Menschliche Roboter: Arbeiter als Anhängsel der Maschine

Roboterhand mit Reglerscheibe in Frauenstirn

Arbeiter fühlen sich zunehmend als Anhängsel der Maschine. Algorithmen und KI steuern Produktionsprozesse in Echtzeit. Droht eine Zukunft der totalen Kontrolle?

Arbeiter erhalten derzeit Aufmerksamkeit in vielen Medien. "Die SPD will wieder um die Arbeiter kämpfen", meldet der Stern. Die SPD sucht den demonstrativen Schulterschluss mit der VW-Betriebsratsvorsitzenden Daniela Cavallo. Parteichef Lars Klingbeil sagt, dass die "Leidtragenden der Krise" nicht die Arbeiter bei VW sein dürften.

In den USA werben die Präsidentschaftskandidaten um die "Blue Collar". Damit sind aber nicht nur Arbeiter im vermeintlichen "Blaumann" gemeint, sondern es zählen Beschäftigte im Handwerk, Baugewerbe, Produktion, Gesundheitswesen, Einzelhandel oder Gebäudereinigung dazu.

"Die Covid-19-Pandemie hat eine neue Trennlinie zwischen Menschen gezogen", sagt Hans Rusinek, der zu "Future of Work" an der Fresenius Universität in Hamburg forscht.

So können durch mobile Arbeit Eltern manchmal Kinderbetreuung und Beruf besser vereinbaren, die "Deskless Workers" müssen vor Ort am Arbeitsplatz sein. Dies führe zur Wahrnehmung "fehlender Fairness".

Rusinek hält schon manche Bezeichnungen für problematisch: Der Begriff "Wissensarbeit", der meist für Berufstätige am Schreibtisch verwendet wird, strotze vor Arroganz. Die Arbeit in der Produktion erfordere auch Wissen. Der Begriff "deskless" klinge, als würde ihnen etwas fehlen.

Gerade in der Produktion ist heute Wissen zur Technik-Anwendung gefragt. In der Metallindustrie wird deshalb im Tarifvertrag nicht mehr zwischen Arbeitern und Angestellten unterschieden. Der Entgelttarifvertrag "ERA" spricht von "Entgelt", statt "Gehalt" für Angestellte oder "Lohn" für Arbeiter. "Workforce Management für Work-Life-Balance", fordert die Senta Gekeler auf haufe.de. Schichten sollten reduziert, auch Teilzeit für Arbeiter ermöglicht werden, sind einige Vorschläge.

Industrie 4.0. vernetzt jeden einzelnen Arbeitsschritt

Die betriebliche Realität ist eine andere. Industrie 4.0 ist seit Jahren das Schlagwort, mit dem verdeutlicht werden soll: Jeder einzelne Arbeitsschritt in der Produktion wird miteinander vernetzt.

Abläufe werden als Prozesse analysiert. Die Prozessanalyse bezeichnet die systematische Untersuchung von Prozessen und die Zerlegung in ihre Einzelteile, um Schwachstellen zu erkennen. Dies führt verstärkt zur Einrichtung von standardisierten Prozessen.

Die Einzeltätigkeiten zur Erbringung einer Dienstleistung sind abhängig von der Ablauforganisation der Verwaltung mit verschiedenen fachlichen Bereichen und Hierarchiestufen. Der Geschäftsprozess beginnt mit der Kundenanfrage und reicht bis zur Feststellung der Kundenzufriedenheit. Gemessen werden etwa die Bearbeitungsdauer, Gesprächsdauer, Wartezeiten oder Antwortzeiten.

Nicht die gesamte Technik wird neu erfunden, sondern bereits bewährte Elemente werden durch die Vernetzung anders genutzt. Eine besondere Bedeutung hat dabei RFID 1, eine Technologie für Sender-Empfänger-Systeme zum automatischen und berührungslosen Identifizieren und Lokalisieren von Objekten und Lebewesen mit Radiowellen.

Die Grundplatte wird über einen RFID-Chip eingelesen, führt sämtliche Auftrags- und Produktionsdaten mit sich, sodass die Maschinen wissen, was sie zu tun haben, beispielsweise ob sie ein blaues oder ein rotes Gehäuse auf die Platte anbringen müssen. Dabei kommunizieren die einzelnen Maschinen in der Anlage nicht nur mit dem jeweiligen Produkt, sondern auch untereinander.

