Merkel: Europäer müssen selber für ihr Schicksal kämpfen
Eine neue transatlantische Kluft? Der Wahlkampfauftritt der Kanzlerin in einem Truderinger Bierzelt erhält internationale Aufmerksamkeit und beflügelt EU-Verteidigungsenthusiasten
Eine Bierzeltrede von Kanzlerin Merkel, gehalten an der Münchner Peripherie in Trudering, war am Montagmorgen Topnachricht in großen internationalen Medien und erlangte so einen Vormittag lang "Weltruhm". Die Überschrift zum Video, das die Rede zusammenfasst, lautet nüchtern: "Merkel will sich nicht auf USA verlassen". Le Monde zieht den globalen, epischen, geschichtsträchtigen Himmel über dem Truderinger Bierzelt-Himmel der Bayern auf:
In der deutschen Politik darf man niemals die Relevanz der regionalen Dimension unterbewerten. Die Geschichte wird in Erinnerung behalten, dass es unter einem Bierzelt vor 2.500 Anhängern der CSU geschah, dass die Kanzlerin Merkel eine außenpolitische Erklärung abgab, die in der internationalen Presse am meisten bemerkt und kommentiert wurde.
Le Monde
Die Financial Times zeigt die Kanzlerin mit einem epischen Glas Bier ("Maß") vor der blauen CSU-Bierzeltwand. Unter dem Foto wird erklärt, Merkel habe signalisiert, dass Europa nicht länger auf die USA als verlässlichen Partner zählen könne, was eine "neue transatlantische Kluft" wiederspiegele, die nach den zwei Tagen internationaler Gipfeltreffen mit dem US-Präsidenten aufgetaucht sei. Hat sich in Trudering erneut die Erde geöffnet?
Die Kernaussagen von Merkels Bierzeltauftritt, die von Journalisten dankbar aufgenommen und verbreitet wurden, sind unschwer als typische Elemente einer Wahlkampf-Rede zu erkennen:
Die Zeiten, in denen wir uns auf andere völlig verlassen konnten, die sind ein Stück vorbei. Das habe ich in den letzten Tagen erlebt. (…)
Wir Europäer müssen unser Schicksal wirklich in die eigene Hand nehmen.(…)
Aber wir müssen wissen, wir müssen selber für unser Schicksal kämpfen.
Angela Merkel
"Wie eine Abrissbirne der westlichen Werte und Zielvorstellungen"
Schon an diesen wenigen Aussagen ist das Bemühen der bekanntermaßen eher wenig talentierten Rednerin Merkels abzulesen, sich in die polternde Bierzeltatmosphäre einzugrooven ("müssen, müssen (…) für unser Schicksal kämpfen"). Das Flüchtlingsthema war tunlichst zu vermeiden, die Umfragen melden Aufwind für die wieder auferstandene TINA-Kanzlerin eher aus anderen Gründen. Dazu gehören internationale Auftritte, das starke Deutschland in der EU und der Exportüberschuss, der an Stammtischen anders besprochen wird als von kritischen Ökonomen. Genau das gab die Basis für die "historischen" Ansagen.
An diese Ansagen hängen sich nun enttäuschte Transatlantiker und EU-Verteidigungsenthusiasten wie Wolfgang Ischinger, der die US-Politik unter Trump mit einer "Abrissbirne" vergleicht, die "durch das Bauwerk der westlichen Werte und Zielvorstellungen tobt". Das sei neu.
Ischinger fiebert dem historischen Moment, der sich hier auftäte, geradezu entgegen. Trumps Politik könne einen Weckruf für die EU bedeuten. Sie biete "eine historische Gestaltungschance, die muss jetzt ergriffen werden."
"Mehr Europa"
"Mehr Europa" antwortete ein Chor an Spitzenpolitikern in Berlin, berichtet der BR und zitiert quer durch die Parteien, mit Ausnahme der AfD. Auffallend ist, dass der Spitzenkandidat der SPD, Martin Schulz, auch bei dieser Gelegenheit sehr nah an Merkel ist, wenn auch etwas gröber gegenüber Trump. Man müssen den USA klar machen, wie isoliert sie seien, man hätte sich schon auf dem Nato-Gipfel deutlicher positionieren sollen: "Gegen einen Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, der ja andere demütigen will. Der ja im Stile eines autoritären Herrschers auftritt."
