Menschen weiterhin der biologischen Evolution unterworfen
Nach einer Analyse des menschlichen Genoms mit einer neuen statistischen Methode zeigte sich, dass zahlreiche Gene der Selektion ausgesetzt sind
Es wäre erstaunlich, wenn die Menschen nicht mehr der biologischen Evolution unterliegen und nurmehr von der kulturellen Evolution bestimmt würden. Nach einer neuen Untersuchung sind in den letzten 5-10.000 Jahren tatsächlich zahlreiche Veränderungen an den Genen durch natürlich Selektion erfolgt. Die Studie hat Daten aus dem International HapMap Project von SNPs (Single Nucleotide Polymorphism oder Einzelbasenpolymorphismen) vom ganzen menschlichen Genom nach jüngeren Veränderungen untersucht, in denen Allele selektiert, aber noch nicht fest in das Genom eingebaut wurden.
Wie Benjamin F. Voight, Sridhar Kudaravalli, Xiaoquan Wen und Jonathan K. Pritchard vom Department of Human Genetics der University of Chicago in A Map of Recent Positive Selection in the Human Genome (PLoS Biology, Volume 4, Issue 3, March 2006) schreiben, waren die Menschen vor 14.000 Jahren durch die Klimaerwärmung einem großen Anpassungsdruck unterworfen. In der Folge entwickelten sich einschneidende Veränderungen durch den Übergang zur Sesshaftigkeit und Landwirtschaft sowie zum Leben in den Städten. Die Menschen vermehrten sich, lebten dichter aufeinander, wodurch sich, ebenso wie durch die Landwirtschaft, etwa neue Infektionskrankheiten ausbreiteten, die eine rasche Anpassung erforderten.
Solche grundlegenden Veränderungen der Lebenswelt sollten einen erheblichen Druck auf das Genom ausüben. Es wurden auch bereits einzelne Gene identifiziert, die sich als Anpassung an die neuen Verhältnisse verändert haben, beispielsweise Gene, die an der Gehirnentwicklung beteiligt sind, oder die Bildung des Lactasegen, um Milch auch im Erwachsenenalter verdauen zu können. Dieses Gen findet sich mittlerweile bei 90 Prozent aller Europäer, weswegen zu erwarten ist, so Pritchard, dass es bald bei allen Europäern zu finden sein wird. Man hat aber bislang nur dort neue Allele gefunden, wo man direkt danach gesucht hat. Man weiß also nicht, wie stark die Evolution weiter auf das gesamte menschliche Genom wirkt, welche Bereiche am stärksten betroffen sind und ob sich regionale Unterschiede zeigen.
Die Wissenschaftler um Jonathan Pritchard haben daher mit einer neuen statistischen SNP-Analyse eine Karte des gesamten menschlichen Genoms (iHS = integrated haplotype score) geschaffen, um zu sehen, an welchen Orten (Loci) auf dem Genom neue Allele entstanden sind. Die Daten des International HapMap Project umfassen 800.000 polymorpe SNPs von 309 Menschen. Um regionale Unterschiede zu erkennen, wurden diese in drei Gruppen eingeteilt: 89 Ostasiaten, 60 Europäer und 60 Yoruba aus Nigerien. Werden neue Allele durch die Selektion gefördert, so nimmt, wovon die Wissenschaftler ausgehen, ihre „Häufigkeit schnell zu“, zudem befinden sie sich auf „ungewöhnlich langen Haplotypen mit geringer Vielfalt“. Gefunden wurden an die 700 Orte auf dem Genom, an denen sich durch natürliche Selektion Veränderungen während der letzten 10.000 Jahre ergeben haben. Allerdings habe man nur nach den stärksten Signalen gesucht, so dass viele Veränderungen nicht erkannt worden sein könnten.
Nach den Ergebnissen wirkt sich die Selektion auf Loci aus, die mit dem Metabolismus von Kohlehydraten, Lipiden und Phospaten und dem Transport von Vitaminen zu tun haben. Sie wirkt auch auf Gene ein, die mit Fruchtbarkeit und Reproduktion verbunden sind (Proteinstruktur oder Beweglichkeit der Spermien, Befruchtung der Eizellen etc.) Bei den Europäern sind besonders vor über 6000 Jahren erfolgte Genveränderungen auffällig, die mit der Hautpigmentierung zusammenhängen und vermutlich eine Anpassung an veränderte klimatische Bedingungen der Lebenswelt darstellen. Allerdings müssen bereits zuvor, vermutlich an anderen Genstellen, Mutationen geschehen sein, weil auch Ostasiaten blasser sind.
Auch hinsichtlich der Skelettbildung, dem Riechen oder der Ernährung ergaben sich Hinweise auf evolutionärem Druck. Bei den Europäern betrifft dies etwa die Aufnahme von Lactase, bei den Ostasiaten von Saccharose, bei den Yorubas und Ostasiaten von Mannase. Bei den Ostasiaten zeigt sich selektiver Druck bei dem Gen, das das Enzym für den Abbau von Alkohol bildet. Auch bei Genen des Gehirns wurden evolutionäre Veränderungen gefunden.
Viele der durch den statistischen Test erfassten Veränderungen erstrecken sich nicht über alle Bevölkerungsgruppen. Unter Selektionsdruck stehen bei den Europäern 188, bei den Ostasiaten 185 und bei den Yorubas 206 Regionen auf dem Genom. Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass ihre Methode in der Feststellung gemeinsamer evolutionärer Veränderungen noch mangelhaft sein könnte, so dass es in Wirklichkeit sehr viel mehr sein könnten.