Menschenzukunft: Prüfstein Atombombe

Seite 2: Gefragt sind die Menschen und Länder, die anfangen mit dem Ausstieg

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Die konkrete Utopie, namentlich der deutschen Atombombenteilhabe jetzt ein Ende zu bereiten, kann antidepressive Kräfte im politischen Gefüge freisetzen und ist keineswegs ein aussichtsloses Unternehmen. Als Grundschüler habe ich Erich Kästners "Konferenz der Tiere" gelesen. Das wäre mal ein realistisches Drehbuch!

Angefangen mit dem Ausstieg aus der Bombenlogik haben im letzten Jahrzehnt überwiegend junge Aktivistinnen und Aktivisten der International Campaign to Abolish Nuclear weapons (ICAN). Sie sind beseelt vom gleichen Eros wie "Fridays for future", haben erheblich zum UN-Vertrag für ein Atomwaffenverbot (2017) beigetragen und wurden mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.

Der noch in sozialdemokratischer Tradition stehende SPD-Fraktionssprecher Rolf Mützenich zeigte uns in diesem Jahr das erfreulichste Zeugnis eines Parlamentariers, ein Votum wider die Bombe im Land, die uns - statt zu beschützen - selbst bedroht. Mützenich will mit dem Guten beginnen - statt sich mit einem "Warten auf andere" herauszureden. Nur so geht es.

Jungsozialisten und Grüne Jugend sowie die Klimaschutz-Aktivistin Luisa-Marie Neubauer haben unlängst einen ICAN-Appell zur Atomwaffen-Ächtung mitgetragen. Da die grauen Aktenträger des veralteten Zivilisationsparadigmas in nahezu allen Parteien sitzen, wäre jetzt eine ungewöhnliche "Zivilcourage" der Jugendorganisationen ein Modell für die Gesamtgesellschaft.

Jusos (nebst Falken, sozialistischen Naturfreunden u.a.) und Grüne Jugend könnten von ihren Mutterparteien einfordern, vor der nächsten Wahl öffentlich und verbindlich zu erklären, sich nur an einer Regierung zu beteiligen, die unverzüglich dem 2017 angenommenen UN-Vertrag zum Verbot von Atomwaffen beitritt. (Das wäre zugleich das Ende der deutschen Bombenteilhabe.) Andernfalls, so müsste das Ultimatum lauten, gibt es nicht den geringsten Beitrag zum Wahlkampf.

Nur wenn die Jungen rebellieren, wird sich etwas bewegen. Kein Prüfstein ist besser geeignet für eine Revolte im Dienste des Lebens als das Ausstiegsunternehmen wider die Bombe. Die global vernetzten Bürgermeister/innen für den Frieden (aus fast allen Parteien) wären selbstredend eingeladen, sich einzureihen bei den streikenden Freunden Erich Kästners.

Gregor Gysi ist als nicht mehr ganz so junger Internationalist im Einklang mit seiner Partei auch radikal gegen Nuklearwaffen eingestellt, gefällt sich aber dieser Tage darin, die Aussicht einer "NATO-Duldung" durch demokratische Sozialisten auf der Regierungsbank auszumalen.

Soll nun also die einzige verbliebene Partei mit pazifistischer Programmatik doch noch via "Stillhalte-Abkommen" ihren Frieden schließen mit einem nicht verfassungskonformen militärischen Interessensbündnis, das Nachbarn ausschließt und gar zu Feinden erklärt?

Vielleicht kommt Gregor Gysis große historische Rede gegen die Bombe noch? Und auch … eine Klarstellung etwa der folgenden Art: Die Linke wird nur in eine Regierung eintreten, die gemäß Koalitionsvertrag ein eigenes Friedensministerium schafft und dessen Gründung mit den Einsparungen aus dem unverzüglichen Ende der deutschen Mordbombenteilhabe finanziert.

Entscheidet sich die CDU doch noch für die Position der Christenheit?

