May übersteht Misstrauensvotum
Juncker fordert Briten dazu auf, "ihre Absichten so bald wie möglich klarzustellen"
Theresa May bleibt vorerst britische Premierministerin. Ein Misstrauensvotum, dass der Labour-Vorsitzende Jeremy Corbyn nach der Ablehnung des von ihr ausgehandelten Brexit-Deals beantragt hatte, scheiterte heute mit 325 zu 306 Stimmen. Dieser Ausgang galt bereits vorher als wahrscheinlich, weil sowohl Abgeordnete der nordirischen Protestentenpartei DUP als auch der Tories verlautbart hatten, gegen ihren Deal zu sein, sie aber nicht stürzen zu wollen.
Das dürfte auch mit den aktuellen Wahlumfragen zusammenhängen: Bei Kantar liegt Labour mit 38 zu 35 Prozent vor den Tories. Beim Survation-Institut, das für die Daily Mail fragt, führt die Oppositionspartei mit 41 zu 38 Prozent. Und die Meinungsforscher von BMG sehen die beiden großen Parteien mit jeweils 36 Prozent Kopf an Kopf. Nur in der Umfrage des für die Times tätigen YouGov-Instituts liegen die Konservativen mit 41 zu 35 Prozent vorne.
Ein Sturz Mays hätte deshalb das Risiko des Macht- und für viele Abgeordnete auch das eines Mandatsverlusts mit sich gebracht. Das wäre allerdings nur dann der Fall gewesen, wenn es zu vorgezogenen Neuwahlen gekommen wäre. Hätten sich die Tories und die DUP auf einen anderen Nachfolger für May geeinigt, hätte dieser zwar theoretisch auch ohne Neuwahl weitermachen können - aber wegen des sehr breiten Standpunktspektrums in der konservativen Partei wäre dessen Mehrheit im Parlament praktisch fraglich gewesen.
Gespräche mit allen Parteien
Nun will May mit Vertretern aller im House of Commons vertretenen Parteien sprechen, um einen Alternativplan zum britischen Ausstieg aus der EU zu entwerfen, den sie dem Parlament am Montag präsentieren muss. Wie dieser Alternativplan aussehen könnte, ist weitgehend offen, weil es auch in der Labour-Partei recht unterschiedliche Ansätze gibt. Einige Abgeordnete dort wollen den Ausstiegstermin in die Zukunft verlegen und nachverhandeln, andere möchten den EU-Ausstieg ganz stoppen, und etwa Hundert fordern dem Nachrichtensender Sky zufolge ein zweites Referendum, dem Parteichef Corbyn bislang skeptisch gegenübersteht.
Bei den Konservativen gibt es neben Anhängern dieser drei Optionen auch viele Vertreter eines "Hard Brexit", eines Ausstiegs ohne spezielle Verträge und zu den Konditionen der Welthandelsorganisation WTO. Auf diese Möglichkeit will sich nun die irische Regierung verstärkt vorbereiten, die wegen der Landgrenze zu Nordirland unter den EU-Mitgliedsländern am stärksten betroffen wäre. Diese Landgrenze ist auch eine wichtige Ursache dafür, warum man sich nicht auf ein Abkommen einigen konnte, das eine Mehrheit im Westminster-Parlament gefunden hätte: Mit ihr begründete man nämlich die Backstop-Regel, die das Vereinigte Königreich gezwungen hätte, weiter EU-Vorschriften zu akzeptieren, bis eine Lösung gefunden ist, die alle Seiten zufrieden stellt.
Gilt nach der Abstimmung, was vor ihr gesagt wurde?
Weil Brüssel und Berlin einer Befristung dieser Übergangsregel nicht zustimmen wollten, fürchteten viele Tory-Abgeordnete, dass diese dauerhaft gelten würde. Würden Jean-Claude Juncker und Angela Merkel ihre Position dazu ändern, wäre es durchaus möglich, dass ein dahingehend modifizierter Ausstiegsdeal im britischen Unterhaus eine Mehrheit findet. Vor der Abstimmung hatten sowohl der Luxemburger als auch die Uckermärkerin Änderungen ausgeschlossen: Einen Bericht der britischen Boulevardzeitung The Sun, dass Merkel für den Fall einer Ablehnung des Deals im Unterhaus Zugeständnisse in Aussicht stellte, dementierte deren Regierungssprecher gestern. "Die Bundeskanzlerin", so die Stellungnahme dazu, habe "keinerlei Zusicherungen über das hinaus gemacht, was im Europäischen Rat im Dezember besprochen wurde" (vgl. UK: Unterhaus stimmt gegen Mays Brexit-Vertrag).
Ob das auch nach der Abstimmung so gilt, wird sich zeigen. Juncker deutete bereits an, dass die klare Abfuhr des May-Deals in Westminster seine Kompromissbereitschaft erhöht haben könnte. Auf Twitter forderte er die Briten dazu auf, "ihre Absichten so bald wie möglich klarzustellen". Noch deutlicher wurde der italienische EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani, der heute in einer Rede vor dem Plenum in Straßburg meinte, man sei "bereit, an den künftigen Beziehungen mit Großbritannien zu arbeiten". Auch der irischen Außenminister Simon Coveney deutete indirekt eine mögliche Kompromissbereitschaft an, indem er nicht Sachverhalte, sondern eine "Stimmung" in der EU als Grund für die Nachverhandlungsweigerung anführte.
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