Memetik und Ökonomie
Wie die Information die Wirtschaft nach ihrem Interesse lenkt
Die Information gilt in der Ökonomie immer als etwas, was da ist, an sich aber harmlos ist. Information wird als Wissen verstanden, um etwas anders oder besser zu machen. Wer es hat, hat Vorteile, wer es nicht hat, macht so weiter, wie bisher. Die Information wird von den Wirtschaftswissenschaftlern gehegt und gepflegt, sie ist ihr liebstes Kind, denn wer mehr weiß, kann mehr richtig machen. Das Wissensmanagement ist der Versuch, aus den im Unternehmen vorhandenen Informationen Profite zu machen. Informationen sind nett und ungefährlich.
So die Ansicht vieler Managementtheoretiker und -praktiker. Eine andere, bisher in dem Bereich unbemerkte Richtung, schiebt der Information den schwarzen Peter zu. Information ist böse, und je mehr wir davon haben, desto schlechter geht es uns. Das Naschen von Baum der Erkenntnis war schon im Paradies eine Sünde, warum sollte sich dies geändert haben?
Lange Zeit hat man mit dieser biblischen Botschaft nichts anfangen können, bis Richard Dawkins, ein Zoologe, das Memkonzept erschuf. Er war derjenige, der der Information den eigenen Willen zuschrieb. Eigentlich befasste er sich mit Genen und formulierte Darwins Evolutionstheorie aus einer aufschlussreichen Perspektive neu.
Gene sind Informationen, die auf Aminosäuren gespeichert sind. Sie haben nur den einen Willen und zwar den, zu überleben. Eine Information, die diesen Überlebenswillen nicht hat, verschwindet von der Welt, wenn sich ihre Trägersubstanz durch Materialermüdung auflöst. Eine überlebenswillige Variante muss also permanent Kopien von sich anfertigen, um dem kontinuierlichen Zerfall zuvor zu kommen. Die genetische Information, als eine der ersten Informationen schlechthin auf der Erde, erfand hierzu eine Vielzahl von Mechanismen. Wie auch immer sie funktionieren, ist an dieser Stelle weniger interessant. Wichtig ist, dass diese Information sich Hüllen, also Zellen, schuf, die sich immer wieder teilten und damit die ganze Welt bevölkern konnte. Informationen, die sich nicht eigenständig vervielfältigen konnten, wurden irgendwann verdrängt. Menschen, Tiere und Pflanzen vermehren sich in dem Sinne nur deshalb, damit ihre Erbinformation nicht ausstirbt. Sie ist egoistisch und hat nur ihr eigenes Fortbestehen im Sinn.
Information als ansteckender Virus
Nachdem das Konzept der Information mit dem eigenem Willen einmal geschaffen war, konnte es auch verallgemeinert werden. Dawkins übertrug das Konzept der egoistischen Gene auf alle anderen Informationen, selbst die, die wir in unserem Kopf haben. Meme sind Ideen, Vorstellungen, Rituale, Verhaltensanweisungen oder Gedanken, also alles, was wir an Informationen in unserer geistigen Welt beherbergen und worüber wir kommunizieren. Genau wie genetische Informationseinheiten versuchen auch die Meme zu überleben und andere ihrer Art zu verdrängen.
Brodie, ein ehemaliger Programmierer bei Microsoft, prägte das negative Image der Meme ganz extrem (Die Evolution der Meme). Er bezeichnete sie als Viren oder als Parasiten, die unser Gehirn belagern und den Menschen dazu anregen über sie zu reden, damit ein Anderer nun auch diese Meme hat. Die Information ist ganz im Gegensatz zu anderen Sichtweisen nicht so harmlos, wie es scheint, sie ist eine gefährliche Krankheit. So, wie man sich mit Pocken, Typhus oder Aids anstecken kann, kann man auch Opfer von Modewellen, Managementtrends oder Kultur werden - allerdings mit dem Unterschied, dass es gegen letzteres noch keine zuverlässigen Impfstoffe gibt.
