"Mehr Geld als kolumbianische Drug-Lords"

Irak: Millionen für eine Geisterarmee

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Der Irak ist gegenwärtig ein surrealistisches Gemälde, vor dem sich die Surrealisten gefürchtet hätten. Eine Geisterarmee soll für die Sicherheit des Landes sorgen und die Voraussetzungen schaffen, um den Besatzern den Abzug zu ermöglichen. Unglaubliche 5, 2 Milliarden Dollar, so die englische Zeitung The Independant gestern, sollen das Verteidigungs- und das Innenministerium der vorgängigen irakischen Regierung unter Premier Allawi ausgegeben haben. Für den Wiederaufbau und die Sicherheit. Der jetzige Innenminister beklagt nun, dass er keine Infrastruktur übernehmen konnte und Teebeutel von zuhause mitnehmen müsse, um seine Gäste zu bewirten.

Über 8000 Tote Iraker in den letzten zehn Monaten durch die Hand derer, die beanspruchen im Interesse des Landes, im Widerstand gegen die Besatzer, zu handeln; ungefähr 1500 davon wurden getötet, seitdem im Irak eine neue, gewählte Regierung im Amt ist: Zahlen, die das irakische Innenministerium im Juni veröffentlicht hat. Die meisten Opfer, bevorzugte Ziele sind die Sicherheitskräfte, Polizisten und Soldaten, bzw. Bewerber für diese Posten.

Auf ihnen ruht vor allem die Hoffnung der größten Truppenkontingente unter den Besatzern. Die USA und Großbritannien wollen ihre Truppen im Irak reduzieren, wie deren politische Vertreter sei Wochen betonen. Bedingung: die irakischen Sicherheitskräfte müssen dazu imstande sein, selbst für Sicherheit und Ordnung im Land zu sorgen. Eine ziemlich absurde Hoffung, zumindest im Augenblick, wenn man sich vor Augen hält, in welchem Zustand die irakische Armee und Polizei in Wirklichkeit ist.

Wir wollen keine Verantwortung übernehmen, wir wollen sie nicht. No way. So wie die Situation ist, werden wir in tausend Jahren nicht dazu bereit sein, Verantwortung zu übernehmen.

Soldat Amar Mana, 27

Die Aussage eines Einzelnen gewiss, aber die Aussage des Mitglieds einer Art Vorzeigetruppe, die der Reporter der Washington Post Anfang Juni besuchte. Dass die Motivation vieler irakischer Soldaten für die Amerikaner oft enttäuschend ist, ist schon länger bekannt. Ebenso die schlechte Ausstattung der irakischen Sicherheitskräfte – kaum gepanzerte Fahrzeuge, das Waffenarsenal begrenzt, die Waffen alt und wenig funktionstüchtig. Erstaunlich ist dies aber doch, wie jüngste Berichte zeigen, angesichts der Geldmittel, die in die entsprechenden Ministerien flossen, um die Situation von Armee und Polizei zu verbessern, nur: genutzt hat es anderen.

In den letzten beiden Jahren konnten Leute im Irak Geld in einer Menge machen, die einen kolumbianischen Drug-Lord in Erstaunen versetzt hätte.

Ungenannter irakischer Politiker

Bezahlt wurde das Geld offensichtlich als Honorar für Soldaten, die nur auf dem Papier existierten, für veraltete, funktionsuntüchtige Hubschrauber aus Polen, für dilettantisch nachgebaute Maschinengewehre, unbrauchbare Fahrzeuge, Kalaschnikow-Gewehre, die schon nach wenigen Minuten nicht mehr funktionierten, etc. Das meiste Geld versickerte nach Informationen der Reporterin der angesehenen amerikanischen Knight-Ridder-Newspapers, Hannah Allam, in einem "massiven Korruptionsnetzwerk, das unter den von Amerika ernannten Supervisors mindestens ein Jahr lang blühte und gedeihte". Mindestens 300 Millionen Dollar nach Angaben amerikanischer und irakischer Militärvertreter.

Zwar hätten einige US-Vertreter vor Ort den Braten gerochen und die irakische Regierung beizeiten vor solchen Verfehlungen gewarnt, doch als die Summe von 300 Millionen Dollar vor kurzem bekannt wurde, sei einigen der "Kiefer zum Boden geklappt".

Mehr als 40 fragwürdige Verträge würden jetzt untersucht, die irakischen Politikern und deren ausländische Geschäftsfreunden dazu verholfen haben, den Großteil der Summe in die eigenen Taschen zu stecken. Zwar hätten US-Vertreter nach Bremers Machttransfer nicht mehr das letzte Wort bei Geschäften gehabt, die irakische Politiker – in vielen Fällen dieselben, die schon zu Bremers Zeiten in Amt und Würden waren – getätigt hätten, dennoch: "Americans still ran the show behind the scenes", beteuern irakische Beamte, die in den maßgeblichen Ministerien zu dieser Zeit arbeiteten. Dass die US-Berater des irakischen Verteidigungsministeriums, die dort tägliche Briefings abgehalten hätten, nichts von diesen Vorgängen mitbekommen haben, sei nicht plausibel.

In einer surrealen Welt vielleicht doch, denn, so ein ranghoher US-Militärvertreter, anonym natürlich, um in laufende Ermittlungen nicht einzugreifen:

It seems hard to understand to an outsider that this stuff could go on under our noses and Americans wouldn't know anything about it. But, clearly, we didn't know everything.