Medienfreiheit und -vielfalt in der EU: Korridore verengen sich auch hier
Europäische Bürgerrechtler:innen beklagen zunehmende autoritäre Tendenzen. Sie erklären auch, warum der "freie Markt" die wachsenden Probleme nicht lösen wird
Medienfreiheit und Medienvielfalt in der EU sind im Jahr 2021 gesunken, so das Fazit des ersten Jahresberichtes der Bürgerrechtsorganisation Civil Liberties Union for Europe, der dieser Tage veröffentlicht wurde und an dem Gruppen aus 15 EU-Mitgliedsländern beteiligt waren, darunter aus Deutschland der Verein "Gesellschaft für Freiheitsrechte".
Frank-Walter Steinmeier, der heutige Bundespräsident, hatte 2014, damals noch Außenminister auf SPD-Ticket, mit Blick auf den Journalismus in Deutschland gesagt:
Vielfalt ist einer der Schlüssel für die Akzeptanz von Medien. Die Leser müssen das Gefühl haben, dass sie nicht einer einzelnen Meinung ausgesetzt sind. Reicht die Vielfalt in Deutschland aus? Wenn ich morgens manchmal durch den Pressespiegel meines Hauses blättere, habe ich das Gefühl: Der Meinungskorridor war schon mal breiter. Es gibt eine erstaunliche Homogenität in deutschen Redaktionen, wenn sie Informationen gewichten und einordnen. Der Konformitätsdruck in den Köpfen der Journalisten scheint mir ziemlich hoch.
Und Steinmeier fuhr damals, im Jahr 2014, fort – also vor dem deutlichen Sich-Manifestieren der massiven Krisen, die bis heute wirken (Erderhitzung, Sozialabbau, erstarkende Rechtsextreme, Corona, Krieg):
Das Meinungsspektrum draußen im Lande ist oft erheblich breiter. Wie viele Redakteure wollen Steuersenkungen, Auslandseinsätze, Sanktionen? Und wie viele Leser? Sie (die Journalist:innen, d.A.) müssen nicht dem Leser nach dem Munde schreiben, genauso wenig wie wir Politiker nur auf Umfragen starren sollten. Aber Politiker und Journalisten gleichermaßen sollten die Bedürfnisse ihrer Leser und Wähler nicht dauerhaft außer acht lassen.
Soweit Steinmeier vor acht Jahren. Mittlerweile scheint der Ton, auch bei ihm, in vieler Hinsicht rauer geworden zu sein. Oder sagen wir: deutlicher. Umso wichtiger bleiben Analysen zu Medienfreiheit sowie –vielfalt auch und gerade in politisch demokratisch verfassten Ländern wie jenen der EU.
Im aktuellen Bericht der Bürgerrechtler:innen werden mit relativ selbstkritischem Blick auf die Europäische Union autoritäre Tendenzen in mehrerer Hinsicht benannt: Direkter und indirekter politischer Druck durch Herrschende, zunehmende Beschränkungen der sogenannten "inneren Pressefreiheit" durch wachsende Eigentumskonzentration samt direktem Eingreifen durch Verleger:innen, missbräuchliche Klagen gegen Journalist:innen sowie Angriffe und Verleumdungen in der Öffentlichkeit, sowohl z.B. durch Sicherheitskräfte als auch durch Protestierende.
Um zu ermöglichen, dass auch grundsätzlich verschiedene Meinungen öffentlich wahrnehmbar seien, bleibe es wichtig, so der Bericht, dass nicht nur einige wenige Eigentümer:innen oder Machthabende die Medien kontrollierten. In vielen EU-Ländern sei die Medienvielfalt übrigens auch deshalb bedroht, weil Medienbehörden entgegen weit verbreiteter Behauptungen kaum unabhängig, nicht zuletzt von machtpolitischem Einfluss seien.
Daher ist es wichtig, dass die Mitglieder dieser Behörden unabhängig sind von Regierungen, politischen Parteien sowie Unternehmen sind und sowohl effizient als auch transparent arbeiten.
Dieser Aspekt lässt sich aktuell am Verbot russischer Staatsmedien wie RT und Sputnik in Deutschland und der EU diskutieren und damit an der Frage, inwieweit etwa die hiesigen Landesmedienanstalten tatsächlich als staatsfern gelten können.
Im Bereich der öffentlich-rechtlichen Sende-Anstalten, die frei von politischem und wirtschaftlichem Druck sein sollten, verweist der Bericht einerseits auf fehlende gesellschaftliche "Aufsicht" und Mitbestimmung. Damit ist allerdings nicht (noch mehr) Aufsicht durch die ohnehin Mächtigen gemeint: In verschiedenen EU-Ländern erhöhten laut Bericht die Regierenden ihren Druck und Einfluss auf die öffentlich-rechtlichen Medien. Genannt werden Ungarn, Kroatien, Tschechien, Slowenien und Italien.
