Mehr Waffen schaffen keinen Frieden

Demonstration gegen den Krieg in der Ukraine am 27.2.2022 in Berlin. Bild: Björn, CC BY-NC 2.0

Wer als Politiker ernstgenommen werden will, sollte selbst die Sorgen der Menschen ernstnehmen. Eine Replik auf Friedrich Merz

Lichterketten, Friedensgebete, Ostermärsche sind eine schöne Sache. Auch wir haben heute Morgen mit einer Gruppe von Abgeordneten aus dem deutschen Bundestag und einigen Fraktionen um den Frieden in der Welt gebetet und um das Ende dieses Krieges gebetet. Aber meine Damen und Herren mit Moral allein wird die Welt um uns herum nicht friedlich. Schon gar nicht mit der angeblich besseren Moral, die immer wieder auch in Deutschland vorgetragen wird. Der Ukraine jedenfalls haben gute haben gute Worte nichts genutzt.

Das sagte der CDU-Partei- und Fraktionsvorsitzende Friedrich Merz und großem Beifall der CDU/CSU-Fraktion am 27.2.22 in seiner Rede vor dem Deutschen Bundestag. Ich habe seine Worte als süffisant wahrgenommen.

Seit Langem wurde doch ebenso süffisant gefragt, wo denn nun die Friedensbewegung sei, alle zu alt, nicht mehr existent. Aber siehe da, sie ist lebendig. Hunderttausende waren am selben Tag auf den Straßen. Friedensgebete in allen Kirchen im Land seit Tagen. Ist das lächerlich?

Niemand von den Demonstrierenden und Betenden erklärt, er oder sie habe eine "bessere" Moral. Aber sie alle sind geprägt von den Erfahrungen der Weltkriege – persönlich oder über die Erzählungen ihrer Eltern und Großeltern. Traumatisierungen überdauern Generationen.

Krieg im Donbass (12 Bilder)

Ein Infanteriepanzer in der Nähe der Ruinen des internationalen Flughafens Donezk (2015). Bild: Mstyslav Chernov / CC-BY-SA-4.0

Es gibt ein Recht darauf, dass Friedensgebete und Friedensdemonstrationen ernst genommen zu werden – zumindest von Politikerinnen und Politikern, die selbst ernst genommen werden wollen.

Die Worte von Friedrich Merz kommen für mich herablassend daher. Nach dem Motto: Ihr kleinen Leute auf der Straße habt doch keine Ahnung von der großen Weltpolitik. Aber Leute wie ich haben den Überblick. Wir beten zwar, aber danach machen wir Realpolitik.

Aufrüstung, Wehrpflicht, Männlichkeit?

Ihr mit euren Friedensgebeten seid nett, aber possierlich. Und Realpolitik heißt: Waffen liefern, Bundeswehr aufrüsten, klare Kante zeigen, am besten die Wehrpflicht wieder einführen. Das ist irgendwie männlich und überzeugend. Demonstrieren ist nicht so wirklich ernst zu nehmen.

Jetzt ist dann endlich die Zeit, den naiven Ostermaschierern mit ihren lächerlichen Regenbogenfahnen und Friedenstauben beizubringen, wie es in Wirklichkeit zugeht in der Welt, wie einem Putin klare Kante gezeigt wird.

Für mich sind die Menschen, die sich an Ostermärschen beteiligt haben, auch als sie kleingeredet und lächerlich gemacht wurden, die Tapferen.

Für mich sind die Friedensgebete Kronzeugen einer anderen Welt, in der nicht das Recht der Waffen, sondern die Friedfertigen am Ende überzeugen werden.

Für mich sind Lichterketten ein Zeichen der Liebe und der Hoffnung gegen alle Macht und Gewalt, die sich immer als die Stärkeren fühlen.

Der Volkskammerpräsident Horst Sindermann sagte nach der Friedlichen Revolution in der DDR: "Mit allem haben wir gerechnet, nur nicht mit Kerzen und Gebeten". Das bewegt mich bis heute.

Und deshalb werde ich weiter Kerzen anzünden, an Friedensgebeten und an Friedensdemonstrationen teilnehmen. Und all der Kriegslogik zum Trotz halte ich daran fest, dass mehr Waffen keinen Frieden schaffen.

"Selig sind, die Frieden stiften", sagte einst Jesus. Ich bin überzeugt: Das hat bis heute Gültigkeit.

Dass Aufrüstung und Armeen Frieden schaffen, bezweifle ich aber. Das mag Herr Merz für naiv halten. Aber in einer Demokratie habe ich das Recht auf diese Überzeugung und auch das Recht, sie öffentlich zu äußern, selbstverständlich um den Preis, lächerlich gemacht zu werden.

Margot Käßmann ist evangelisch-lutherische Pfarrerin und Theologin. Von 2009 bis 2010 war sie Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland.