Maximum Pressure gegen TikTok
Commander in Thief: Trump will eine der beliebtesten Apps der Welt amerikanisieren
So schnell kann es also gehen: Donald Trump lässt seinen Worten binnen einer Woche Taten folgen. Per Dekret räumt der amerikanische Präsident die wichtigsten Konkurrenten seiner Big-Tech-Unternehmen aus dem Weg bzw. lässt sie - wie im Falle von TikTok - einkassieren. Nicht nur die Politik des Maximum Pressure gegen China verdeutlicht Trumps Strategie für die Wiederwahl, sondern auch die Begründung. "Zum Wohle der nationalen Sicherheit" lautet das Argument, das die Attitüde des amerikanischen Imperialismus alter Tage ins digitale Zeitalter hievt.
Der Spionagevorwurf gegen Tiktok, Wechat und Huawei bringt im "Kalten Krieg 2.0" auch Peking in eine Zwickmühle. Setzt man sich für die sogenannten "nicht vertrauenswürdigen" Unternehmen ein, verstärkte es nur den Verdacht der Zusammenarbeit in geheimdienstlicher Absicht. Belässt man es bei den mahnenden Worten, die derzeit den Sprechern des Außenministeriums überlassen wird, stünde die Führung unter dem Eindruck, sich von Washington, das dieses Jahr etliche Sanktionen gegen das Land auf den Weg gebracht hat, gängeln zu lassen. Auf diplomatischer Ebene wurde lediglich die Schließung der chinesischen Botschaft in Houston entsprechend beantwortet. Bisher ignoriert Peking jedoch die Maßnahmen der USA gegen die Tech-Unternehmen.
Überraschend kommt jedenfalls die TikTok-Sache nicht. Trump wird seit Wochen von einer Reihe von Beratern gedrängt, bei TikTok zu intervenieren. Viele dieser Berater, darunter Finanzminister Steven Mnuchin und Außenminister Pompeo, hatten Trump geraten, den Empfehlungen des Ausschusses für ausländische Investitionen in den Vereinigten Staaten zu folgen und Microsoft oder einem anderen Bewerber zu erlauben, den in chinesischem Besitz befindlichen Dienst zu kaufen. Es wäre nach der Vergabe des milliardenschweren Jedi-Cloud-Deals des Pentagon das nächste Geschenk an Microsoft.
Regime Change 2.0
Denn auf dem Marktplatz der Social-Media-Apps gibt es weltweit keinen vergleichbaren wie "heißeren" Anbieter wie TikTok der chinesischen Firma Bytedance. Obwohl erst 2016 an den Start gegangen, rangiert TikTok auf Platz sieben der meist-heruntergeladenen Apps der letzten Dekade. Die beliebte Kürzestvideo-App wurde bis April 2020 weltweit mehr als zwei Milliarden Mal sowohl im Apple App Store als auch bei Google Play heruntergeladen (Sensor Tower, 2020), nachdem sie erst ein Jahr vorher die Millarden-Marke erreicht hatte. TikTok ist in 150 Ländern und 39 Sprachen verfügbar. Besonders beliebt ist die App in vielen asiatischen Ländern wie Indien, Kambodscha, Japan, Indonesien, Malaysia, Thailand und Vietnam. 41 Prozent der über 800 Millionen TikTok-Benutzer sind zwischen 16 und 24 Jahre alt.
TikTok ist nicht in China tätig, wo ByteDance stattdessen einen identischen Dienst namens Douyin anbietet. Durch die Trennung von Tiktok und Douyin kann ByteDance die auf Douyin hochgeladenen Inhalte eng regulieren, da sie innerhalb Chinas verbreitet werden, während es TikTok und seinen Nutzern im Ausland relativ frei steht, die Inhalte zu teilen, die sie teilen möchten. TikTok hat eigenen Angaben zufolge 100 Millionen Benutzer in den USA.
Laut einem Bericht von The Information plant YouTube bis Ende 2020 die Einführung einer TikTok-Kopie. Instagram hat diese Woche erst mit Reels TikTok-Funktionen in die Plattform integriert. Doch im Gegensatz zu amerikanischen Werbeplattformen erlaubt TikTok keine Werbung, erst recht keine politische. TikTok entzog sich bisher der Käuflichkeit und der Meinungskontrolle. Ein Ort, an dem die Kreativität noch anarchistisch sprudeln durfte, gerne gegen "Boomer" à la Trump. TikTok-Nutzer sorgten zuletzt für leere Ränge bei Trumps Wahlveranstaltung in Tulsa und bittersüße Kommentare in Trumps Instagram-Feed, die - gehört man nicht zur GenZ - man erst erklärt bekommen muss.
Bytedance sieht sich nun gezwungen, mit Microsoft, dem "Boomer" des Internets, dessen eigene Sicherheitslücken für die "Nationale Sicherheit" natürlich keine Rolle spielen, zu verhandeln. Hieß es zunächst, es ginge nur um das Geschäft in den USA, Australien, Kanada und Neuseeland, schielt Microsoft mittlerweile auf das weltweite Geschäft. Davon ist aktuell jedoch nicht auszugehen. Bytedance sieht sich derzeit nach alternativen Geschäftszentralen außerhalb der USA um, etwa in London und Irland. Dennoch, eine Übernahme des US-Geschäfts würde Microsoft die Kontrolle über eines der größten und einflussreichsten sozialen Netzwerke des Landes verschaffen. Hinter TikToks "recommendation engine" steckt zudem eine der ausgetüfteltsten Machine-Leaning-KIs der Welt.
Eine Datenkrake unter Datenkraken
Einigen Schaden nahm TikTok zuletzt, als bekannt wurde, dass die App Daten aus der Zwischenablage auslesen kann. Medial wird hauptsächlich TikTok der Datenspionage bezichtigt, obwohl über 50 weitere iOS-Apps ähnlich verfahren. Eine ausführliche Liste erstellte Ars Technica, hier eine Auswahl:
- ABC News (behoben) - Al Jazeera English (behoben) - CBC News (behoben) - CBS News (behoben) - CNBC - Fox News - News Break - New York Times - NPR - ntv Nachrichten (behoben) - Reuters - Russia Today - Stern Nachrichten - The Economist - The Huffington Post - The Wall Street Journal - Vice News
Soziale Netzwerke
- TikTok (behoben) - ToTalk - Tok - Truecaller (behoben) - Viber (behoben) - Weibo - Zoosk
Andere
- Accuweather - AliExpress Shopping App - Dazn (behoben) - Hotels.com (behoben) - Hotel Tonight (behoben) - Sky Ticket - The Weather Network
Zu den weiteren Sicherheitsbedenken schreibt Elliot Alderson, ein französischer Hacker, in einer ausführlichen Analyse: "Soweit wir sehen können, hat TikTok in seinem gegenwärtigen Zustand kein verdächtiges Verhalten und exfiltriert keine ungewöhnlichen Daten. Das Abrufen von Daten über das Benutzergerät ist in der mobilen Welt recht üblich, und wir würden ähnliche Ergebnisse mit Facebook, Snapchat, Instagram und anderen erzielen."
Doch Facebook, Snapchat und Instagram sind amerikanische Unternehmen und in China nicht erlaubt. Wozu auch, denn China hat derzeit die besseren Apps. Das stößt den Staaten sauer auf. Die Daten ihrer Bürger sollen nur ihnen vorbehalten sein.