Menschen zweiter Klasse
Afghanische Flüchtlinge im Iran
#IamSetayesh - ich bin Setayesh. Nicht nur in Afghanistan, sondern auch in zahlreichen anderen Ländern der Welt machte dieser Hashtag in den Sozialen Netzwerken die Runde. Gemeint war damit Setayesh Qoreishi, ein sechsjähriges Flüchtlingsmädchen aus Afghanistan, welches gemeinsam mit ihrer Familie in einer der Vorstädte Teherans lebte. Am 9. April wurde Setayesh ermordet. Der Täter, ein Jugendlicher aus der Nachbarschaft, vergewaltigte Setayesh, bevor er sie erstach und ihre Leiche anschließend in Säure einlegte.
Setayeshs Ermordung ist symbolisch für die Unterdrückung der afghanischen Minderheit im Iran. Offiziellen Angeben zufolge leben etwa zwei Millionen Afghanen im Iran. Da die meisten von ihnen Flüchtlinge sind, dürfte die Dunkelziffer jedoch weitaus höher liegen. Der Alltag dieser Menschen ist alles andere als einfach. Der Grund hierfür ist die Tatsache, dass die iranische Regierung afghanische Flüchtlinge systematisch diskriminiert, drangsaliert und benachteiligt.
Da Afghanistan schon seit Jahrzehnten von Krieg und Chaos heimgesucht wird, hat es im Laufe der vergangenen Jahre viele Afghanen in das Nachbarland verschlagen. Bei den meisten dieser Flüchtlinge handelte es sich um Hazara, einer aus Afghanistan stammenden schiitischen Minderheit. Viele Hazara dachten anfangs, dass der ebenfalls schiitische Iran sie mit offenen Armen empfangen würde. Doch diese Hoffnung wurde schnell zerstört.
Einer, der das am eigenen Leib erfahren hat, ist der 25-jährige Hossein, der heute in Österreich lebt, wo ihm schließlich Asyl gewährt wurde. Dort kellnert er in einem Restaurant halbtags, während er abends das Gymnasium besucht. Noch vor einigen Jahren lebte der junge Afghane in Teheran. Sein Alltag sah dort anders aus.
Um seiner Familie in Afghanistan Geld zu schicken, schuftete Hossein zwölf bis sechzehn Stunden am Tag auf einer Baustelle - zusammen mit vielen anderen Afghanen. "Keiner von uns hatte Papiere. Im Iran arbeitet so gut wie jeder Afghane schwarz, meistens am Bau", erzählt Hossein.
Afghanische Migranten bleiben im Iran oft fern von jeglicher Bildung. Sowohl die Schule, als auch die Universität bleibt ihnen verwehrt. Wer sich weiterbilden oder einer legalen Arbeit nachgehen will, braucht die iranische Staatsbürgerschaft. Diese bleibt für viele Afghanen jedoch ein Wunschtraum.
Aus diesem Grund sind die meisten Flüchtlinge auf Schwarzarbeit angewiesen. Für den Iran hat sich diese mittlerweile zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor erwiesen. Großstädte wie Teheran, Schiraz oder Maschad wachsen tagtäglich und sind geprägt von modernen Hochhäusern und Wolkenkratzern. Ohne die afghanischen Schwarzarbeiter, die einen Hungerlohn erhalten und in ärmlichen Baracken hausen, würden die meisten dieser Gebäude wohl nicht stehen.
Nicht wenige afghanische Bauarbeiter sind minderjährig. Auch Hossein fing mit fünfzehn Jahren an zu schuften. Stets wurde er gedrillt und beschimpft, auch von den Passanten auf der Straße. "Afghani" oder "Afghanizag" (Persisch: afghanischer Hund) gehören mittlerweile scheinbar zu den Standardschimpfwörtern im Iran. "Wir Afghanen - egal welcher Ethnie oder Religion - sind in den Augen vieler Iraner Barbaren", meint Jawed, ein weiterer Afghane, der jahrelang im Iran gelebt hat.
Dies wurde auch nach der Ermordung Setayeshs deutlich. Während einige führende iranische Politiker eine gerechte Bestrafung des Täters forderten, wunderten sich Polizisten, warum man für Afghanen Mitleid empfindet. "Sie haben hier viele Verbrechen begangenen", hieß es. Währenddessen meinten einige Medien im Land, dass Internetpornografie den Jugendlichen zu der Tat "verführt" habe.
