Menschenrechte und politische Rücksichten
Scharfe Kritik an der Arbeit der UN-Menschenrechtskommission
Dass der Weltsicherheitsrat der Vereinten Nationen nicht das einzige internationale Gremium ist, das durch den Irak-Krieg in zwei oder noch mehr Parteien gespalten wurde, kann nach Lage der verhärteten Fronten niemanden ernsthaft überraschen. Wer die Hoffnung allerdings noch nicht vollständig aufgegeben hat, mag den letzten Rest auf eine integre Organisation wie die UN-Menschenrechtskommission (UNCHR) setzen, die - so sollte man meinen - jenseits der Tagesereignisse und aller politischen Grabenkämpfe das Interesse der Menschheit an sich hochhalten, engagiert vertreten und an maßgeblicher Stelle immer wieder ins Bewusstsein rücken müsste.
Aber auch in Genf spielen die Ideale einer lauteren Humanität derzeit offenbar nur eine untergeordnete Rolle. Der Meinung ist jedenfalls die Menschenrechtsorganisation amnesty international, die der UNCHR zum Abschluss der diesjährigen Sitzungsperiode ein denkbar schlechtes Zeugnis ausstellt und mit dieser Kritik keineswegs allein steht. Auch Sidiki Kaba, Präsident der Internationalen Föderation für Menschenrechte, fühlt sich durch die Beschlüsse an eine Art Jahrmarkt erinnert, auf dem die verschiedenen Länder Menschenrechte wie Handelswaren verschachern.
Amnesty bemängelt vor allem den Umstand, dass die Konzentration auf die Ereignisse im Irak nahezu alle anderen Menschenrechtsverletzungen nicht nur aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit, sondern offenbar auch aus dem unmittelbaren Aufgabenbereich der UNCHR verdrängt hat. Dabei spielt die UN-Menschenrechtskommission sogar bei der Diskussion um die Nachkriegsordnung am Persischen Golf eine höchst unglückliche Rolle. Nach der aktuellen Beschlussfassung wird die Entsendung von Menschenrechtsbeobachtern nicht ausdrücklich gefordert und das Mandat des für den Irak zuständigen Sonderberichterstatters nur um ein Jahr verlängert. Dessen Aufgabe besteht übrigens ohnehin nur in der Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen, die dem gestürzten Regime Saddam Husseins zur Last gelegt werden, während Verstöße von Seiten der Alliierten auf Druck der Siegermächte erst einmal unberücksichtigt bleiben sollen.
In anderen Krisenregionen wird die bloße Statistenrolle der UNCHR freilich noch sehr viel deutlicher. So scheiterte die Europäische Union erneut mit dem Versuch, eine Resolution durchzusetzen, welche die russische Regierung für Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien verurteilt hätte. Außerdem wurde das Mandat des Sonderberichterstatters zum Sudan, welches Gerhart Baum übernommen hatte, aufgehoben, ohne dass sich die Situation in dem afrikanischen Land in einer diese Maßnahme rechtfertigenden Weise verbessert hätte. Barbara Lochbihler, Generalsekretärin der deutschen Sektion von Amnesty, befürchtet deshalb, dass die Arbeit der UNCHR Gefahr läuft, ihren grundsätzlichen und weltweiten Anspruch aufzugeben und sich in reinen Alibifunktionen zu erschöpfen:
"Die Kommission hat viele Opfer von Menschenrechtsverletzungen im Stich gelassen und hingenommen, dass Täter straffrei ausgehen. Damit hat sie ihre Glaubwürdigkeit schwerwiegend untergraben."
Trotz dieser düsteren Aussichten hat Amnesty einige Silberstreifen am Horizont ausgemacht. Die deutliche Resolution zur Siedlungspolitik Israels, die von der Europäischen Union eingebracht wurde, sei ebenso positiv zu bewerten wie die Kritik an Menschenrechtsverletzungen in Turkmenistan, Nordkorea und der Demokratischen Republik Kongo. Außerdem hat sich die Kommission durchgerungen, einmal mehr ein weltweites Moratorium für Hinrichtungen und für die Verhängung der Todesstrafe gegen Minderjährige oder geistig Behinderte anzumahnen.
Genau hier zeigt sich aber auch, wie begrenzt der Einfluss der UNCHR ist, selbst wenn sie ihren Auftrag ernst nimmt und sich ausnahmsweise nicht zum Spielball der verschiedenen Interessenvertreter degradieren lässt. Denn noch im Jahr 2002 wurden mehr als 1.500 Menschen in 31 Ländern hingerichtet und weit über 3.000 Todesurteile verkündet. Über 80% aller Hinrichtungen fanden in China (1060), im Iran (113) und in den Vereinigten Staaten (71) statt. Amnesty selbst wies vor einigen Wochen darauf hin, dass die Dunkelziffer sehr viel höher liegen dürfte als die offiziellen Zahlen und dass die Menschenrechte weder diesseits noch jenseits jener von George W. Bush beschworenen Achse des Bösen gesondert berücksichtigt werden. Thomas Hensgen, Sprecher der amnesty-Arbeitsgruppe gegen die Todesstrafe, ließ die Presse seinerzeit wissen:
"In vielen Fällen wurden internationale Mindeststandards nicht eingehalten. Gefangene wurden nach unfairen Gerichtsverfahren zum Tode verurteilt. In den USA wurden drei Menschen, die zur Tatzeit unter achtzehn Jahre alt waren, hingerichtet."
Dass die UNCHR an dieser Situation dauerhaft etwas ändern kann, darf vorerst bezweifelt werden. Zumal sie sich - so linientreu die Irak-Beschlüsse auch waren - nach der einstimmigen Berufung Kubas in die Menschenrechtskommission erst einmal mit einem spürbaren Imageverlust beschäftigen muss. US-Präsidentensprecher Ari Fleischer ließ die Verantwortlichen umgehend wissen, dass man Al Capone ebenso gut die Bankenaufsicht hätte übertragen können. Und damit heißt es aus amerikanischer Sicht einmal mehr: Wenn sich die internationalen Organisationen unserer Sicht der Dinge anschließen, geht alles seinen Gang und wenn nicht - eben auch.