May trifft Vorbereitungen zur Teilnahme des Vereinigten Königreichs an der Europawahl
EU-Ratspräsident Tusk schlägt "Flextension" vor
Die britische Premierministerin Theresa May hat bei der EU brieflich eine Verschiebung des Austrittstermins auf den 30. Juni 2019 beantragt. Weil dieses Datum zwar vor der ersten Zusammenkunft des neu gewählten europäischen Parlaments, aber nach dem Europawahltermin vom 23. Bis zum 26. Mai liegt, will May gleichzeitig Vorbereitungen zur Teilnahme an dieser Europawahl treffen.
Tatsächlich teilnehmen soll das Vereinigte Königreich aber nur dann, wenn sich das britische Unterhaus bis dahin nicht auf Mays Deal oder auf einen anderen schnellen Ausstiegsmodus geeinigt hat. In der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag hatte es die Premierministerin und ihre Regierung mit der denkbar knappsten Mehrheit von 313 zu 312 Stimmen dazu verpflichtet, in Brüssel Verlängerungen zu beantragen, um einen Ausstieg zu WTO-Konditionen zu vermeiden. Nun debattiert das House of Lords, das Oberhaus, über diesen Unterhausbeschluss. Ob es ihn absegnet, ist noch unklar.
Gespräche mit Corbyn
May hatte den Beschluss als Einschränkung ihrer Verhandlungsoptionen kritisiert. Sie verhandelt derzeit mit Oppositionsführer Jeremy Corbyn darüber, was es Sie kosten würde, wenn dessen Labour-Partei Ihrem Deal zustimmt. Das könnten beispielsweise Neuwahlen sein, oder eine nach dem Ausstieg auszuhandelnde Zollunion mit der EU (die Corbyn, aber nicht May möchte, weil sie Großbritannien dabei behindern würde, Freihandelsabkommen mit anderen Ländern zu schließen).
Auch ein "bestätigendes Referendum" wird debattiert. Finanzminister Philip Hammond nannte es gestern einen seriösen Vorschlag und ließ dabei ebenso wie der Labour-Party-Brexit-Sprecher Keir Starmer offen, ob er damit eine Volksabstimmung über eine Annahme von Mays Ausstiegshandel oder eine über einen Verbleib in der EU meint. Gegen ein neues Referendum sind unter anderem Mays Gesundheitsminister Matt Hancock und 25 Abgeordnete der Labour Party, die Corbyn in einem Brief dazu aufforderten, lieber einen "zusätzlichen Schritt" in Richtung einer Annahme ihres Deals zu machen, weil eine erneute Abstimmung der Bürger das Vereinigte Königreich ihrer Ansicht nach noch stärker als jetzt "spalten" würde.
So eine Spaltung macht auch Martin Hewitt, dem Vorsitzenden des Rats der Polizeichefs (NPCC) Sorgen. Er rief die Politik angesichts sich mehrender Demonstrationen von Brexit-Befürwortern und Brexit-Gegnern dazu auf, sich in ihren Äußerungen zu mäßigen um möglichst niemanden zu provozieren oder zu Gewalttätigkeiten zu verleiten. Für den Fall, dass es doch zu "größeren Störungen" kommen sollte, müssen sich etwa 10.000 Polizisten für einen sofortigen Einsatz bereithalten.
Sozialdemokraten können bei Wahlteilnahme Großbritanniens auf Verstärkung hoffen, Christdemokraten nicht
In Brüssel stößt die Option einer nochmaligen britischen Teilnahme an den Europawahlen auf ein unterschiedliches Echo: Während sich der christdemokratische Kommissionspräsidentenkandidat Manfred Weber entschieden dagegen ausspricht, zeigt sich sein sozialdemokratischer Konkurrent Frans Timmermans offen dafür. Hintergrund dieser Positionierungen dürfte auch sein, dass die sozialdemokratische S&D-Fraktion im Europaparlament durch eine erneute Präsenz der britischen Labour Party deutlich gestärkt würde, während die Tories nicht der christdemokratische EVP, sondern der konservativen ECR-Fraktion angehören.
EU-Ratspräsident Donald Tusk, dessen Platforma Obywatelska (PO) der EVP angehört, spricht sich trotzdem für eine längerfristige Verschiebung des britischen Ausstiegstermins aus. Er will den Vertretern der Mitgliedsländer im Rat eine Verschiebung um ein Jahr vorschlagen, wobei der Ausstieg flexibel gestaltet werden soll. Dafür hat ein angeblich "ranghoher", aber nicht namentlich genannter EU-Vertreter ein neues Wort erfunden: "Flextension" - zusammengesetzt aus den beiden englischen Wörtern "flexible" und "extension". So eine flexible Verlängerung soll automatisch dann enden, wenn sich im Unterhaus eine Mehrheit für Mays Deal findet.
Der Brexiteer Jacob Rees-Mogg will so eine längere Verlängerung auf andere Weise nützen: Er hat angeregt, dass das Vereinigte Königreich während der weiteren Verbleibszeit nicht nur die von Emmanuel Macron gewünschte EU-Armee, sondern auch andere Vorhaben der französischen Staatsführung blockieren könnte - so lange bis diese auf Brüssel einwirkt, der britischen Regierung doch noch Zugeständnisse zu machen und ihr beispielsweise eine einseitige Ausstiegsoption aus dem Nordirland-Backstop zu gewähren. Angesichts dieser Möglichkeit ist es wenig verwunderlich, dass heute besonders Vertreter der französischen Regierung betonten, ein Verschieben des Austrittstermins beim EU-Gipfel am Mittwoch könne nicht automatisch genehmigt werden, sondern müsse mit Perspektiven versehen sein.
Ein anderer hochrangiger EU-Vertreter, der deutsche Haushaltskommissar Günther Oettinger, droht den Steuerzahlern der verbleibenden 27 EU-Mitgliedsländern derweilen mit höheren Abführungen nach Brüssel, wenn Großbritannien zu WTO-Konditionen aussteigt und die im Deal mit Theresa May vereinbarte Ablösesumme nicht zahlt.
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