Algorithmen und KI zur Kontrolle im Einsatz

Auch Algorithmen und Künstliche Intelligenz (KI) sind dabei bedeutsam. "Die Chancen, die Künstliche Intelligenz bietet, sind vielversprechend", sagt Frank Remers, Konzernbetriebsratsvorsitzender bei IBM. In der Unterstützung bei alltäglichen Aufgaben sieht er eine Entlastung, mit der mehr Raum für kreative Tätigkeiten entstehen könne.

Auf der anderen Seite stünden jedoch auch erhebliche Herausforderungen:

Eine davon besteht darin, sicherzustellen, dass stets die eigenen ethischen Richtlinien eingehalten werden. Insbesondere ist es wichtig, dass Künstliche Intelligenz auf Bias, also unbewusste Vorurteile, getestet wird und entsprechende Mechanismen zur Vermeidung von Diskriminierung etabliert werden.

ifb

Den Optimismus teilen nicht alle. Auch Planungssysteme in Unternehmen, sogenannte ERP-Systeme (Enterprise Resource Planning), arbeiten zunehmend mit KI.

Spezifische Anwendungen für Produktionssteuerung, Qualitätskontrolle oder Lieferkettenoptimierung betreffen Produktion und Verwaltung. Etwa durch Analysen der Kundenkontakthistorie in Verbindung mit Daten, die die Produkte der Unternehmen beschreiben.

Häufig wird derzeit Technik zur Kontrolle und Reduzierung von Personal genutzt. Dies kann weitgehende Folgen haben. Beim Vorreiter der Digitalisierung, Amazon, wird ein Arbeiter als "Picker" mit einem Chip am Arm eingesetzt, damit er beim Zusammenstellen der Pakete ständig erreichbar ist.

Davon sind aber nicht nur Arbeiter betroffen. Vielmehr erfolgte in den vergangenen Jahren eine massive Ausweitung des Technikeinsatzes in der Verwaltung.

Büroarbeiter als Assistenz der Technik

Der österreichische Forscher Wolfie Christl hat in einer Studie Arbeitende in Callcentern dazu interviewt.

Betroffene schildern die Auswirkungen. Anruf-Steuerungssoftware Cogito erkennt über 200 Schlüsselmerkmale zum emotionalen Zustand von Kunden. Die Technik reagiert umgehend den Telefonierenden gegenüber und meldet Auswertungen in Echtzeit als Handlungsanweisungen, d. h. während eines Kundengesprächs muss der Beschäftigte reagieren.

Die Anweisungen dieser Software erfolgen dann durch Hinweise wie "schneller sprechen", "verständnisvoller reagieren" oder "Stimmlage anpassen". Es ist die neue Form der Überwachung durch Technik.

Der Begriff "Assistenzsystem" für diese Software ist eher irreführend, vielmehr fühlen sich Beschäftigte als "Assistenz" dieser Technik. Das permanente Feedback wird von den Betroffenen als belastend empfunden.

Egal, ob Produktionsarbeiter oder Verwaltungsangestellte: Fast alle Arbeitsprozesse in der Produktion und Dienstleistung werden heutzutage von digitalen Assistenzsystemen unterstützt oder gesteuert.

Diese technischen Systeme benötigen und verarbeiten in Echtzeit alle Daten eines Arbeitssystems Microsoft 365 und diverse HR-Systeme übermitteln anonymisierte und aggregierte Daten an Vorgesetzte und spiegeln teils persönliche Leistungsdaten direkt an den Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin, um deren Arbeitsleistung zu verbessern.

Aktuelle Zahlen verdeutlichen, wie sich Betriebe verändern. Der HR Insights Report 2024 der Unternehmensberatung Personio zeigt Probleme auf: Nur 52 Prozent der Befragten fühlten sich im letzten Monat motiviert. Die Hauptgründe für diese Demotivation sind ein stressiges Arbeitsumfeld, mangelnde Wertschätzung und fehlende Aufstiegsmöglichkeiten.

Unternehmen, die in diesen Bereichen gezielt Verbesserungen vornehmen, können nicht nur die Motivation steigern, sondern auch die Fluktuation verringern.

HR Insights Report 2024