Medikamente könnten mehr AIDS-Kranken helfen
85 % aller Aidskranken weltweit bleiben von einer wirksamen Therapie ausgeschlossen. Dabei ist eine Behandlung auch in armen Ländern möglich. Doch dafür bedarf es mehr politischer Unterstützung
In Schwellen- und Entwicklungsländern erreichen Behandlungsprogramme für HIV-Infizierte noch immer viel zu wenige Menschen. Das geht aus einem Bericht von UNAIDS und der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sowie der WHO-Bilanz zum 3 by 5-Programm hervor. Die WHO-Initiative hatte sich in den letzten Jahren zum Ziel gesetzt, „drei“ Millionen AIDS-Kranke bis Ende „2005“ zu behandeln. Doch tatsächlich erhalten weltweit dieses Jahr nur rund eine Million HIV-Infizierte die den Krankheitsverlauf entscheidend verzögernde antiretrovirale Therapie (ART). Die Behandlung verhindert, dass sich das HI-Virus weiter im Körper ausbreitet und stabilisiert das Immunsystem. Für die Kranken verbessert sich dadurch ihre Lebensqualität deutlich. Vielen der behandelten Menschen ermöglicht das wieder ein alltägliches Leben zu führen.
Seit Anfang der 80er Jahre, als der AIDS-Virus identifiziert wurde, infizierten sich 60 Millionen Menschen mit dem Krankheitserreger, von denen 20 Millionen gestorben sind. Dem Bericht von UNAIDS zufolge steckten sich allein 2005 fast 5 Millionen Menschen neu mit HIV an. Bis Ende des Jahres werden 3,1 Millionen an AIDS gestorben sein. 90 % der Menschen mit einer HIV-Infektion leben in Entwicklungsländern. Die meisten von ihnen können nur mit Unterstützung der WHO auf eine wirksame lebensverlängernde Therapie hoffen.
Günstige Medikamente
Auch wenn die WHO weniger als die 3 Millionen Menschen bis Ende 2005 mit „3 by 5“ erreicht, so ist die Organisation damit schon ein gutes Stück weiter vorangekommen. Denn noch vor 2 Jahren erhielten gerade mal 400.000 der annähernd 6 Millionen Menschen im fortgeschrittenen HIV-Stadium die dringend notwendigen antiretroviralen Medikamente. Eine dramatische Unterversorgung, ein globaler Gesundheitsnotstand, wie WHO, UNO und der für die Finanzierung vieler Anti-AIDS-Programme zuständige Global Fund 2003 gemeinsam erklärten.
Die „ 3 by 5“-Initiative soll die Gesundheitsversorgung von AIDS-Kranken deutlich verbessern. Dazu zählt der universelle Zugang zu ART. Die Kombinationsbehandlung mit verschiedenen Medikamenten war in Afrika, Lateinamerika, Asien oder Osteuropa seit ihrer Einführung 1996 nicht nur unerschwinglich. Vielerorts fehlte es auch an medizinischer Infrastruktur und qualifiziertem Per, ganz zu schweigen von finanziellen Ressourcen. Hier verspricht die WHO mit ihrem Programm Abhilfe.
Denn vielen der AIDS-Kranken in ärmeren Ländern könnte heute schon geholfen werden, sind doch die Kosten für eine Behandlung mittlerweile dramatisch gesunken, wie es in einem Bericht des „Aktionsbündnisses gegen Aids“ heißt. Anfang 2001 kostete die Einstiegstherapie statt 10.000 US-Dollar jährlich nur noch 350 US-Dollar. Erst der Druck der internationalen Öffentlichkeit und nicht zuletzt die Konkurrenz der Generika-Hersteller habe entschieden dazu beigetragen, so das Aktionsbündnis, das die führenden Pharmakonzerne ihre AIDS-Medikamente günstiger anbieten. Generika sind Nachahmerpräparate, die unter Bruch des Patentschutzes, dem die Markenmedikamente unterliegen, produziert werden. Nur so können sich Indien oder Brasilien eine weitreichende Behandlung von AIDS-Patienten überhaupt leisten. Zudem verteilt Brasilien die Medizin kostenlos an jeden, der HIV-positiv gestestet wurde.
Behandlung gibt Hoffnung
Doch anders als in Brasilien erreicht den Großteil der akut behandlungsbedürftigen 6 Millionen HIV-Infizierten keine wirksame medizinische Hilfe. Sie bedürften sofort einer ART-Therapie. Informationen des Aktionsbündnisses zufolge erreichen laufende Programme vor allem Menschen, die in Städten leben und einen relativ gesicherten sozialen Status genießen. Wenn jetzt 1 Million AIDS-Kranke behandelt werden, heißt das auch, dass für viele andere Infizierte eine lebensverlängernde Behandlung in den nächsten Jahren zu spät kommen wird.
