Medien: Wir brauchen mehr Fremdkritik

Hinweis-Zettel an Volksempfänger. Bild: Erfurth/CC BY-SA-3.0

Kommentar zum Kommentar "Medien: Wir brauchen mehr Selbstkritik"

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Telepolis-Autor Gerrit Wustmann (Wir brauchen mehr Selbstkritik) hat den kontroversen Aufruf des DJV zum Abklemmen des russischen Staatssenders RT Deutsch verteidigt und hält Selbstkritik Medienschaffender für ausreichend. Er wirft RT Deutsch Einseitigkeit und Kritiklosigkeit gegenüber den Positionen der russischen Regierung vor.

Wustmann vergleicht den russischen Auslandssender mit der Deutschen Welle. Schwächen der Medien will er mit Selbstkritik begegnen. Auch hält er die an den DJV-Vorsitzenden gerichtete Frage im Telepolis-Interview (RT Deutsch ist kein journalistisches Informationsmedium), ob die Nachrufe über George Herbert Walker Bush ausgewogen seien, für ein willkürlich gewähltes Beispiel, in dem es um ein ganz anderes Thema gehe.

Au contraire: Die Frage zu Bush war exzellent. Dazu sogleich.

Rundfunkfreiheit

Als Konrad Adenauer in Westdeutschland vom Rundfunk Hofberichterstattung verlangte, erteilten ihm fähige Verfassungsjuristen nachhaltig eine Absage. Nach den Erfahrungen im Dritten Reich mit der gleichgeschalteten Presse und dem wirkmächtigen Volksempfänger wollten man erneute Propaganda vermeiden und hoffte auf ein aufgeklärtes Volk, das sich nicht durch politische Lügen ein weiteres Mal in sinnlose Kriege treiben ließe.

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Daher ließ man im Rundfunkbereich, wo es wegen dem damals technisch hohen Aufwand nur wenig Anbieter geben konnte, zunächst nur öffentlich-rechtliche Sender zu. Diese sollten so organisiert werden, dass Unabhängigkeit vom Staat gewährleistet und hausintern ein breites Spektrum an unterschiedlichen Meinungen abzubilden (Binnenpluralismus) sei. Kontrollieren solle dies nicht der Staat, sondern die Gesellschaft abbildende Rundfunkräte.

Als Adenauer der Rundfunk noch immer zu links war, erweiterte man das Spektrum der Meinungen mit einem zweiten öffentlich-rechtlichen Rundfunkhaus (ZDF), das journalistischen Wettbewerb lieferte. Privaten Rundfunk hielt man lange für ein Risiko, weil dieser wie so oft die Presse den Mächtigen nach dem Mund reden und unerwünschte Meinungen ausblenden würde. In den 1980er Jahren endlich erweiterte man das Spektrum dann doch erneut, unter Aufsicht von "staatsfernen" Medienräten. Aus dieser Meinungsvielfalt darf sich das geneigte Publikum nach Artikel 5 Grundgesetz ungehindert unterrichten.

Hat sich unser in sieben Jahrzehnten gewachsenes Rundfunksystem bewährt? Bekommen wir ausreichend politische Informationen, um uns eine qualifizierte Meinung zu bilden, oder leben wir in einer Matrix, die uns dies nur vorgaukelt? Sie, verehrter Leser, haben nun die Wahl zwischen der roten und der blauen Pille: Wählen Sie die blaue Pille, werden Sie auch weiterhin ein positives Verhältnis zu Ihren Medienschaffenden haben und wir verabschieden uns an dieser Stelle.

Rote Pille

Sie haben also die rote Pille gewählt und lesen weiter. Mutig, aber nicht notwendig weise. Wollen Sie nicht vielleicht doch lieber …?

Also gut: Wenn ein Milliardär verstirbt, der sein Familienvermögen den Nazis verdankt, in den 1970er Jahren eine Terrororganisation (CIA) geleitet hat, mit nahezu jeder nicht kommunistischen Diktatur auf diesem Planeten Geschäfte gemacht hat, 1983 durch PsyOps beinahe den Dritten Weltkrieg auslöste, im Nahen Osten die arabische Staaten gegeneinander in den Krieg hetzte, in den 1990ern selbst mit Kriegslügen einen Rohstoffkrieg führte, dabei Kriegsverbrechen beging, dann als Rüstungsunternehmer seinen Sohn ins Weiße Haus schickte, um den Irak zu überfallen und Deutschland in den perspektivlosen Afghanistan-Krieg zu locken - wäre da von Journalisten, die der Menschenwürde und Völkerverständigung verpflichtet sind und in jedem Staatschef, der nicht zur NATO gehört, einen neuen Hitler sehen, nicht wenigstens ein kritisches Wort zu erwarten? Null. Nada. Stattdessen Hündin Sally (oder hieß sie Blondie?).

Wenn man über einen solchen Mann nicht dessen Taten, sondern nur den Namen seines Köters berichtet, dann ist das Experiment "Rundfunkfreiheit" offensichtlich gescheitert. Die kritikfreien Bush-Nachrufe waren auch keine bloße Momentaufnahme schlampiger Arbeit, sondern systembedingt. Denn wenn die Lobby der Mächtigen, die etwa in der Atlantik Brücke organisiert ist, einen George H.W. Bush-Preis vergibt, wird kein Redakteur ausscheren, der den angespannten Arbeitsmarkt für Journalisten kennt.