Die Gedanken und Ideen fressen sich eigenständig durch die Gesellschaft, in der Hoffnung noch ein leeres Gehirn zu finden, in dem sie weiterleben können. Genau wie die genetischen Informationen haben die Meme bestimmte Tricks ausdifferenziert um unbemerkt neue Gehirne zu besetzen. Bei Kettenbriefen wird dies deutlich:
"Dies ist ein Kettenbrief, er soll dich glücklich machen, schicke ihn an 10 deiner besten Freunde. Wenn du es unterlässt, wird das Unglück über dich kommen."
Grant erschuf ein memetisches Lexikon, in dem er die einzelnen Komponenten analysierte. Zuerst verkauft das Mem dem potenziellen Träger seine eigentlich nicht existenten Vorzüge. Dann versucht es sich von dort aus weiter zu vermehren. Dies scheint zu trivial, aber fast jedes Glaubenssystem benutzt diese Mechanismen um in Raum und Zeit zu überleben. Auf der einen Seite spricht es vom Paradies im Himmel, auf der anderen Seite vom Missionieren. Wer sich dem entzieht, so sagt es uns, wird in der Hölle schmoren. Je erfolgreicher eine Idee, desto geschickter ihre Tricks um sich durchzusetzen.
Nicht die Menschen, die Produkte sind die Träger der wirtschaftlichen Interessen
Das egoistische und böswillige an diesen Informationsparasiten wurde bislang aus ökonomischer Perspektive nicht erkannt. Die Geldgier der Manager verleitet sie in eine grenzenlose Naivität. Sie sehen nur die versprochenen Vorteile der Information und übersehen das eigene Interesse ihres Schmiermittels. Die Meme sind die Parasiten im System, die die Menschen nach ihrer Pfeife tanzen lassen. Die Ökonomie ist auf der Grundlage des gesunden Menschenverstandes konzipiert, und kommt logischerweise zu dem Schluss, dass da wo keine Menschen sind, auch keine Interessen sein können.
Im Rahmen eines memetischen Verständnisses von Wirtschaft ist das anders. Nicht die Menschen versuchen in ihren Verträgen ihre Interessen zu verwirklichen, sondern die Produkte, über die sie den Vertrag schließen, veranlassen sie dazu, den Vertrag zu schließen. Beim Autokauf sind also nicht mehr der Gebrauchtwagenhändler und der ahnungslose Käufer die zentralen Akteure, sondern der rostige Gebrauchtwagen wird zum entscheidenden Faktor. Es ist nicht mehr so, dass sich Menschen dazu entschließen Häuser zu bauen, sondern dass die Häuser durch ihre Existenz ihre Vorteile über den Schutz vor Witterungseinflüssen und Kriminalität kommunizieren und sich damit weitervermehren.
Die Menschheit wird immer wieder mit neuen Memen überschwemmt. Bedürfnisse für hochhackige Schuhe, tiefergelegte Autos, Anzüge mit Krawatten oder rotlackierte Fingernägel sind im Grunde nutzlos, schaffen es aber immer wieder eine logische Rechtfertigung für ihre Existenz zu finden. Alle diese kulturellen Errungenschaften sind letztendlich nur für sich selber gut, werden vom Menschen aber ökonomisch am Leben gehalten.
Die Meme verschieben Angebots- und Nachfragerelationen dahin, wo sie nach vernünftiger Überlegung gar nicht sein dürften
Viele Hersteller von Modeartikeln sind froh, dass es solche Meme gibt, denn nichts ist besser, als wenn ein möglichst einfaches Produkt ohne jegliche Mithilfe einen reißenden Absatz findet. So wie sich die Einen über die Meme freuen, fluchen Andere über sie. Es kommt immer wieder vor, dass sich unscheinbare Ereignisse zu verhängnisvollen Tatsachen auswachsen. Die Information, irgendwo in Schweden sei ein Auto umgekippt, vermehrte sich mit hoher Geschwindigkeit in den Medien, so dass Mercedes bei der Einführung seiner neuen A-Klasse eine klassische Bauchlandung erlebte.
