Mensch und Maschine
Wie sehr das Vertrauen in Technik und IT unser Leben bestimmt. Bis sie ihren Dienst versagt. Ein Erfahrungsbericht
Gelegentlich erzählt das Leben Geschichten, die noch lange nachwirken. Immer häufiger haben diese mit neuen Technologien zu tun, vor allem, wenn tagein, tagaus davon ausgegangen wird, dass alles funktioniert.
Das Vertrauen in und die Ansprüche an die moderne Technik begleiten uns nun einmal unausweichlich. Das gilt etwa für den morgendlichen Wecker, auch wenn er in vielen Fällen noch durchaus traditionell klingelt. Er wird auf je eigene Weise zum Verstummen gebracht und gibt nicht automatisch oder mechanisch bereits ein Signal an eine andere Technik weiter, wie wir es etwa aus der Anfangsszene des Spielfilms Zurück in die Zukunft kennen.
Das Drehbuch dachte 1985 bereits weiter und konstruierte dadurch ausgelöste Ablaufschritte - heute würden wir vielleicht von Algorithmen sprechen -, die mehr oder weniger erfolgreich für Mensch und Tier Vorbereitungen trafen. Die amüsante Zeitreise dieses Films erinnert zudem an viele "realistische Fantasien". Denn heute soll ja vieles automatisch gehen.
In Die Welt in 100 Jahren ließ der damalige Herausgeber Arthur Brehmer im Jahr 1910 ein Jahrhundert nach vorne blicken. Natürlich kann aus heutiger Sicht gesagt werden, dass bei solche einer Prognose auch Zufallstreffer dabei sein können, die - so die Formulierung Goethes - "aus der Lostrommel der Zukunft" gezogen werden.
Dazu gehört ohne Zweifel der "Klapp-auf-klapp-zu-Kommunikator", ein frühes "Telephon in der Westentasche". Für viele ist dieses Gerät heute zu einer Erweiterung des Körpers geworden. Es ist gerade aktuell von einer bedeutsamen Identitätsrelevanz, die vergesslichen Menschen schnell bewusst wird.
Wer im Jahr 2021 von Mediennutzung spricht, der weiß: Es geht nicht mehr nur um das Hören, Sehen oder Lesen, nicht nur um Recherchieren und Aufzeichnen. Es ist ein ewiges Ordnen, Sammeln, Löschen, Rekonfigurieren usw., damit sich die eigene Welt nicht irgendwann den eigenen Bedürfnissen verschließt und trickreiche Konstruktionen von Passwörtern und anderen Zugangscodes in einem selbstgebauten Labyrinth enden.
Wenn die Technik spürbar wird
Aber das ist schon eine viel zu komplizierte Geschichte, die hier gar nicht weitererzählt werden soll. Die ersten Minuten des Morgens haben selbstverständlich keinen exakten und festgelegten Algorithmus.
Bis man das Haus verlässt, geschieht ja noch mehr. Der Kaffeeautomat gehorcht an diesem Morgen wie immer und das Radio klingt auch sehr vertraut. Die Moderatorinnen und Moderatoren begrüßen ihr Radioland und fungieren als Muntermacher. Dann, mitten im Satz, Pause. Die erste Unterbrechung beunruhigt noch nicht wirklich.
Plötzlich ist die Stimme oder die Musik auch wieder zurück. Aber bereits wenige Sekunden später verabschiedet sie sich erneut, dann ausgerechnet mitten in einem besonders gern gehörten Lied. Also scheint da etwas nicht zu stimmen. Aber vielleicht liegt es ja auch nur an diesem bestimmten Gerät.
Daher setzt man den Morgen fort, begibt sich ins Bad und startet den Dialog mit dem nächsten Wiedergabegerät. Es antwortet zunächst vertraut, signalisiert aber wenig später, dass auch hier offenbar Störsignale zugenommen haben. Irgendwann wurde einmal klug festgestellt: "Technik ist perfekt, wenn man sie gar nicht spürt."
Diese Beobachtung führt sogleich an die Wurzeln der Kommunikationstheorie. Claude Shannon und Warren Weaver entwickelten z. B. eine mathematische Theorie der Kommunikation.
Zwischen Sender und Empfänger hatte man seinerzeit in das Modell einen Kasten gesetzt und diesen mit "Noise" beschrieben. Selbstverständlich gab es diese Störsignale auch im analogen Zeitalter. Ausfälle und Störungen waren seinerzeit auch manchmal für sich genommen noch laut zu vernehmen und dauerten länger, als es einem lieb war.
Die Geduld mit dem digitalen "Störfeuer" ist erstaunlich. Da ist immer noch die Hoffnung auf eine unsichtbare Hand, die das Ganze unaufgefordert im Sinne einer Fremd- oder Ferndiagnose wieder richtet.
Irgendwo stand doch geschrieben, dass, wenn die Internetverbindung nicht funktioniert, Empfehlungen des Anbieters als Eingrenzung der Diagnose umgesetzt werden sollen. Also: Stecker raus, lange warten, Stecker wieder rein. Oder: Verbindungskabel ab- und danach wieder festschrauben. Wenn es danach immer noch nicht will, kommt der kluge Hinweis: Man solle ins Internet gehen und einen Link aktivieren.
Wut und Warteschlange
Doch irgendwann, wenn all dies nicht mehr fruchtet, kommt die große Stunde der Wahrheit: der Anruf beim Provider. Denn der kann ja qua Namen sowohl voraussehen als auch versorgen. In den Anfangsjahren fühlte es sich noch wie ein Gespräch mit einem wirklichen Wesen an, das wochenlang auf die schlechte Laune eines unzufriedenen Kunden vorbereitet wurde.
Mittlerweile nimmt die Gewissheit zu, eine künstlich erzeugte Stimme mit vielen Wiederholungen und mehr oder weniger einfühlsamen Worten zu vernehmen, die das Gegenüber durch diese Welt des undurchsichtigen Maschinenraums zu führen versucht. Aber schnell steigt der Eindruck, dass die Dummheit definitiv außerhalb des Maschinenraums zu suchen ist.
Es gibt Ausnahmen. Aber irgendwann ergreift den Bittsteller die Ungeduld, er fällt der stets freundlich bleibenden Stimme ins Wort, während der Algorithmus im Hintergrund derweil überlegt, welcher Aggressionsfetzen weiterverarbeitet werden soll.
Wer das aushält und die Hoffnung nicht verliert, wird sodann mit Musik belohnt, die abends in Bars oder Clubs die Gäste zu sitzenden Flaneuren macht, zu freischwebenden Wesen, die, damit sie nicht abheben, sich an einem Cocktail festhalten.
Jetzt geht es eigentlich darum, nicht einzuschlafen. Es ist immer eine lange Zeit. Was danach kommt, ist Glückssache. Meistens endet dieser "Reparatur- oder Wartungsmodus" mit der Einsicht, etwas austauschen zu müssen. Das gilt bislang noch für die Technik.
Ein Lernvorgang mit zahlreichen Einsichten bleibt es allemal. Ian McEwan schrieb in "Maschinen wie ich", ein Roman über das Zusammenleben mit lebensechten Androiden: "In der Politik ist eine halbe Stunde eine lange Zeit."
Für den hier beschriebenen Fall müsste noch etwas nachgelegt werden. An einer Stelle legt der Autor Alan Turing, nach dem der berühmte Turing-Test benannt ist, den Satz in den Mund: "Diese Intelligenz ist nicht perfekt. Das wird sie auch nie sein können, ebenso wenig wie unsere."