Maulkorberlass für österreichische Journalisten?

Ex-Haider-Anwalt Böhmdorfer gerät als Justizminister wieder unter Beschuss, Kritiker orten bedenkliche Entwicklungen des Rechtsstaates

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Als der österreichische Justizminister jüngst einen Entwurf zur Änderung der Strafprozessordnung vorlegte, heulte die gesamte heimische Presse auf. Der Grund: Journalisten sollten danach unter Androhung von Haftstrafen nicht mehr aus geheimen Gerichtsakten zitieren dürfen. Kritiker vermuten politische Motive hinter dieser Bestimmung. Dem Vernehmen nach klopfte die Staatspolizei unlängst bei Journalisten an, die über eine Pressekonferenz des Aufdeckers Peter Pilz von den Grünen zur "Spitzelaffäre" berichtet hatten, in der gegen hochrangige FPÖ-Politiker wegen des Verdachts auf illegale Datenbeschaffung aus dem Polizeicomputer ermittelt wurde.

Weil der Abgeordnete der Grünen in besagter Pressekonferenz im Oktober 2000 (!) Disziplinarerkenntnisse zweier freiheitlicher Polizeigewerkschaft verteilte, leitete die Staatsanwaltschaft Ermittlungen nach §301 Stgb wegen "Verbotener Veröffentlichung" ein. In Sachen Strafandrohung gegen Medienschaffende machte der Ex-Haider-Anwalt und heutige Justizminister Dieter Böhmdorfer vorerst einen Rückzieher. Haftstrafen würden Journalisten nicht abschrecken, heißt es, möglicherweise aber Geldstrafen.

Für den Grünen Sicherheitssprecher Peter Pilz ist das allerdings kein Rückzug, sondern "ein politisches Täuschungsmanöver". Die Grünen würden die drei "EU-Weisen" über das Vorgehen des Justizministers informieren, kündigte Pilz vergangenen Dienstag an. Er ließ es sich auch nicht nehmen, zur Böhmdorfer-Aktenverteilung in einer stark frequentierten Wiener U-Bahnstation zu laden. "Noch dürfen Sie straffrei Akten von mir übernehmen - greifen Sie zu, eine politische Okkasion", so Pilz zu Passanten.

Seine Wahrnehmung der jüngsten Ereignisse sind im Online-Tagebuch des mediengewandten Politikers nachzulesen. Die Schilderung trifft den Knackpunkt der ganzen Affäre und macht die mediale Aufregung in Österreich verständlich. Kritiker werfen Böhmdorfer nämlich vor, Opposition und Journalisten mundtot machen zu wollen.

"26. April 2001: Der sattsam bekannte Staatsanwalt Klackl kümmert sich neuerdings um mich. Nachdem er in der Spitzelaffäre die wichtigsten Verfahren gegen die freiheitlichen Spitzen niedergeschlagen hat, kümmert er sich in bester Böhmdorfer-Manier um die Teile der Opposition, die noch immer nicht den Mund halten.
Am 4. Oktober 2000 habe ich im grünen Klub zu einer Pressekonferenz eingeladen. Kurz zuvor hatte ich anonym eine Disziplinarerkenntnis aus dem Innenministerium erhalten. Es dokumentierte die Verurteilung eines niederösterreichischen FPÖ-Landtagsabgeordneten namens Mayerhofer wegen EKIS-Abfragen. Das hat dem mutigen Staatsanwalt keine Ruhe gelassen. Nachdem er in bezug auf Haider und Stadler seine Pflicht erfüllt hat, hat er jetzt gegen mich ein Verfahren eingeleitet und dazu einen fast unbekannten Paragrafen ausgegraben: den § 301 StGB über die "Verbotene Veröffentlichung". Klackl droht mir mit einer Gefängnisstrafe bis zu sechs Monaten. Das Bezirksgericht Innere Stadt hat dazu bereits ein Auslieferungsbegehren an den Nationalrat gestellt.
Die Nationalratskanzlei schickt mir das Auslieferungsbegehren. Beim Durchlesen wird klar: Die Justiz will jeden einzelnen Journalisten, der von meiner PK berichtet hat, verfolgen lassen. Die Verfahren gegen Haider & Co. sind niedergeschlagen. Jetzt beginnt die Vergeltung gegen Presse und Opposition.
Am Nachmittag erreiche ich die ersten Journalisten, die damals bei der PK waren. Bei einigen von ihnen hat die Staatspolizei schon angerufen und nur gefragt, ob sie damals dabei waren. Keiner von ihnen ist auf die Idee gekommen, dass sie sich schon im Fadenkreuz der Böhmdorfer-Justiz befinden." (Peter Pilz in seinem Online Tagebuch).