Die Covid-19-Pandemie sei in EU-Ländern oft missbraucht worden, um Eingriffe in die Medienfreiheit zu legitimieren, einschließlich des Zugangs zu Informationen von öffentlichem Interesse. Auch in Ländern, die laut Bericht als relativ stabil gelten (wie Deutschland), habe die Pandemie große wirtschaftliche Herausforderungen vorwiegend für kleinere/lokale Medienanbieter bewirkt. Wie auch "Reporter ohne Grenzen" warnt der Report, dass in Deutschland die Medienvielfalt einer langsamen, aber stetigen Erosion unterliege.
Mit Blick auf die spannungsreichen Entwicklungen von etablierten Medien, großen Plattformen der globalen Digitalkonzerne und Alternativmedien heißt es:
Qualitätsjournalismus und die Vielfalt des Mediensektors sind auch durch wirtschaftlichen Druck bedroht. Vor allem kleinere Medienunternehmen und andere weniger kommerzielle Formen des Journalismus leiden unter finanziellen Schwierigkeiten und sind vom Konkurs bedroht oder vom Risiko, von größeren Akteuren aufgekauft zu werden.
Hohe und wachsende Medienkonzentration, was das (private) Eigentum angeht, sei vor allem ein Problem in EU-Ländern wie Ungarn, Polen, Slowenien und Kroatien, aber auch in Italien und den Niederlanden.
Neben der Gewalt durch Protestierende gegen Journalist:innen in vielen EU-Ländern ist dem Bericht zufolge auch Gewalt seitens der Sicherheitskräfte gegenüber Medienschaffenden ein Problem, vor allem in Ländern wie Belgien, Bulgarien, Italien, Polen, Slowenien und Spanien.
Auch Beschränkungen des Informationszuganges seien problematisch. Die polnischen Behörden z.B. hatten im Herbst 2021 Journalist:innen den Zugang zur Grenze mit Belarus verweigert, als dort viele Menschen auf der Flucht in Richtung EU zurückgewiesen wurden. Ähnliche Entwicklungen kritisiert der Bericht auch in Ländern wie Belgien, Irland, Italien, Ungarn, den Niederlanden, Slowenien und Spanien, also quer durch die EU hindurch.
Im Frankreich des liberal gelabelten Präsidenten Emmanuel Macron wiederum gefährdet laut Report das neue Gesetz zur Wahrung der Grundsätze der Republik die Arbeit von Journalist:innen und anderen, die versuchten, mutmaßliche Polizeigewalt aufzudecken: Der dortige Artikel 36 ermögliche es, eine entsprechende Straftat festzustellen, die mit einer Geldstrafe von bis zu 75.000 Euro oder einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren geahndet werden könne.
Hoffnungsvoll scheinen die Autor:innen auf die Arbeit der EU-Kommission am "Media Freedom Act" zu schauen. Sie verstehen ihren Bericht erklärtermaßen als Beitrag zu dieser Arbeit. Schwerpunkte dabei sollten auf der Wahrung journalistischer Unabhängigkeit gegenüber wirtschaftlichem und politischem Druck liegen sowie auf dem Schutz journalistischer Quellen, gerade auch mit Blick auf "Whistleblower", also Insider, die sich vertrauensvoll an Medien wenden, um auf etwaige Missstände in Unternehmen, Regierungen, Behörden und anderen Organisationen hinweisen.
Diesen Optimismus, dass der "Media Freedom Act" Grundlegendes in der Europäischen Union zum Positiven wenden möge, muss mensch nicht teilen, um den Report als wichtigen Beitrag zu mehr Selbstkritik und Demokratisierung (in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht) in der EU und nicht zuletzt in Deutschland zu würdigen.
Heribert Prantl, einer der großen sozial-liberalen Journalisten hierzulande, schrieb 2021, schon inmitten der heute manifesten Krisen:
Journalismus ist dafür da, den Menschen zum Gespräch zu verhelfen. Guter Journalismus regt an und regt auf, er fordert auf zu Zuspruch und zu Widerspruch. Er liefert die Fakten, er liefert Analysen, er liefert Bewertungen; man kann sich daran reiben, man kann sich auch davon überzeugen lassen. Er ist ein Lebenselixier einer freien Gesellschaft.
Die beiden unbestimmten Artikel im letzten Satz zeigen, dass und wie guter Journalismus Dinge auf den Punkt zu bringen vermag – hier auch mit Blick auf Medienfreiheit und Medienvielfalt.