Eigentlich sollte man dieser Tage am ehesten von den christlichen Demokraten erwarten, dass sie dem Anliegen von ICAN höchste Priorität beimessen und sich vom Atombomben-Fetisch lösen. Kein Papst zuvor hat so kategorisch wie Bischof Franziskus von Rom der Atombombe und der gesamten militärischen Heilslehre eine Absage erteilt. (Der Vatikan gehörte zu den ersten Beitrittsstaaten des UN-Abkommens von 2017.)

Damit jede und jeder es verstehe, fügte der Pontifex seiner bahnbrechenden Hiroshima-Rede (2019) im Flugzeug noch einmal hinzu, dass schon Herstellung, Besitz oder Bereithaltung der nuklearen Massenmordwaffe moralisch unannehmbar sind.

Da dies auch in den Weltkatechismus kommt, wird künftig jedes katholische Kind lernen, dass jegliche Dienstbarkeit für die Bombe mit der Zugehörigkeit zur weltweiten Kirche nicht zusammengereimt werden kann.

In Deutschland hat bislang am glaubwürdigsten - und ohne die üblichen Hintertürchen mancher redseligen Prälaten - der Mainzer Bischof und pax christi-Präsident Peter Kohlgraf vor vier Wochen die katholische Absage an die Bombe zum Ausdruck gebracht. Ihm ist zuzutrauen, dass er eine sehr große Mehrheit der Bischofskonferenz für das Anliegen eines atomwaffenfreien Landes auf dem Gebiet aller deutschen Bistümer gewinnt. Auch das Zentralkomitee der deutschen Katholiken könnte zeitgleich erproben, ob es in einer so drängenden Frage noch etwas zu bewegen vermag.

Der Mainzer Bischof setzt auf die Ökumene. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, dass die evangelischen Kirchen in Deutschland mit gleicher Deutlichkeit wie der Bischof von Rom das Aufbegehren der Christenheit wider die Atomgottheit vortragen.

Im nächsten Jahr gibt es einen ökumenischen Kirchentag. Die Großkirchen lösen sich derzeit - ein wenig beschleunigt auch durch die Umstände der Corona-Pandemie - in Luft auf und wirken auf viele wie entleerte Gebilde, repräsentiert von bezahlten Religionsbeamten. Wie wäre es mit einem Ökumenischen Kirchentag im Mai 2021, der mit Elan die Atombomben zur Vernichtung in die Wüste schickt, indem er den Beitritt unseres Landes zum UN-Verbotsabkommen einfordert? Dann freilich wüssten wir, dass das Salz doch noch nicht ganz schal ist.

Wohl gemerkt: Vage Absichtserklärungen auf unbestimmte Zeiten und unverbindliche klerikale Abneigungsbekundungen wider die Bombe wollen wir nicht mehr hören. Dazu ist es zu spät. Der oben genannte Lackmus-Test ist konkret wie nur irgend etwas: Beitritt zum Verbotsvertrag der Vereinten Nationen und somit das Ende der deutschen Atombombenteilhabe.

Fern liegt mir, der rechten Hetze gegen die Bundeskanzlerin auch nur um ein weniges beizupflichten. Doch genau besehen gab es bei den Entscheidungen ihrer Amtszeit, die wie der Atomkraftwerk-Ausstiegsplan und der Versuch einer neuen Migrationspolitik Beifall verdienen, immer ein "machtpragmatisches Grundmotiv".

Es ist nicht zu spät, sich vor dem Rückzug auf den Alterssitz durch eine wahrhaft historische Entscheidung doch noch einen Ehrenplatz in den Geschichtsbüchern zu verdienen. Mein Prüfstein, liebe Angela Merkel, wäre das Ende der Bereitstellung der menschenverachtendsten Erfindung aller Epochen in diesem Land:

"Ja, der Tod war seit Zeiten der schwarz-weiß-roten Flagge ein Meister aus Deutschland. Doch im 21. Jahrhundert wollen wir uns jetzt doch noch zeitig einreihen in die Offensive gegen das Menschentotmachen, die deutschen Mordwaffenindustrien abschalten und eine Weltmeisterschaft im Ringen um Frieden anstreben."

Nach einer solchen Botschaft könnten wir sagen: Sie war doch mehr als eine strategisch versierte Pragmatikerin ohne Visionen und ohne tieferen Einblick in den Ernstfall der menschlichen Zivilisation.