Regierungsvertreter betonen hingegen, dass der umstrittene "Journalistenparagraf" 56 bereits in früheren Entwürfen zur Strafprozessordnung, noch unter der SPÖ-ÖVP Regierung enthalten gewesen wäre. Das Wochenmagazin Profil allerdings fand heraus, dass in diesem Entwurf von 1998 der Verweis auf den Paragrafen 301 Stgb damals noch gefehlt hätte. "Durch die Reaktivierung der seit Jahrzehnten nicht angewandten Bestimmung machen sich Journalisten nun persönlich strafbar", so Profil, und führt weiter aus: "Die Optik ist jedenfalls fatal. Ausgerechnet ein Justizminister, der selbst in die Spitzelaffäre involviert war, weil er als Verteidiger des damaligen FPÖ-Chefs Jörg Haider und dessen Klubobmanns Ewald Stadler 1997 in einem Verfahren mit geheimen Polizei- und Stapoakten aufgetrumpft hatte, wirft sich für den Schutz 'unbeteiligter Dritter' in die Bresche?"

Gegen den Schutz 'unbeteiligter Dritter', womit der Journalistenparagraf begründet wird, wäre auch nichts einzuwenden, wenn damit Personen vor Medienauswüchsen geschützt werden sollten. Experten meinen aber, dass dafür ohnehin das Medienrecht ausreichen würde. Denn hier gilt die Interessensabwägung, also das Ausloten von öffentlichem Interesse an der Causa und dem persönlichen Interesse der Betroffenen. Gegen eine Kriminalisierung von Journalisten durch die Androhung von Haftstrafen liefen jedenfalls nicht nur regierungskritische, sondern sämtliche österreichischen Medien Sturm. Selbst das Massenblatt "Kronenzeitung" forderte mehr "Augenmaß".

Der mächtige Innenpolitikjournalist der "Kronenzeitung", Dieter Kindermann, verwies in einem Kommentar auf weitere bedenkliche Entwicklungen in Österreich: "Bei der neuen Rollenverteilung zur Kriminalitätsbekämpfung wird der unabhängige Richter durch den weisungsgebundenen Staatsanwalt fast gänzlich verdrängt. Er bekommt eine Leitungsbefugnis bei den polizeilichen Erhebungen zuerkannt, ist faktisch Herr des Vorverfahrens. Das Fundament unserer Rechtsprechung ruht aber auf unabhängigen Richtern - und das darf sich auch nicht ändern."

Ob der scharfe Wind, der neuerdings in der rechtskonservativ regierten Alpenrepublik aus dem Justizministerium weht nun in Zusammenhang mit der "Spitzelaffäre" steht, wie es manche Medien und Teile der Opposition suggerieren, oder nicht, sei einmal dahingestellt. Die Chronologie der Affäre spricht zumindest nicht unbedingt für die Regierung. Ins Rollen gebracht wurde die ganze Sache durch den ehemaligen Polizisten Josef Kleindienst, der in Buchform eine Art Geständnis ablegte.

Ihm wäre Geld von hochrangigen FPÖ-Politikern angeboten worden, um "Informationen aus der Polizei zu besorgen, die sich medial verwerten lassen bzw. die sonst wie von der Partei benötigt werden", sagte er in der späteren Vernehmung aus. Das war natürlich gefundenes Fressen für alle, die sich schon immer darüber gewundert hatten, wie die Freiheitlichen zu gewissen Informationen gekommen sind. Insbesondere Jörg Haider hatte gerne mit seinen guten Quellen geprahlt.

Die Ermittlungen wegen illegaler Datenermittlung aus dem Polizeicomputer wurden im Herbst vergangenen Jahres aufgenommen und zogen sich dahin. Zwischenzeitlich verschwand das Thema aus den Medien. Der ORF warf im Februar die Frage auf, ob die "Spitzelaffäre" etwas bewirkt hätte und resümierte: "Vorerst ist neben den politischen Auseinandersetzungen nur eine Folge klar zu erkennen: Die Abfragen im berühmten Polizei-Computer EKIS sind zurückgegangen. Und zwar gleich um 50 Prozent."

Mit der Aktivierung des Paragrafen 301 Stgb gegen Peter Pilz ist die Sache wieder in die Schlagzeilen zurück gekehrt. Gegen Peter Pilz wird heute im Immunitätsausschuss über die Aufhebung seiner Immunität als Abgeordneter beraten. Pilz forciert dies im übrigen und will auf der Anklagebank für die Wahrung der Pressefreiheit eintreten. Grünen-Chef Prof. Alexander Van der Bellen wird im anschließenden Plenum einen dringlichen Antrag einbringen, der mit einem Misstrauensantrag gegen Justizminister Böhmdorfer verknüpft ist. "Das ist jetzt der siebte von SPÖ oder Grünen eingebrachte Misstrauensantrag gegen Böhmdorfer, wenn ich mich nicht verzählt habe". "Rekordverdächtig", meint der Professor. Viele werden das begrüßen. Denn "betrachtet man den geplanten Paragrafen im Kontext mit anderen Maßnahmen, scheint es in Wahrheit darum zu gehen, Kritik bis hin zur Kriminalisierung zu unterbinden", so die Politologin Sieglinde Rosenberger im Profil.