Mehr Verständnis für die Medien durch Rollentausch?
Politiker und Journalisten tauschten die Plätze
Was lernt Bundesfinanzminister Hans Eichel, wenn er bei der Bildzeitung über den neuen Busen der Ex-Ehefrau von Boris Becker spekuliert? Oder was nimmt das allgegenwärtige Mediengesicht Guido Westerwelle mit in den politischen Alltag, wenn er mitten in der Nacht ein paar Nachrichten für SAT 1 vorliest? Umgekehrt kommt ein Horrorgefühl auf, wenn der Chef der Bildzeitung Platz im Bundesfinanzministerium nimmt. Kann so wirklich mehr Verständnis zwischen Politik und Medien geweckt werden? Eher werden die schon bestehenden engen Beziehungen weiter ausgebaut, denn Politik und Medien bedingen sich gegenseitig. So mussten auch beide Seiten heftige Kritik seitens des Bundespräsidenten Rau einstecken: Die Politiker mit ihrem Drang nach Unterhaltungswert, die Medien mit der Selektion ihrer Berichterstattung nach Auflage und Quote.
Hans Eichel hat mal in einer Schülerzeitung in Kassel mitgearbeitet. Von daher soll es für ihn keine große Umstellung gewesen sein, als er im Rahmen der Aktion "Rollentausch" der Berliner Werkstatt Deutschland auf dem Chefsessel der Bildzeitung Platz nahm. Ganz souverän soll er bei der Platzierung der Story über den neuen Busen von Barbara Becker mitgewirkt haben. Besonders viel gelernt haben kann er bei seinem knapp dreistündigen Besuch nicht, denn außer der Teilnahme an einer Konferenz und der Auswahl einiger Bilder hat Hans Eichel hauptsächlich zugehört.
Nach dieser Pflichtvisite in der Hamburger Bild-Redaktion düste er schnell wieder zu den wesentlichen Aufgaben eines Finanzministers und überließ es der Bild, die Titelzeile mit Gottschalks Millionenspende für den Osten oder dem angeblichen RAF-Geldtransporterüberfall zu schmücken. Schon im Vorfeld hatte Eichel gesagt: "Ich werde nicht versuchen, in das Blatt einzugreifen." Damit ließ er die einmalige Chance verstreichen, aus der Bild zumindest für einen Tag eine Zeitung zu machen.
Guido Westerwelle tauschte seinen Platz mit dem SAT 1-Chefredakteur Jörg Howe und nahm erst an einer Konferenz der Nachrichtensendung "Die Nacht" teil, die er nach Mitternacht schließlich als Co-Moderator mitgestaltete. In erster Linie hatte er Texte abzulesen und durch die Sendung zu führen, was ihm auch halbwegs gelang. Besonders schwer wird Westerwelle dieser Rollentausch nicht gefallen sein, denn schließlich gibt es kaum eine Kamera, in die er nicht hineinschaut. Der Medienprofi Westerwelle weiß recht genau, wie er sich ins Bild rücken kann, um überall präsent zu sein und sich ins Gespräch zu bringen. So scheute sich auch nicht, bei den Bewohnern im Big Brother-Container aufzutauchen und ihnen eine politische Diskussion aufzuzwingen.
An der Rollentauschaktion ebenfalls beteiligt waren der hessische Ministerpräsident Roland Koch im Tausch mit Focus-Chef Helmut Markwort sowie der parteilose Bundeswirtschaftsminister Werner Müller, der bei der Illustrierten "Max" vorbeischaute. Grünen-Parteichef Fritz Kuhn war Gast beim Bayerischen Fernsehen, während Chefredakteur Sigmund Gottlieb an den Sitzungen des Parteivorstands der Grünen teilnahm. Naheliegenderweise hätte der Grüne lieber die "taz" besucht, aber das wäre wohl zu einfach gewesen. Der CDU/CSU-Fraktionschef Friedrich Merz wiederum übernahm die Rolle des Chefredakteurs beim Berliner "Tagesspiegel", Giovanni di Lorenzo.
Journalisten als Politiker?
Focus-Chef Markwort hatte dabei das Glück, das Oberhaupt der Tibeter, den Dalai Lama, empfangen zu dürfen, als er in die Rolle des Ministerpräsidenten schlüpfte. Auf dem Rückweg hat er auch schnell noch einen Auftrag vergeben, denn es müsse doch endlich die Ursache für die vielen Funklöcher gefunden werden. Artig sagte der Wirtschaftsminister Dieter Posch eine Überprüfung zu.
