Mensch, wo ist dein Bruder Affe?

Genetiker, Ethik und Stammzellenforschung bei Affen

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In "Nature" wurde in dieser Woche die Genomstruktur der Schimpansen veröffentlicht. "Science" nimmt diesen Bericht zum Anlass, die Frage zu stellen: "Welche Gene machen uns zum Menschen?".

Zunächst einmal: Das Genom des Schimpansen läßt eine geradezu überraschende Übereinstimmung zu dem menschlichen Chromosomensatzes erkennen. Gleichzeitig wird deutlich, wie die Chromosomen, auch wenn sie nur in 1-2% differieren, erhebliche Veränderungen nach sich ziehen. Tatsächlich sind es Tausende von Genen, die im Chromosomensatz der Schimpansen anders bewertet werden als beim Menschen.

Folglich müssen die Genetiker zugeben, was sich schon im Human Genome Project (HGP) andeutete: Nicht die 20.000-25.000 Gene sind das Entscheidende, sondern die äußere Erscheinungsform. Sei es beim Menschen, sei es beim Schimpansen.

Die Konsequenzen sind vielgestaltig

So hat Alison Jolly aus Großbritannien in seinem Editorial nachgerechnet ("The Last Great Apes?"), dass die Menschenaffen vom Aussterben bedroht sind. 100.000 Schimpansen, dazu 10.000 Zwergschimpansen, die vor allem in der Demokratischen Republik Kongo in freier Wildbahn leben. Dazu kommen noch 100.000 Gorillas und 30.000 Orang-Utas weltweit. Das sind erschreckend wenige Affen auf dieser Welt.

Das "Great Ape Survival Project" (GRASP) dient dem Schutz der Menschenaffen. UNEP (United Nations Environment Programme) und UNESCO (UN Educational, Scientific and Cultural Organization) tun sich zusammen, um die Ausrottung zu verhindern. Die Zahlen machen nämlich deutlich: 240.000 Menschenaffen stehen den Homo sapiens mit gegenwärtig 6,5 Milliarden Menschen gegenüber.

Das Überleben der Affen

Die Amerikaner Edwin H. McConkey und Ajit Varki sehen in ihrem "Science"-Beitrag ("Thoughts on the Future of Great Ape Research") eine Reihe von Aufgaben auf die Forscher zukommen:

Dazu gehört das "Museum of Comparative Anthropogeny". Ein Projekt, das die Reaktionen von Schimpansen, Zwergschimpansen, Gorillas und Orang-Utans dokumentiert. Auf diese Weise sollen alle Daten erfaßt und zusammengestellt werden, die sich im Laufe der Zeit gefunden haben und noch finden. Das Museum dient nicht nur der vergleichenden Analyse, sondern kann manche Gerüchte von Tatsachen trennen.

Ferner soll der "Great Ape Conservation Trust" das notwendige Geld heranschaffen. Etwa für die Versorgung der Menschenaffen nach den Regeln der Medizin. Das sind Impfungen oder Aktionen, die dem Schutz der Menschenaffen dienen.

Stammzellenforschung beim Menschenaffen?

Was allerdings weitere Spekulationen nach sich zieht, ist die Stammzellenforschung beim Menschenaffen. Ausgehend von den Erfahrungen beim Menschen soll die ungleich schwierigere Forschung beim Menschenaffen in Gang gesetzt werden. Im Unterschied zum Menschen müssen dazu alle Details zunächst noch erarbeitet werden. Das führende Argument: Trotz der Widerstände beim Menschen könnten auf diese Weise wichtige Erfahrungen gesammelt werden.

Ist es Aufgabe des Menschen, seinem Affenbruder eine Impfung zukommen zu lassen? Und das, obwohl aus finanziellen Gründen Tausende und Abertausende von Kindern nicht geimpft werden können. Soll die ärztliche Versorgung des Schimpansen gesichert werden, während in vielen Ländern die Leistungen von den Krankenkassen zunehmend beschränkt werden?

Andererseits vertreten die Forscher die Ansicht, wonach Mensch und Menschenaffe denselben ethischen Normen unterliegen. Kann deshalb die Stammzellenforschung der Menschenaffen von der des Menschen gelöst werden?

Die Wissenschaftler werden zurückkehren zur Erforschung von Sprache, Kultur und all den Besonderheiten, die bisher in den Hintergrund gedrängt wurden. Auch wenn wir in der Zeit des Genoms leben, müssen wir erkennen, dass es mehr als nur der Gene bedarf, um uns als Menschen zu charakterisieren. Dasselbe gilt für Menschenaffen, die vor 6 und mehr Millionen Jahren eine eigene Linie gebildet haben, und inzwischen als "menschenähnlich" angesehen werden.