Auch eine kleine Anzahl von Demonstranten auf der Bohrinsel Brent Spar produzierten in der Welt so viele Meme, dass Shell innerhalb weniger Wochen einen Umsatzeinbruch von über 30% hinnehmen musste. Von anderen Umweltskandalen wird nicht mehr geredet. Bayer musste wegen einigen tragischen Ereignissen, zwei gerade eingeführte Produkte vom Markt nehmen und kam damit liquiditätstechnisch ins Schleudern. Lipobay vernichtete einige Menschenleben, die Meme dazu ein Vielfaches an Arbeitsplätzen. Bei der Betrachtung der tatsächlichen Infektionsraten, kann gesagt werden, dass das HIV-Virus eher in den menschlichen Köpfen, als im menschlichen Blut zirkuliert.
Was auch immer die Meme für ein Unwesen treiben, oft werden ökonomische Größen dadurch beeinflusst. Menschen kaufen plötzlich etwas, oder kaufen etwas plötzlich nicht mehr. Autofahrer kaufen kein Benzin mehr an der einen Tankstelle, obwohl das Benzin einer anderen Tankstelle genauso viele Umweltschäden in der Produktion verursacht hat. Der Markt für Kondome wäre bestimmt nicht so groß, wenn nur die Leute sie kaufen würden, die sie auch wirklich brauchen. Die Meme leben in unserer Unsicherheit, in den Nischen unseres Geistes und verschieben Angebots- und Nachfragerelationen dahin, wo sie nach vernünftiger Überlegung gar nicht sein dürften.
Sehr prägnant ist es mit Produkten, die nur aus Information bestehen. Software und Musik im MP3-Format stellt ihre Schöpfer vor ein ganz besonderes Problem. Sie haben genau wie Meme den egoistischen Wahn sich zu vermehren, was dabei mit ihrem Schöpfer passiert, ist ihnen dann egal. Wenn ein solches Produkt einmal das Fabrikgelände verlassen hat, befinden sich in kürzester Zeit Tausende von Kopien im Umlauf. Das Produkt übernimmt selbst die Marketing- oder Vertriebsfunktion und besetzt eigenständig weite Bevölkerungsschichten. Das herstellende Unternehmen muss jetzt sehen, wie es an die Erlöse kommt.
Sind für das irrationale Handeln der Menschen die Meme Schuld?
Die Memetik löst in der Ökonomie einen der zentralen Widersprüche auf. Wirtschaftliche Entscheidungen werden nach der Theorie auf Grund von Rationalität getroffen. Der Mensch versucht seinen Nutzen zu maximieren, handelt also so, dass er zwischen Aufwand und Ertrag bzw. Input und Output ein für sich günstiges Verhältnis realisiert.
Viele haben diese Konzept bisher kritisiert, da es in vielen Fällen gar nicht mit der Realität übereinstimmt. Meistens wird argumentiert, der Mensch kann nicht über alle entscheidungsrelevanten Informationen verfügen, die er für eine rationale Entscheidung benötigt. Das stimmt, er verfügt nur über die Information, die ihn bis zum Entscheidungszeitpunkt besiedelt hat. Er entscheidet auf Grund der Meme, die so geschickt und egoistisch waren, sich in seinem Kopf niederzulassen. Damit sie überleben, geben sie dem Menschen eine Realität vor, die ihn so entscheiden lässt, dass die Meme sich weiter vermehren können.
Anders formuliert: Irrational handeln heißt, dass der Mensch offensichtlich gegen seinen Willen handelt, denn wenn er nach seinem Willen oder nach seinem Interesse handeln würde, würde er rational handeln. Wenn ein Mensch nun irrational handelt, manifestiert sich in seinem Tun das Vermehrungsinteresse der Meme.
Die Ökonomie ist nun neben dem Interesse der Menschen auch mit dem Interesse der Meme konfrontiert. Das erscheint auf den ersten Blick problematisch, weil die Meme nicht sichtbar sind, aber trotzdem ihre Finger im Spiel haben sollen. Auf den zweiten Blick hat diese Wissenschaft schon ihre Tradition mit Elementen, die transzendental über den Dingen schweben. Der Auktionator oder die unsichtbare Hand bei Adam Smith sind genauso wirkungsvoll wie das virtuelle und egoistische Interesse der Meme.