Meduza: Russlands härtester Angriff auf oppositionelle Medien

Wenn Moskauer Führungskreise dünnhäutig werden, wird es eng für den Journalismus. Symbolbild: Andrey Korzun / CC-BY-SA-4.0

"Unerwünschte Organisation": Russische Behörden wollen wichtigstes Medium Nichteinverstandener mundtot machen. Aktivitäten für Meduza werden illegal.

Zu Beginn der 2010er-Jahre war die russische Onlinezeitung Lenta eines der wichtigsten Medien für Russen, die dem schon damals sehr konservativen Regierungskurs Wladimir Putins und seinem bürokratischen System kritisch gegenüberstanden.

Die klassischen Medien wie TV- oder Radiosender waren bereits davor bis auf sehr wenige Ausnahmen durch Übernahmen regierungsnaher Inhaber und Entlassungen allzu kritischer Redakteure auf Kurs gebracht worden. 2014 wurde dann auch die kritische Lenta-Chefredakteurin Galina Timtschenko entlassen – 84 Mitarbeiter protestierten dagegen, da sie diesen Schritt als Angriff der russischen Behörden auf die Meinungsfreiheit betrachteten. Lenta ist heute in weiten Teilen eine regierungsnahe Publikation, die weiter in Russland existiert.

Gründung im Zuge der Revolte gegen eine Entlassung

Der Kurswechsel ging so schnell, da die meisten damaligen Lenta-Redakteure zusammen mit Timtschenko noch 2014 Meduza gründeten. Aus Angst vor weiteren staatlichen Repressionen wählte die Redaktion einen Sitz im Exil – im lettischen Riga.

Meduza hatte von Anfang an einen großen Einfluss auf die Meinungsbildung unter liberalen, urbanen und vor allem jüngeren Russen – die Zeitung wurde ein Flaggschiff der liberalen Gegenpresse, die damals noch überwiegend in Russland selbst stattfand.

Das wollte auch der kremlkritische Oligarch Chodorkowski nutzen und die Zeitung übernehmen. Dieses Vorhaben scheiterte, da die Redaktion ihm eine Einflussnahme auf die Berichterstattung verweigern wollte – es blieb bei einer Spende.

Meduza expandierte in den folgenden Jahren, gründete Podcasts und eine Videoabteilung. Ihre Macht in den Sozialen Netzwerken ist groß – auf Telegram hat die Zeitung beispielsweise 1,2 Millionen Follower.

Aufgrund ihres Einflusses wurde Meduza in den Folgejahren auch ein Hauptziel staatlich-russischer Maßnahmen. 2021 wurde die Zeitung zum "ausländischen Agenten" erklärt, was eine Kennzeichnungspflicht aller Artikel zur Folge hatte – ein Schicksal, das in den folgenden Jahren nahezu alle oppositionellen Publikationen in Russland traf.

Als nach der Invasion in der Ukraine die Bedingungen für Journalisten in Russland auf einen Schlag nochmals erheblich härter wurden, wurde im März 2022 der Zugriff auf Meduza aus dem russischen Internet gesperrt. Doch die junge, netzaffine Leserschaft der Zeitung wusste sehr gut, wie man per VPN diese Netzsperre umging und so blieb der Einfluss der Zeitung als alternative Informationsquelle weiter groß.

Aktivitäten mit Meduza nun für Russen illegal

Sehr zum Ärger der russischen Regulierungsbehörden, die wohl deswegen jetzt zu ihrem stärksten Repressionsinstrument griffen und Meduza zur unerwünschten Organisation erklärten. Das ist ein Status, den bisher nur generell russlandkritische Vereinigungen haben – etwa das deutsche Zentrum Liberale Moderne, das einen großen Anteil an der Entstehung des offensiven Russlandkurses der Grünen hat.