Der Eindruck, der sich durch dieses Spektakel ergibt, ist, dass es in der deutschen Innenpolitik derart fad zugeht, weil sich keiner aus der Opposition an Veränderungen herantraut ("es geht uns allen gut") und daher gerne das europäisches Machtstreben als Großthema aufgenommen wird. Doch ist das ein eher ferner Horizont und wahrscheinlich ist, dass sich hier auch innerhalb der EU Gegenstimmen zu einem noch mächtigeren Deutschland aufbauen.
Substanziell nichts Neues
Substanziell ist überhaupt nicht neu, was Trump bei dem Nato-Gipfel und beim G-7-Gipfel als US-Positionen nochmal herausstellte. Dass sich die Nato-Partner und auch Deutschland finanziell stärker beteiligen sollten, hatte Trump schon in seinem Wahlkampf gefordert und danach auch noch ein paar Mal.
Klimapolitisch, so Wolfgang Pomrehn, habe man hierzulande angesichts der Braunkohletagebaue und des Abgasskandals eigentlich wenig Veranlassung, mit dem Finger auf Trump zu zeigen.
Wie Heiner Flassbeck in seiner Publikation Makroskop anmerkt, sei der G7-Text auf den man sich beim Thema Handel einigte, "so schlecht gar nicht":
Neben den üblichen Sätzen, die den Handel als Jobmaschine preisen, steht jetzt, dass der Handel auch reziproken, also gegenseitigen Nutzen schaffen soll. Danach heißt es, man wolle standhaft gegenüber allen unfairen Handelspraktiken sein. Auch der Satz, dass Handel nicht immer allen Nutzen gebracht hat, ist neu, aber sicher nicht falsch. Auch wendet man sich explizit gegen staatlich verursachtes Dumping, um ein wirkliches "level playing field" zwischen den Handelspartnern zu erreichen
Heiner Flassbeck
Einem seiner bekannten Leitmotive - die deutsche Lohnpolitik - entsprechend erklärt Flassbeck nochmal, woher der Ärger der USA kommt. Der Handel habe aufgrund dieser Lohnpolitik in den letzten 20 Jahren Deutschland Vorteile gebracht hat, "dem armen Frankreich jedoch, aber auch den USA, Nachteile". Handel, der mit großen Überschüssen und Defiziten einhergehe, schaffe nicht automatisch gegenseitigen Nutzen, sondern gehe in der Regel zugunsten des Überschusslandes aus.
Merkel lasse diese wunden Punkt (siehe auch Merkel betreibt eine Politik gegen die eigene Bevölkerung) aus oder stelle ihn falsch dar, die ganze Gipfelveranstaltung habe unter der Unfähigkeit, miteinander zu kommunizieren, gelitten.
TTIP noch nicht vom Tisch
Tatsächlich ist, wenn es um den Handel geht, der Graben, der nun im Truderinger Bierzelt weiter ausgehoben wurde, in der Realität gar nicht so tief oder unüberwindlich, wie man von der Wirtschaftsministerin Zypries, die aus den USA zurückgekehrt ist, erfährt.
In einem Interview mit dem Deutschlandfunk erklärt sie, dass TTIP noch nicht vom Tisch ist. Ihre Kollege Ross habe sich "ausgesprochen aufgeschlossen" gezeigt und von sich aus gesagt "wir sind nicht aus TTIP ausgestiegen, wir wollen faire Handelsbeziehungen zu Europa. Wir haben auch einen Folgebesuch schon vereinbart und wir haben eine Arbeitsgruppe vereinbart. Da war eine große Offenheit auch gegenüber uns Deutschen zu spüren".
Man versucht, so der Tenor von Zypries' Aussagen, gute Geschäftsbeziehungen unterhalb der US-Regierungsspitze auszubauen. Vor allem bei den Zöllen, der Grenzausgleichssteuer. Das letzte Wort, so Zypries, sei da noch nicht gesprochen.