkende ein bisschen absurd?
Wie es gern heißt: Man muss sich eben darauf einlassen, und wenn man es tut, kann man in den besseren Momenten dieses Films ein großes Abenteuer erleben, das zugleich ein technoides wie romantisches Märchen ist. Dass Simulationen wirklicher sind als die Wirklichkeit, ist nichts Neues.
"Assassin's Creed" (der Titel bedeutet auf Deutsch in etwa "Das Credo der Assassinen") ist ein überbordendes Bilderspektakel, Eskapismuskino, das sich nicht um Nuancen und Feinsinn schert, das trotzdem ein bisschen Geschichtswissen mit in die Handlung einbaut.
Vor allem aber: Dies ist ein Film, kein Game, und dies ist als Lob gemeint. Denn man muss das Spiel nicht kennen, um hier mitzukommen, und es wird auch nicht versucht, einfach nur einen Computerscreen für die große Leinwand aufzublasen.
Weltgeschichte als Gewaltgeschichte
Life's but a walking shadow, a poor player
William Shakespeare, "Macbeth"
Vor zwei Jahren inszenierte der Australier Justin Kurzel eines der berühmtesten Stücke von William Shakespeare: "Macbeth" - mit Marion Cotillard und Michael Fassbender in den Rollen des mörderischen schottischen Königspaars. Der Film war krachend missglückt, wirkte wie Shakespeare als Videogame.
Danach war das Schlimmste zu befürchten, hat doch Kurzel als nächstes gleich ein Videogame verfilmt - aber nicht irgendeines, sondern "Assassin's Creed" eine der populärsten Videospielreihen der Welt. Und wieder spielen Fassbender und Cotillard die Hauptrollen.
Überraschenderweise ist der Film dieser neuen Kinodreierbande nun aber recht gut gelungen, so gut, dass man schmissig texten möchte: Ein Videogame als Shakespeare. Das klingt zwar fabelhaft, wäre aber nun doch etwas übertrieben. Doch immerhin: Zwei gute Hauptdarsteller tragen den Film, und charismatische Filmstars wie Charlotte Rampling und Jeremy Irons haben längere Auftritte als wichtige Nebenfiguren.
Vor allem Irons darf den schurkischen Templer in allen Farben schillern lassen und im Westentaschen-Shakespeare-Theaterton schöne Sätze sagen, wie: "The History of the world is the history of violence."
Welten wie Perlen auf einer Schnur
To-morrow, and to-morrow, and to-morrow,
William Shakespeare, "Macbeth"
Creeps in this petty pace from day to day,
To the last syllable of recorded time;
And all our yesterdays have lighted fools
The way to dusty death. Out, out, brief candle!
Als Videogame fasziniert "Assassin's Creed" durch seine mitreißende, visuell bemerkenswerte Geschichte. Das Spiel mischt historische Akuratesse mit halbgaren, abseitigen, aber nicht vollkommen unwahrscheinlichen Verschwörungstheorien, wie man sie in Roman von James Clavell oder Dan Brown finden kann.
Wie Perlen auf einer Schnur, aber abgeschottet voneinander existiert eine potentiell unendliche Kette sekundärer, simulierter Welten. Das Spektakel reicht inzwischen von der Zeit des Dritten Kreuzzugs über die Piraten der Karibik, den nordamerikanischen Unabhängigkeitskrieg, die Französische Revolution bis hin an die Schwelle des 20.Jahrhunderts.
Den besten, zugleich reichhaltigsten wie geschlossensten Weltentwurf aber bietet wohl die Zeit der Renaissance aus "Assassin's Creed II" mit Figuren wie Lorenzo die Medici, Rodrigo und Cesare Borgia, Leonardo da Vinci und den Fortsetzungen "Brotherhood" und "Revelations" sowie der Franchise-Verzweigung "Discovery", die im Jahr 1490 spielt, und in der immerhin einige Figuren vorkommen, die sich auch im Film wiederfinden.
Seit "Matrix" und das ist nun schon 18 Jahre her, und vielleicht noch seit Christopher Nolans acht Jahre altem "Inception" (übrigens auch mit Cotillard), hat es keinen Film mehr gegeben, in dem diese komplexe und ein bisschen paradoxe Grundidee, derart spannend auf die Leinwand gebracht wird: Die Grundidee, dass ein Mensch in einer täuschend echten Scheinwelt, eben einer Matrix, Abenteuer auf Leben und Tod erlebt, und Kämpfe siegreich überstehen muss, von denen dann das Überleben in der Realwelt abhängt.
Die Medienkritik Adornos ist also nicht nur von der Pegida - "Lügenpresse" -, sondern auch vom Mainstream der Kulturindustrie Hollywoods übernommen worden, und die Kinokunst damit in ein Stadium der Selbstphilosophierung eingetreten.