Krieg gekriegt

Auch das Verfassungsziel, von der Sozialkatastrophe Krieg zu lassen, wurde nicht erreicht. Das Rundfunksystem hatte uns nicht davor bewahrt, uns in den Jugoslawienkrieg hineinlügen zu lassen. Auch in den ewigen Krieg gegen den Terror, der zu nichts anderem als neuem Terror führt, ließen wir uns mit Kriegspropaganda hineinlügen. Deutsche Soldaten im Ausland sind heute wieder Alltag. Spätestens während der Ukraine-Krise, als die russische Position nahezu gänzlich fehlte, wurde die Propaganda selbst Rundfunkräten peinlich.

Wer glaubt, der Rundfunk würde zuverlässig berichten, relevanten Themen Raum geben und eine Auswahl unterschiedlicher Meinungen gewährleisten, kann ja mal versuchen, ein Rundfunkhaus für eine kritische Dokumentation über Allen Dulles, NATO oder die Atlantik Brücke zu begeistern. Beim ZDF kommt man selbst bei Geschichtsdokus nicht ohne westlichen Spin aus, präsentiert etwa bei ABLE ARCHER ausgerechnet Brandstifter Ronald Reagan als Weltenretter. Parodieren kann man dieses Versagen nicht mehr.

Wenn Rundfunk ein brauchbarer Markt der Meinungen sein soll, der nicht nur einen Inzest identischer Narrative bietet, kann dies nur disruptive Konkurrenz leisten, die von der politischen Lobby wirklich unabhängig ist. Das Fernsehen jedenfalls der jungen Leute heißt heute YouTube, wo die von Medienjuristen propagierte Staatsferne und Medienvielfalt nun erstmals tatsächlich verwirklicht wird. Während die etablierten Medien vor Jahren Zeit damit verschwendeten, das Internet zu verteufeln, haben dort inzwischen alternative Kanäle das Vakuum ausgefüllt.

"Dauerkremlsendung"

Da den Russen vor fünf Jahren keine zuhörte, der nicht als Putinversteher gebrandmarkt werden wollte, betrat als neuer Player RT Deutsch das Parkett. Kollegial riefen ihn die Mitbewerber zum Propagandasender aus, bevor überhaupt die erste Minute gesendet war.

Der DJV hat seine vollmundige These "erfundener Geschichten" bislang nicht belegt, was man von professionellen Journalisten eigentlich erwarten darf. Hätte sich der vom BILD-Chef offen angefeindete Sender in viereinhalb Jahren auch nur eine einzige Presse-Ente geleistet, wäre das Geschrei groß gewesen. Wie zuverlässig hingegen die konventionellen Medien berichten, kann jeder bei BILDblog verfolgen.

Statt eigener Kommentare hält RT Deutsch meistens allen möglichen Deutschen ein Mikrofon unter die Nase, die in konventionellen Medien (ob verdient oder nicht) kein Gehör finden. Das kann man böswillig als Zersetzung sehen. Über Russland berichtet RT offenbar eher selten. Sofern Wustmann Kritik an Putin beim russischen Staatssender (!) vermisst, wäre beim Vergleich mit der Deutschen Welle in methodischer Hinsicht zu fragen, ob Kritik an der Bundesregierung oder der NATO denn dort einen nennenswerten Raum einnimmt.

Während man bei RT Deutsch das bekommt, was auf dem Etikett drauf steht, bietet die konventionelle Medienlandschaft bei außenpolitischen Themen eher Variationen des NATO-Briefs. Themen wie Integrity Initiative finden nur in alternativen Medien statt. Dann aber ist ein Medienhaus, das solch vernachlässigte Themen aufgreift, ein journalistischer Gewinn. Spätestens dann, wenn uns eine mögliche US-Präsidentin Clinton Krieg gegen Russland schmackhaft machen will, sollte man auch dem Gegner zuhören.

Konkurrenz belebt das Geschäft

Nun hat man also nach Einführung von ZDF und privatem Rundfunk wieder einen neuen Player. Diesmal aber einen, der außerhalb des Systems spielt, keinen atlantischen Narrativen verpflichtet ist und auch nicht durch Werbeboykott ausgetrocknet werden kann. Man könnte die neue Konkurrenz produktiv als Ansporn und Korrektiv akzeptieren, etwa vernachlässigten Themen und Sichtweisen mehr Raum zu geben, statt Narrative nachzubeten. Ein gutes Vorbild wirkt überzeugender als larmoyante Kritik.

Wenn der DJV jedoch ausgerechnet Zensur fordert, reziproke Parolen wie im Kalten Krieg ausgibt und argumentativ nicht mehr als den Verweis auf fadenscheinige "Studien" zu bieten hat, wird dies den Liebesentzug des Publikums eher nicht mildern.

Der Autor ist Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht. Für Journalistenpreise hat er keine Verwendung. Propaganda bevorzugt er musikalisch.