Mehr Pixel für die virtuelle Stadt
Damit Second Life nicht länger einer Geisterstadt ähnelt, suchte der Wettbewerb "Reinventing the Virtual City" neue Impulse, um den Avataren Beine zu machen
Jetzt hat das Schrumpfen auch die virtuelle Welt erreicht. Nach dem die mediale Aufmerksamkeit für einen Run auf Second Life sorgte, ließen viele User nach einer Stippvisite in der zweiten Welt ihren Avatar einfach wieder in der Ecke stehen (Die zweite Welt ist noch eine Geisterstadt). Schätzungsweise 8 bis 9 Millionen dieser virtuellen Stellvertreter bevölkern die Scheinwelt schon. Die Mehrzahl aber taucht nur in der Statistik als Karteileichen auf. Dass so viele Avatare untätig bleiben, deutet auf ein großes Desinteresse ihrer Nutzer und deren schnelle Abkehr vom Metaversum hin. Über die Gründe wird viel spekuliert. Sicherlich produziert Second Life Frust und Langeweile für denjenigen, dem es nicht gelingt sich schnell in die komplizierte Bedienung und komplexe Handlungsweise seines Avatars einzufuchsen.
So schrumpfte allen Wachstumsprognosen zum Trotz die virtuelle Community zusammen auf einen Kreis von Insidern. Dass aber auch im Schrumpfen eine Chance liegt, zeigte schon das Projekt Shrinking Cities für die reale Welt. Sozusagen als Fortsetzung ihrer Studien lud die Initiative um den Architekten Philipp Oswalt zusammen mit der Zeitschrift archplus im Sommer zu dem Wettbewerb „Die virtuelle Stadt neu denken“ ein, dessen Ergebnisse jetzt vorliegen.
Im Wandel von Second Life sehen die Veranstalter die Chance, nach neuen künstlerischen Konzepten und räumlichen Netzwerken zu suchen, die es erlauben, das Potential der virtuellen Welt besser auszuschöpfen und zu nutzen. Von den 43 Beiträgen werden die prämierten Ideen in einer Ausstellung im Deutschen Architekturmuseum Frankfurt präsentiert.
„Uns geht es aber nicht darum, Second Life zu retten. Uns interessierte das Phänomen des Schrumpfens in einem Bereich, der ja bisher von Wachstum und enormen Hoffnungen gespeist war“, sagt Oswalt. Gründe für das zurückgehende Interesse an der zweiten Welt diskutieren die Autoren der Wettbewerbsbeiträge viele. „Ein Großteil der Arbeiten thematisiert eine gefühlte Leere und mangelnde Aktivitäten, die mit einer mangelhaften räumlichen Organisation in Verbindung gebracht werden“, fasst Oswalt die Ergebnisse zusammen.
Städtebauliche Verslumung in Second Life
Nahezu alle Einsendungen hätten die "Zersiedelung" der virtuellen Welt als Hauptproblem erkannt, ergänzt Sven Stillich. Der Stern-Redakteur und Autor eines Buches über Second Life war Mitglied der Jury.
Interessant fand ich, wie viele der Einreichungen versucht haben, durch architektonische Mittel oder Eingriffe in den Code von "Second Life", Menschen näher zusammenzubringen - oder Menschen und Orte, die für sie von Interesse sein könnten.
Sven Stillich
Die Beobachtung, dass Second Life mehr einer Wüste gleicht, in der meist keine urbane Kultur entsteht, ist ein schon lange beklagtes und das wohl offensichtlichste Phänomen, an dem eine Erneuerung der Web-Stadt ansetzen muss.
Von einer „städtebaulichen Verslumung“ spricht sogar Florian Schmidt, der für sein Konzept einer „Semantischen Tektonik“ mit dem ersten Preis ausgezeichnet wurde. Allerdings widerspricht der Autor in seinem Beitrag der These vom Schrumpfen des Metaversums. Second Life schrumpfe nicht, sondern wachse weiter, wenn auch die Wachstumskurve inzwischen nicht mehr exponentiell, sondern eher linear verlaufe. Wichtiger als die Gesamtzahl der Anmeldungen bei Second Life sei die Anzahl der „concurrent user“, derjenigen also, die zu einem gegebenen Zeitpunkt gleichzeitig die Plattform nutzen. Und die wachse weiter. „Diese Zahl liegt derzeit bei etwa 45.000 und ist damit doppelt so hoch wie zu Zeiten des unreflektierten medialen Hypes im Frühjahr 2007“, schreibt Schmidt. Freilich kann die Zahl der „concurrent user“ auch als ein Beleg dafür gelesen werden, dass sich Second Life zu einer sozialen Nische entwickelt hat.
Florian Schmidts These für eine Erneuerung des Second Life: Für eine urbane Lebensweise fehle es an Verbindungen zwischen den einzelnen, isoliert und weit verstreut im virtuellen Niemandsland liegenden Orten, auf denen sich die Avatare bewegen könnten.
