UK: Unterhaus stimmt gegen Mays Brexit-Vertrag
May muss nun bis 21. Januar einen Alternativplan vorlegen
Heute Abend hat das britische Unterhaus nach einer ausführlichen Debatte mit weitgehend bekannten Argumenten mit 432 zu 202 Stimmen wie erwartet den von Premierministerin Theresa May mit der EU ausgehandelten Brexit-Deal abgelehnt.
Neben den Abgeordneten der Oppositionsparteien (die das bereits in der Debatte ankündigten) und der nordirischen Protestantenpartei DUP stimmten auch mindestens 114 von Mays eigenen Tories dagegen. Mays innerparteilicher Rivale Jacob Rees begründete diese Ablehnung damit, dass das britische Volk für einen Ausstieg aus der EU gestimmt habe - und nicht für einen Deal, von dem niemand recht wisse, was er beinhaltet und was nicht.
Oppositionsführer Jeremy Corbyn kündigte deshalb unmittelbar nach der Abstimmung ein Misstrauensvotum des Parlaments an, über das morgen beraten werden soll. Um die für den Antrag dazu notwendigen Stimmen zusammenzubekommen, hatte er einem Bericht des Guardian nach eine Anwesenheitspflicht auch für gesundheitlich angeschlagene Labour-Abgeordnete angeordnet. Die bengalischstämmige Politikerin Tulip Siddiq verschob deshalb ihren Kaiserschnitttermin.
Umfragen sprechen gegen Sturz der Regierung
Ob Corbyn May mit einem Misstrauensvotum stürzen kann, ist allerdings fraglich: Die aktuellen Umfragewerte legen nahe, dass dann auch Tory- und DUP-Abgeordnete, die ihren Brexit-Deal ablehnen, für sie stimmen werden, weil sie sonst die Gefährdung von Parlamentssitzen und den Verlust der Macht fürchten müssen.
Wahrscheinlicher ist, dass May bis zum Montag einen Alternativplan präsentiert, über den das Unterhaus dann am Donnerstag den 31. Januar abstimmen kann. Er könnte beispielsweise aus einem anderen Ausstiegsvertrag bestehen, in dem Brüssel London bessere Konditionen gewährt. Die Konditionen des jetzt abgelehnten Deals waren laut Mays zurückgetretenem Brexit-Minister David Davis davon geprägt, dass "Europa entschlossen war, dafür zu sorgen, dass wir keinerlei Vorteile haben würden", wie er am Freitag dem Spiegel mitteilte. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte ihm zufolge sogar "sinngemäß, dass Großbritannien auf keinen Fall vom Brexit profitieren dürfe."
Berlin ließ Bereitschaft zu Zugeständnissen dementieren
Einen Bericht der britischen Boulevardzeitung The Sun, dass Merkel für den Fall einer Ablehnung des Deals im Unterhaus Zugeständnisse in Aussicht stellte, dementierte deren Regierungssprecher heute. "Die Bundeskanzlerin", so die Stellungnahme dazu, habe "keinerlei Zusicherungen über das hinaus gemacht, was im Europäischen Rat im Dezember besprochen wurde". Ein Telefongespräch zwischen May und Merkel, das die britische Premierministerin vorher bestätigte, habe es zwar gegeben, aber dessen Inhalt sei "falsch wiedergegeben" worden. Ob das auch nach der Abstimmung so gilt, wird sich zeigen.
Ein Zugeständnis könnte dem Sun-Bericht nach sein, dass Berlin, Brüssel und Dublin ein Ablaufdatum für die von May heute als "Versicherung" gerechtfertigte Backstop-Regelung akzeptieren, die EU-Vorschriften zur Vermeidung von Grenzkontrollen zwischen Nordirland und der Republik Irland weiter gelten lässt, bis eine Lösung gefunden ist, die alle Seiten zufrieden stellt. Bislang gibt es lediglich Absichtserklärungen des scheidenden EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker und des EU-Ratspräsident Donald Tusk, in denen es heißt, man werde alles dafür tun, bis 2020 eine endgültige Lösung zu finden.
Davis hält Risiken eines Ausstiegs zu WTO-Konditionen für "beherrschbar"
Einem Verschieben des für 29. März vorgesehenen Austrittstermins, den vorher unter anderem ihr Außenminister Jeremy Hunt und der Evening Standard ins Spiel brachten, hatte May am Montag in einer Rede vor Arbeitern in der Stoke-on-Trent eine Absage erteilt. Bleibt sie dabei, könnte es zu einem Brexit kommen, bei dem der Handel zwischen dem UK und der EU nicht mehr nach den Regeln des Binnenmarktes, sondern nach denen der Welthandelsorganisation WTO läuft. Die Risiken so eines Ausstiegs hält Mays ehemaliger Brexit-Minister David Davis für "beherrschbar":
Gut möglich, dass wir Lkw-Staus haben werden. Wer weiß, vielleicht werden wir auch feindselige Aktionen europäischer Staaten erleben. Aber was auch immer passiert, nach einem Jahr wird sich das alles gegeben haben. (David Davis)
Rees-Mogg erwartet sich davon mittelfristig sogar einen "wirtschaftlichen Boom", während sich der britische Industriellenverband hier deutlich skeptischer zeigt.
Eine Volksabstimmung über einen Verbleib in der EU zieht May nicht in Betracht, wie sie gestern meinte. Wahrscheinlich auch deshalb, weil die Brexit-Befürworter dem aktuellen Stand nach mit deutlicherem Vorsprung siegen würden als beim ersten. Den von May ausgehandelten Deal lehnt eine relative Mehrheit von 49 Prozent der Befragten ab, befürwortet wird er lediglich von 23 Prozent.