Die staatliche sowie gesellschaftliche Diskriminierung trifft allerdings auch Afghanen, die im Iran geboren sind. Ein Beispiel hierfür ist etwa folgende Gesetzgebung: Viele männliche Afghanen heirateten im Laufe der Zeit iranische Frauen. Deren Kinder werden jedoch nach iranischem Recht aufgrund des afghanischen Vaters nicht als iranische Staatsbürger anerkannt.
Für Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch ist der Alltag afghanischer Flüchtlinge im Iran nichts Neues. Laut mehreren ausführlichen Berichten tritt die Regierung in Teheran jegliche Rechte der Migranten mit Füßen. Des Weiteren wird immer wieder hervorgehoben, dass Afghanen gezielt ausgebeutet und diskriminiert werden. Eine Umfrage von Human Rights Watch kam etwa zum Schluss, dass mindestens ein Drittel der afghanischen Flüchtlinge im Land auf irgendeine Art und Weise körperlich misshandelt wurde.
Hinzu kommt die Tatsache, dass afghanische Migranten nicht selten unter fadenscheinigen Bedingungen von iranischen Gerichten zum Tod verurteilt werden. Regelmäßig finden Hinrichtungen statt, bei denen in der Vergangenheit auch vor Minderjährigen nicht Halt gemacht wurde. Berichten zufolge befanden sich vor zwei Jahren mindestens 3.000 Afghanen in iranischen Gefängnissen.
Aufgrund der katastrophalen Lage afghanischer Flüchtlinge im Iran kam es in Afghanistan immer wieder zu zahlreichen Protesten. Die Regierung in Kabul versucht jedoch bis heute, sich aus der Verantwortung zu ziehen. Selbiges betrifft nun auch den Fall Setayesh Qoreishi, zu dem sich die Führung in Kabul bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht geäußert hat.
Iran schickt afghanische Flüchtlinge zum Kämpfen nach Syrien
Die permanente Ausbeutung von Afghanen im Iran hat allerdings auch auf andere Art und Weise einen traurigen Höhepunkt erreicht, der kaum beachtet wird. Schon 2014 wurde bekannt, dass die iranische Regierung afghanische Flüchtlinge nach Syrien schickt, um dort auf Seiten Baschar al-Assads gegen aufständische Gruppierungen zu kämpfen.
Berichten zufolge verspricht Teheran jenen Afghanen, die nach Syrien gehen, eine Aufenthaltsgenehmigung, die iranische Staatsbürgerschaft oder ähnliches. Ferner wird den Kindern ein Schul- oder Universitätsbesuch versprochen. Da die meisten jungen Männer ohne jegliche Kampferfahrung nach Syrien geschickt werden, ist eine Rückkehr in vielen Fällen ausgeschlossen.
Währenddessen ist der Fall Setayesh immer noch nicht abgeschlossen. Viele Afghanen befürchten, dass auch in diesem Fall dem Täter keine gerechte Strafe widerfahren wird. Nichtsdestotrotz zeigten auch viele Iraner ihre Anteilnahme am Schicksal des jungen Mädchens. So meinte etwa Hasan Khomeini, der Enkel des Gründers der Islamischen Republik, Ayatollah Ruhollah Khomeini, dass jedes Verbrechen gegenüber den Afghanen im Land eine Schande für das iranische Volk sei.
Harte Worte fand auch die gegenwärtige Vizepräsidentin Irans, Shahindokht Molaverdi, die das Verbrechen als "abscheulich" bezeichnete und der Öffentlichkeit eine "gerechte Strafe" versicherte.
Für Hossein, Jawed und andere Afghanen, die jahrelang im Iran gelebt haben, sind das jedoch nur leere Worte und Heuchelei. "Das ist kein Einzelfall. Viele derartige Verbrechen fanden im Schatten der Öffentlichkeit statt. Nun wurde ausnahmsweise einmal ein solcher Fall auch in den iranischen Medien bekannt und plötzlich lechzt jeder nach Gerechtigkeit", lautet ihr Resümee.