Unerträglich wäre wohl für viele der Gedanke, wenn von einem Tag auf den anderen der Bild-Chef der Bundesfinanzminister wäre. Doch auch hier fand der symbolische Rollentausch statt. Scherzhaft begrüßte der amtierende Minister Eichel den Kollegen Diekmann mit der Bemerkung: "Ich hab vorsichtshalber alle Konten sperren lassen!" Der Bild-Chef hat auch gleich eine Überraschung parat und zieht zwei Gesetzentwürfe aus der Tasche: "Der Bundestag möge beschließen ... weitere goldene DM-Gedenkmünzen zu prägen und eine Steuer-Offensive mit einfachen steuerlichen Regelungen zu starten."
Ziel dieser Übung für alle Beteiligten war, mehr Verständnis für die Arbeitsweise des anderen zu gewinnen. Für die Initiatoren des Vereins "Werkstatt Deutschland" lag es auf der Hand, dass dies am besten in einem praktischen Alltagstest zu erfahren sei. "Wie sieht ein konstruktives, aber trotzdem auf kritischer Distanz beruhendes Miteinander von Medien und Politik aus?" war ein Diskussionsansatz für die Abschlussveranstaltung im Berliner Abgeordnetenhaus.
Nur eine Aktion für die Medien
Wenn man die einzelnen Berichte zu dem jeweiligen Rollentausch liest, klingt die Aktion sehr verspielt und es bleibt die Frage, was dieser Pseudo-Arbeitstag außer einem Medienrummel gebracht hat. Offenbart wird nur die gegenseitige Abhängigkeit voneinander. Nur wer von den Politikern positiv in den Medien dargestellt wird, hat auch die besten Chancen für eine Wiederwahl. So mochte sich auch kein Politiker der Beteiligung an dieser Rollenposse entziehen, auch wenn es mit manch Unbehagen geschehen sein mag.
Auf den Homepages der teilnehmenden Politikern wird deutlich, dass ihnen alles eher peinlich ist. Auf allen persönlichen Sites und auch auf den Seiten der beteiligten Ministerien findet sich nicht einmal eine Presseerklärung.
Gar nicht unangenehm ist den Journalisten die Aktion Rollentausch. Als Medienvertreter schlachten sie den selbst inszenierten Rummel aus und bringen alle einschlägige Berichte. Ob durch die spielerische Aktion wirklich ein konstruktiv-kritisches Miteinander von Politik und Medien zu fördern sein wird, erweist sich als fraglich. Jede Partei wird weiterhin die gleiche Rolle spielen.
Kritik von oberster Stelle
Die Abschlussveranstaltung nahm Bundespräsident Johannes Rau zum Anlass, seinen Unmut über Politik als Inszenierung zu äußern. Den Rollentausch als Teil einer "Mediendemokratie" sah Rau eher als Happening an. Immer öfter werde die Politik Teil der Unterhaltung. Der Wert einer Nachricht oder Information orientiere sich nicht mehr an der Wahrheit, sondern an der Attraktivität. So werde Krieg und Gewalt mehr Raum eingeräumt als Frieden und Versöhnung.
Kritische Anmerkungen machte Rau auch zu dem Problem, dass die Medien komplexe Zusammenhänge symbolisch verdichteten. Diese Symbolik lasse dann kaum noch Raum für eine Differenzierung der Inhalte: "Symbole dürfen kein Ersatz für Politik sein." Nach der Wahrnehmung des Bundespräsidenten wird "Politik eher gemacht, damit sie in der Zeitung steht und gesendet wird". Meist trage ein solches Verfahren nicht unbedingt zur Lösung bei.
Dennoch zeigt sich Rau auch noch von einer versöhnlichen Seite und rühmte die Medienlandschaft in Deutschland. Johannes Rau weiß übrigens, wovon er spricht, hatte er sich doch auch mal als Lokalberichterstatter in Wuppertal umgetan. Nun darf man gespannt sein, ob sich nach diesem Rollenspiel die Medienlandschaft ändert und es über Politiker in Zukunft nur noch nette Schlagzeilen zu lesen gibt.