Wesentlich für das Web 3D, und uns aus der physischen Welt zutiefst vertraut, ist das Prinzip von Nähe und Entfernung. Es geht darum, zu flanieren, sich treiben zu lassen und auf diese Weise Dinge zu entdecken, nach denen man nicht explizit gesucht hat. Da aber in Second Life sinnvolle Fortbewegung bisher ausschließlich über das Teleportieren möglich ist, spielt auch hier die räumliche Nähe zwischen zwei Orten keine Rolle mehr. Die große Stärke und Innovation des Web 3D kommt nicht zu Geltung. Der Flaneur läuft gegen die Wand.
Florian Schmidt
Möglichen Verbindungen wie „Straßen“ stünden die Eigentumsverhältnisse im Second Life entgegen, wo alles Land in privater Hand ist. Die „semantische Tektonik“ zeigt eine denkbare Lösung auf. Das Konzept soll es möglich machen, den Raum im Second Life nicht mehr statisch und zufällig, sondern dynamisch und gerichtet zu ordnen.
Die verstreuten, kleinen Inseln, aus der die virtuelle Welt besteht, sollten nicht mehr fest verankert sein, sondern wie die tektonischen Platten der Erde in Bewegung bleiben. Nur ein Baustein in den vielschichtigen Überlegungen des Autors, der auch die verbesserte Suche nach Orten als eine Voraussetzung für ein lebendigeres Second Life vorschlägt. Entsprechend einem Ranking, das die Bewohner selbst durch eingegebene Schlagworte beeinflussen, ließen sich die Platten in Bewegung setzen. Die Landmassen könnten sich um bestimmte Kernthemen anordnen und so die Wege abkürzen und durch ihre Nähe zueinander die Orientierung erleichtern. Vorstellbar scheinen so spontane Kommunikation und Begegnungen an Orten, deren Inhalte augenfällig in Beziehung stehen.
Driftende Inseln
Natürlich wird diese neue Raumstrategie auch zu Konflikten führen“, schreibt Schmidt in seinem Konzept. „Nicht jeder Bewohner wird damit einverstanden sein, wenn sein Eiland plötzlich in Richtung des Erotik-Pols abdriftet, nur weil der Nachbar eine Vorliebe für Lack und Leder hat
Florian Schmidt
Vieles ist für Florian Schmidt denkbar im Second Life . Und statt nur von Scholle zu Scholle zu hopsen, könnten die Bewohner doch gleich auf Hausbooten zwischen den Inseln unterwegs sein. Im Unterschied zu den tektonischen Verschiebungen, die sie nur indirekt beeinflussen könnten, könnten die Wasserfahrzeuge willentlich gesteuert werden um in der näheren Umgebung von einem Punkt zum anderen zu kommen.
Die Frage der Navigation und Organisation beschäftigt auch die Autoren anderer Wettbewerbsbeiträge. Mit einem „Life at the top“ (Richard Brown) in virtuellen Höhen böte sich vielleicht tatsächlich ein bessere Orientierung im Second Life und eine weitere Möglichkeit, Nähe zu schaffen. Die Inseln könnten nicht nebeneinander angeordnet werden, sondern als Plattformen übereinander. Während sich oben die innovative Szene trifft, stößt man in den Untergeschossen allenfalls auf mittelmäßige Angebote.
Schöner reisen als mit der Teleportation lässt sich vielleicht mit einer Art U-Bahnsystem im „Over/Underground des Second Life“ (Mathew Pilling). Wo auch immer sich die Avatare mit neu konstruierten Vehikeln bewegen würden, die ihre Mobilität erleichtern, zum Bau von Wegen müsste aber privater Grund zur Verfügung stehen. Aber wer entscheidet darüber, was und wie gebaut wird? Die Frage der Verteilung von Macht in der zweiten Welt, die für die Umsetzung der Wettbewerbsideen entscheidend sein dürfte, bleibt bei den Beiträgen weitestgehend unbeantwortet.
Eine mögliche Alternative zeigt das Projekt Ville Spatiale auf, freilich für ein abgegrenztes Gebiet in der zweiten Welt. 30 Einwohner haben sich auf einer Parzelle eingerichtet, die sie gemeinsamen bebauen. Sie greifen dafür auf die Visionen von Yona Friedman von einer über mehrere Ebenen von den Bewohnern selbst gebauten Stadt zurück. „Mit dem Projekt "Ville Spatiale" - autorisiert und beobachtet von Yona Friedman - verknüpfen wir zwei hervorragende Möglichkeiten von SL, nämlich erstens etwas in 3D und zweitens so etwas wie eine soziale Community aufzubauen“, sagt der Initiator Stephan Lorenz.
Noch ist der Ausgang des Experiments völlig offen. Aber nach der Selbstdarstellung durch Lorenz kostet das Projekt nicht nur viel Zeit und echtes Geld. „Es wird sehr viel diskutiert. Bauten wandeln sich, Events werden organisiert, internationale Begegnungen finden statt, Freundschaften entstehen. Kultur wird produziert, Mehrwert geschaffen. Architektur ausprobiert, Blödsinn gemacht.“ Und Lorenz, der die Insel privat finanziert, scheint auch ein Optimist zu sein, wenn er an die Zukunft von Second Life denkt. „Es wächst, wenn auch seit Monaten sehr langsam.“
Die Ergebnisse des Wettbewerbs sind im Deutschen Architekturmuseum im Rahmen der Ausstellung „Schrumpfende Städte Neun: Stadtideen“ bis zum 17. Februar zu sehen.