Damit wird in Russland die Verbreitung von Links zu Meduza ebenso wie der Repost von Social-Media-Beiträgen illegal. Die Zeitung empfiehlt Inlandsrussen selbst, solche in Sozialen Medien zu löschen. Weiter ist es verboten, Meduza Geld zu spenden oder sich an Aktivitäten von Meduza zu beteiligen.

Gerade diese Beteiligung ist ein schwammiger Begriff, denn niemand weiß genau, ob damit schon ein Interview mit Meduza gemeint sein kann oder sogar die Benutzung eines Merchandise-Artikels wie Aufkleber. Das Ziel ist dieses Mal endgültig, die Zeitung mundtot zu machen.

Die Redaktion hat bereits erklärt, ihre Arbeit dennoch fortsetzen zu wollen, obwohl sie sich des Ernstes der Lage bewusst ist.

Ich würde jetzt gerne sagen, wir haben keine Angst und uns schert das nicht. Aber es ist nicht so. Wir haben Angst um unsere Leser. Wir haben Angst um diejenigen, die seit vielen Jahren mit Meduza kooperieren. Wir haben Angst um unsere Liebsten und unsere Freunde. Wir glauben jedoch an das, was wir tun. Wir glauben an die Meinungsfreiheit.

Wir glauben an ein demokratisches Russland (…) Russland wird frei sein. Diejenigen, die in die Hölle kommen sollen, sind schon lange dort.


Erklärung von Meduza am 26. Januar 2023

Große Solidaritätswelle unter Exilrussen

Meduza verweist dabei auf investigative Rechercheportale, die den Status einer unerwünschten Organisation schon haben und dennoch weiter online erscheinen. Noch am Tag der Entscheidung, die zuständigkeitshalber von der russischen Generalstaatsanwaltschaft getroffen wurde, kam es zu zahlreichen Solidaritätsbekundungen mit Meduza durch andere mittlerweile ebenfalls aus Russland geflohenen Medien und einzelnen russischen Journalisten, die bei westlichen Anbietern beschäftigt sind.

So etwa vom TV-Sender Doschd, der 2022 ebenfalls vor russischen Repressionen nach Lettland gezogen war, aber mittlerweile nach neuen Repressionen der Behörden des nun westlichen Gastlandes seinen Sitz in den Niederlanden hat:

Diese Entscheidung der Generalstaatsanwaltschaft bestätigt, was wir bereits wussten: Die russischen Behörden haben die größte Angst vor der Wahrheit und unsere Kollegen von Meduza leisten bei der Verbreitung von Wahrheit an die Russen hervorragende Arbeit. Meduza ist das wichtigste russische Medium.


Erklärung von Doschd bei Telegram am 26. Januar 2023

Die bekannte russische Journalistin und Influencerin Jekaterina Gordejewa, deren YouTube-Channel selbst 1,5 Millionen Follower hat, sieht in dem praktischen Verbot von Meduza sogar ein Zeichen, dass in Russland nicht nur die Freiheit des Journalismus, sondern der Journalismus als Beruf gestorben sei.

Gordejewa war selbst in früheren Jahren bei Meduza beschäftigt, bevor sie sich mit ihrem erfolgreichen Interview-Projekt Tell Gordejewa selbstständig machte. Amnesty International bezeichnete den aktuellen Schritt der russischen Behörden als "feige" und als "verheerenden Schlag für die Medienfreiheit in Russland".

Es bleibt spannend, ob es den russischen Behörden gelingt, mit all der staatlichen Wucht die Macht der ungeliebten Onlinezeitung zu vermindern oder gar zu zerstören. Der Ausgang wird nicht nur eine Bedeutung für Russland haben – denn auch in anderen Staaten sind Medien mit abweichenden Meinungen staatlichen Behörden ein Dorn im Auge. Manchmal sogar in westlichen Ländern oder bei ihren Verbündeten.

Es bleibt zu hoffen, dass unabhängiger Journalismus in Zukunft nicht zwangsweise im Darknet stattfinden muss, in der Nachbarschaft von Drogenhandel und Schmuddelseiten.