Denn wer zum Beispiel in Afrika das Stadium erreicht hat, in dem erste Krankheitssymptome auftreten, habe oft nur noch eine Lebenserwartung von gut einem Jahr, so Johannes Schäfer. Der Arzt arbeitet am Deutschen Institut für die Ärztliche Mission in Tübingen. Trotz der gesunkenen Kosten stellt Schäfer zufolge eine HIV-Behandlung sowohl die Kranken wie auch das Pflegepersonal vor völlig neue Herausforderungen. Bei „3 by 5“ sieht der Mediziner vor allem das Problem, dass man die praktische Umsetzung nicht detailliert vom Schreibtisch der WHO aus planen könne.
In Gebieten ohne reguläre medizinische Versorgung müsste den Betroffenen erst mal klar sein, dass ein HIV-Test sinnvoll ist und welche Chance eine Behandlung ihnen biete. Überzeugungsarbeit allein reiche dafür nicht aus. Vielmehr bedürfe es bei vielen Infizierten erst der Erfahrung, dass eine Therapie helfen kann, wieder ein geregeltes Leben zu führen. Nach Schäfers Erfahrungen in Afrika wächst dann auch bei anderen Betroffenen die Bereitschaft, sich testen zu lassen. „Davon wiederum hängt entscheidend ab, ob Prävention erfolgreich ist“, so der Arzt. Und genauso wichtig wie die Aufklärung der Patienten sei aber die Schulung von einheimischen Pflegern und Ärzten in regionalen Behandlungsstationen und Krankenhäusern, um dauerhaft eine AIDS-Therapie vor Ort zu gewährleisten. Schwierig zu vermitteln sei den Kranken aber auch die unbedingte Therapietreue, denn die Medikamenteneinnahme darf nie vergessen werden. Um so wichtiger ist kostenlose Medizin, „denn Patienten, die ihre Therapie selbst bezahlen müssen, brechen sie häufiger ab“, so Schäfer.
Auch wenn die WHO einräumen muss, dass zu wenige AIDS-Kranke die angestrebte Behandlung erhalten, so gibt es doch auch vielversprechende Fortschritte zu verzeichnen. In Afrika ist es südlich der Sahara gelungen, von Juni bis Dezember 2004 mehr als doppelt so viele HIV-Infizierte zu behandeln. Was in Brasilien bereits gelungen ist, den öffentlichen Gesundheitssektor in die Lage zu versetzen, ART breitenwirksam einzusetzen, ist nun auch in anderen Schwellen- und Entwicklungsländern möglich. Das zeigt zum Beispiel die Arbeit der WHO in Botswana, wo bei den meisten behandelten HIV-Patienten die Viruslast nach sechs Monaten unter die Nachweisgrenze reduziert werden konnte. Auch der Bericht aus einer Township bei Kapstadt stimmt zuversichtlich, wo kaum einer der Patienten die Therapie abgebrochen hat.
Medikamentenpreise gefährden Behandlung
Aber damit ist erst ein Anfang gemacht, und es muss sich noch erweisen, wie das „3 by 5“-Programm sich weiterhin behaupten wird. Der Erfolg der Initiative steht und fällt auch mit den Preisen für AIDS-Medikamente, die die Pharmakonzerne aus den Industriestaaten nach wie vor bestimmen. Und die könnten in den nächsten Jahren mit neu entwickelten Therapien wieder steigen.
Auch nach der Preisreduzierung der letzten Jahre sind längst nicht alle Arzneien in armen Ländern erschwinglich. Ihr Preis bleibt ein ökonomisches Hindernis für die Ausweitung des Behandlungszugangs. Angaben des Aktionsbündnisses gegen AIDS zufolge liegen die tatsächlichen Ausgaben für die von der WHO projektierten Therapien bei durchschnittlich 300 US-Dollar pro Patient und Jahr, während aber bis Ende 2005 nur Kosten in Höhe von jeweils 50 bis 200 US-Dollar eingeplant sind. Schon jetzt rechnet UNAIDS für 2006 und 2007 mit weiteren Finanzierungslücken für die AIDS-Prävention. Geld fehle auch für eine menschwürdige Versorgung der Kranken, wenn nicht bald weitere Mittel von der internationalen Gemeinschaft zugesagt werden.
Deshalb fordert das „Aktionsbündnis gegen AIDS“ die Bundesregierung auf, ihren Beitrag zur Bekämpfung der Epidemie von derzeit 300 Millionen auf 700 Millionen bis 2007 aufzustocken. In seiner aktuellen Kampagne fordert das Anti-AIDS-Bündnis zudem von den Pharmakonzernen, Medikamente zu Produktionskosten in ärmeren Ländern zu verkaufen. Außerdem könnten die Konzerne durch einen Verzicht auf ihre Patente die Produktion von ART-Generika in den Entwicklungsländern ermöglichen. Einstweilen aber schützt das internationale Patentrecht die Pharmakonzerne vor der Nachahmung ihrer Pillen. Auch hier ist die internationale Gemeinschaft gefordert, den Armen weiterhin nicht eine menschenwürdige Behandlung zu versagen.